Go West

Zwei Tage nach dem Westwind, der «Jolly Jumper» über die Great Bahama Bank gebracht hatte, drehte der Wind Ost. Wir verliessen in furchtbar welligem Wasser die Hafeneinfahrt und wurden den ganzen Tag geschaukelt. Mit dem Sonnenuntergang fuhren wir unter vollen Segeln in die Hafeneinfahrt von Fort Lauderdale. Wir müssen grandios ausgesehen haben, denn eine kleine Drohne verfolgte und umschwirrte uns. Das Funkgerät der Marina war leider nicht mehr besetzt, daher warfen wir an einem Ort den Anker, wo wir glaubten nicht zu stören. Es gab dort zwar nur zwei Moorings, wovon eine besetzt war und die andere für unseren Geschmack zu nahe an einer Mauer, trotzdem informierte uns der Hafenmeister der Las Olas Marina, dass wir mitten in seinem Mooringfeld geankert hatten. Ich einigte mich schliesslich mit ihm, dass wir die nächste Nacht an seinem Pier verbringen würden. Danach brachte uns ein Uber-Fahrer zum Zollbüro. Tatsächlich war es kein Problem, dass Gwendolyn mit ESTA einreiste, nur darf sie nur 90 Tage bleiben während wir 180 Tage bleiben dürfen. Auch das Cruising Permit wurde durch eine Fehlüberlegung unsererseits nur bis August genehmigt – es folgt also noch Papierkrieg. Aber wir waren nun offiziell eingereist und konnten uns mit David von «Wild Beast» verabreden. Reto, dessen Erkältung sich verschlimmerte, hütete Gwenny, während ich uns eine SIM-Karte besorgte. Um Windeln zu kaufen spazierte ich mit Gwendolyn zur Apotheke. Nachdem «Wild Beast» heute endlich ausgewassert worden war, trafen wir uns mit David in der Sports Bar seines Hotels. Der Engländer, den wir in Georgetown kennengelernt hatten, genoss unseren Besuch ebenso wie wir. Wir tranken Bier, assen und plauderten, bis Gwendolyn schon eingeschlafen war. Entsprechend nahmen wir uns tags darauf noch einmal frei.

Retos Stimme klang noch schlimmer als vorher, daher spazierten Gwenny und ich erneut zur Apotheke und deckten uns mit Vicks und Hustensirup ein. Dank des Nasensprays und eines Nickerchens ging es Reto am Abend wieder so gut, dass wir sogar Glacé essen gingen an der überfüllten Strandpromenade. Ja, auch in Florida muss man in öffentlichen Gebäuden Maske tragen, aber draussen interessiert es niemanden.

Eigentlich hätten wir 90 Meilen bis Vero Beach in einem Übernachttrip durchfahren wollen, aber wir hatten uns zu wenig über das Wetter informiert. Der Ostwind hatte hohe, spitze Wellen aufgeworfen. Wir kamen kaum durch sie hindurch, während wir den Einfahrkanal des Hafens durchquerten. Seit der Hormonkur in meiner Schwangerschaft bin ich nicht mehr so draufgängerisch wie früher und brauchte Stunden um mich von dem Seegang im Kanal zu erholen. Das schlimme daran ist, dass ich nicht weiss, wovor ich mich eigentlich fürchte – denn wir hatten schon viel (!) schlimmeres hinter uns. Jedenfalls kaum hatte ich mich erholt, begann der Wind nachzulassen, die Wellen allerdings kaum. Die Entscheidung, ob wir das Grosssegel nun einholen oder nicht, nahm uns das Wetter ab. Eine grosse, dunkle Wolke braute sich über uns zusammen und wir holten das Segel ein, weil wir erwarteten, dass der Wind drehen würde. Ich konnte gerade alles inklusive Gwendolyn in die Kabine Räumen, alle Fenster schliessen und Reto eine Jack geben, als der Regen wie aus Eimern zu schütten begann! Die Wolke reichte bis auf die Wasseroberfläche und sahen keine fünfzig Meter mehr voraus. Reto steuerte tapfer durch den Regen ohne zu Abend gegessen zu haben und ich studierte das Regenradar. Es sah nicht aus, als würde es bald wieder aufhören, immer kam neue Wolken auf den Bildschirm! Aber eine kleine Pause zwischen den Schauern würde genügen um den Inlet nach West Palm Beach zu passieren, was wir probt taten. Mit dem Sonnenuntergang und dem Gezeitenstrom sausten wir in den Teil des ICW, den nicht leiden konnten. Ausnahmsweise waren wir das einzige Boot unterwegs. Wir schipperten einige Meilen nach Norden zu einem Ankerplatz den wir kennen und als akzeptabel in Erinnerung behalten hatten. Weil bei unserem Scheinwerfen der Akku leer wurde, legten wir den halben Weg in völliger Dunkelheit zurück. Schliesslich warfen wir endlich den Anker und ich konnte den Kapitän füttern.

Island Time

Schlussendlich kam alles ein bisschen anders als geplant, aber daran haben wir uns längst gewöhnt. Aus purer Faulheit und Lebenslust blieben wir mehr als eine Woche in Bimini, denn es gab immer wieder einen guten Grund noch zu bleiben.

Ursprünglich hätten Gwendolyn und ich nach Fort Lauderdale fliegen sollen, weil Gwendolyn kein Visum bekommen hatte. Da aber der Tropicoole Frank letztes Jahr mit seinem ESTA per Boot eingereist war, versuchten wir alles um diese Möglichkeit zu prüfen. Mir war es natürlich nicht wohl bei dem Gedanken den Vater meines Kindes alleine über den Golfstrom schippern zu lassen. Daher rief ich jeden Tag beim Zoll in Florida an, in der Hoffnung, dass endlich jemand den Hörer abnahm. Derweil verglich ich die Preise der Fluggesellschaften mit denen der Fähre und erkundigte mich, wo ich einen Covid-19 Test machen konnte. Alles war bereit, um gebucht zu werden, als ich es schliesslich am Tag bevor das Wetter für Reto stimmen würde, endlich Jemand den Hörer abnahm. Der Zollbeamte nahm all unsere Personalien auf und erlaubte uns vor Ort ein Zollbüro zu besuchen. Beruhigt beschlossen wir ein weiteres Windfenster abzuwarten.

Jolly Jumper

Schon von weitem beobachteten wir die weiss-rote Ketch in den Hafen einfahren. Sobald wir das Schweizer Fähnchen erkannt hatten, schaltete ich das Funkgerät ein und lauschte an welchen Pier «Jolly Jumper» gehen würde. Wir standen schon bereit um die Leinen zu fangen, als die Schweizer anlegten. Alina und Christoph mit ihren Küken Daliah (6 Jahren), Alexa (4 Jahren, wenn ich mich richtig erinnere) und Ruben (gerade mal 1 Jahr alt) und zwei Italienern als Crew. Alina, Kapitän und Mutter, hatte zunächst mit Marina, Zoll und anderem zutun, weshalb Christoph uns berichtet, woher sie gerade kamen. «Jolly Jumper» hatte in Kuba festgesessen und die Familie fuhr ihre Ketch nun nach Nassau, von wo aus sie von angeheuerten Matrosen nach Spanien gesegelt werden sollte. Nur waren die beiden Kapitäne nicht zufrieden mit den Herren Deckhänden, welche wie wir später erfuhren in Nassau den Hut nehmen mussten. Derweil hatten die Mädchen den Pool mit Badetieren gefüllt. Wir verbrachten die nächsten Tage viel Zeit mit der Familie aus Winterthur. Wir begleiteten Christoph und die Kinder an den Strand, wo Gwendolyn das Meer weit mehr genoss als Ruben. Wir diskutierten mit Alina Ankerplätze. Lasen Globi-Bücher. Trösteten Kinder nach dem Hinfallen. Und fragten uns, ob wir allen Ernstes auch drei Kinder wollten, weil es anstrengend zu sein schien. Dennoch genossen wir die Tage und freuen uns schon darauf den kleinen, grünen Strandeimer nach Winterthur zurückzubringen.

Basteln nach MacGyver

Wir lagen vor einer traumhaften Insel. Aber wir hatten zu tun und keine Zeit faul am Strand zu liegen. Auf der Überfahrt nach Whale Cay hatten wir entschieden, dass unser hinterer Mast sich zu stark bewegte. Er hatte immer etwas gewackelt, aber jetzt bewegte er sich fast einen halben Zentimeter. Also entfernten wir die Abdeckung am Mastfuss und legten damit die keilförmigen Hölzchen frei, die rund um den Mast eingeschlagen waren. Wir konnten sie von Hand bewegen und zogen locker eines heraus. Einfach weiter herunterschlagen konnten wir sie leider nicht – sie hatten einen Rand. Es folgte eine längere Diskussion darüber, wie wir die Keile dicker machen wollten. Nach eingehender Prüfung entschieden wir uns für Retos Vorschlag: Wir machen es wie McGyver mit zwei lagen Tuck Tape. Eines nach dem anderen hoben wir die Hölzchen mit dem Taschenmesser heraus, kratzten damit dicht Masse ab, die gar nicht an die Hölzchen gehörte und reinigten den Keil mit Alkohol. Danach kamen zwei Lagen Superklebeband darauf, welche mit der Schere zurechtgeschnitten wurden. Reto machte die meiste Arbeit, weil ich die Hände voll hatte mit Gwendolyn. Kopfschüttelnd stellten wir fest, dass auch die Reihenfolge der Hölzchen nicht stimmte und daher die Form nicht passte. Kein Wunder hatte der Mast Platz zum Wackeln. Jemand (möglicherweise Brad) hatte den Mastfuss beim letzten Einbau falsch zusammengesetzt. Als alle Stücke an ihrem Platz waren, bekam jedes einen Schlag mit dem Hammer. Damit sass der Mast nun fest in seinem Loch.

Am nächsten Nachmittag blies der Wind über Whale Cay und veranlasste uns das Weite zu suchen. Wir flogen nur so über die Wellen. Nur getrieben vom Grosssegel machten wir sechs Knoten. Im innerhalb weniger Stunden erreichten wir die Riffe, die uns von der Bahama Bank trennten. Unsere Karte informierte uns darüber, dass alle Leuchtfeuer kaputt waren oder gar nicht erst da. Nur ein Pfeiler markierte den Weg durch die Riffe, aber wir durchquerten sie ohne Probleme. Gwendolyn genoss ihre erste Übernachtfahrt. Sie schlief ein sobald die Sonne untergegangen war und wachte Nachts nur ein Mal auf. Wir schliefen überhaupt nicht. Wir waren das lange sitzen nicht mehr gewöhnt und mussten etwas öfter wechseln. Schneller als erwartet hatten wir im Mondschein die Bank überquert. Mit der Morgendämmerung suchten wir uns einen Ankerplatz im Lee von North Bimini. Dort schlief ich ein paar Stunden, während Gwendolyn ihren Vater wach hielt. Bei Tageslicht und Fluthöchststand tuckerten wir schliesslich in den Hafen und dockten waghalsig in der Bluewater Marina. Der Wind verblies unser Manöver, wir machten eine Piruette und brachten es schliesslich fertig eine Leine an den Nachbarpier zu werfen, wo uns fünf Leute an den Pier zogen und vertäuten. Von diesem Pier bewegten wir uns nicht mehr weg.

Shipwreck Bay

Vor August würde Gwendolyn kein Visum bekommen, also hatten wir auch keinen Grund länger in Nassau zu bleiben. Eine Weile spielten wir mit dem Gedanken einen Umweg durch die Abacos zu machen, aber Sea Chantey braucht neue Farbe und neuen Lack. Also proviantierten wir das nötigste und stachen in See. Der Wind blies ordentlich und wir machten gute Fahrt, nur eine Stunde bevor wir unser Ziel erreichten, drehte er uns entgegen, anstatt dass er wie laut Vorhersage einfach aufhörte zu blasen. Durch den Kanal zwischen den Riffen hindurch, hätten wir aber sowieso den Motor gestartet. Entgegen Retos Erwartung war das Wasser in der Bucht sehr ruhig und der Ankergrund gut, doch die vielen Wracks verursachten ein ungutes Gefühl. Dennoch schliefen wir sicher zwischen fünf anderen Yachten. Eigentlich hätten wir am folgenden Morgen schon weiterfahren wollen, aber wenn der Wind sich ändert, ändern sich auch die Pläne. Stattdessen liessen wir unser Dinghy ins Wasser. Reto brachte uns von Wrack zu Wrack und wir diskutierten was diese armen Schiffe wohl versenkt hatte. Zwei Schlepper lagen vor einem riesigen Industriedock, daneben eine zerstörte Motoryacht. Auf dem achtzig Meter langen Frachter hätten wir uns gern umgesehen, da dessen Löcher aber mit unendlich vielen T-Shirts gestopft waren und mit einer Pumpe an einem Feuerwehrschlauch das Wasser ausgepumpt wurde, sahen wir davon ab. Nun ruderte Reto uns an den Strand, wo wir weitere drei Wracks fanden. Im Süden auf dem Fels lag ein wunderschöner Schlepper, allerdings überquerten wir zunächst die Strasse. Kaum 50 Meter landeinwärts suchten wir den Eingang zu einer grossen Höhle. Morgans’ Bluff wurde sie genannt, allerdings halte ich die Geschichte von Henry Morgan, der hier sein Unwesen getrieben haben soll, für unwahrscheinlich. Es war nicht der Stil des Freibeuteradmirals auf Beute zu warten, er ging dort hin wo Beute war. Und obwohl die Höhle mehr Fläche als Retos viereinhalb Zimmer Wohnung hatte, hätte man dort wohl keine ganze Schiffsladung verstecken können. Ich war fasziniert von dem Loch im Boden, durch welches man in die Höhle kletterte und die Wurzeln der Bäume, die durch die Decke wuchsen. Mit einigen Fotos kehrten wir an den Strand zurück und gingen zu Fuss zum Wrack des schönen Dampfschleppers. Es tat uns weh, das wunderschöne, alte Schiff auf dem Fels liegen zu sehen, den der Rumpf war noch äusserst gut in Takt und auch die Aufbauten sahen aus, als ob ein bisschen Liebe und Pflege sie retten könnte. Doch wie das Schiff von seinem Felsen ziehen? Auch hier konnten wir nicht an Bord klettern, weil die Bordwand zu hoch war. Als wir mit Alianza zurückkehrten, sahen wir, dass auch Ruder und Propeller in erschreckend gutem Zustand waren. «Bath» ging uns noch Tage lang nicht aus dem Kopf!

Wegen der ändernden Windrichtung mussten wir uns einen anderen Ankerplatz suchen und verschoben nach einem wunderbaren Tag des Segelns nach Whale Cay in den südlichen Berry Islands. Auch hier dachten wir noch an «Bath». Schliesslich befragte Reto die Google-Suchmaschine und förderte schockierende Nachrichten zu Tage. «Bath» hatte Baujahr 1908 und hatte Schiffe und Plattformen herumgeschoben bis sie in Andros Island aufgelaufen war. Laut Internet war sie 2008 nach Haiti verkauft worden, womit ihre Geschichte im Internet endete. Ja, wir waren schockiert! Wie konnte man ein solches Stück Geschichte nach Haiti verkaufen? Und wie konnte man es auf einem Felsen liegen lassen? Wir waren erschüttert! Aber wir konnten nichts dagegen tun, als uns daran zu gewöhnen, dass «Bath» auf ihrem Felsen verrotten würde. Zumindest bis Reto den Lotto-Jackpot gewinnen würde.

Embassy Trouble

«Es ist Wahljahr in den Bahamas, die Politiker wollen sich mit ihren Leuten gut stellen», erklärte uns Gal im Pink Octopus. Seit dem letzten Lockdown im letzten August hatten er und sein Sous-Chef Wally das Restaurant am Strand der Palm Cay Marina nicht mehr schliessen müssen und hatte dauernd volles Haus – wie fast alle Läden. Wer wieder gewählt werden will, kann sich nicht leisten sein Land dicht zu machen. Die Touristen kommen und Nassau blüht wieder. Entsprechend trafen wir weder die kleine Skyler noch Wallys fünf Kinder – sie mussten wieder zur Schule und ihr Väter hatten im Restaurant sowieso keine Zeit für sie. Der Strassenhund, den wir Scooby nannten, war nicht mehr in der Marina, daher hatten wir auch keine weiteren Gründe lange zu bleiben. Wir ankerten bald vor Athol Island im Norden des Nassau Harbor. Mit unserem Bahamischen Daten-Abonnement konnten wir auch von hier aus ein Visum für Gwendolyn beantragen. Wer weiss, warum ich so sicher war, dass ein Baby kein Visum braucht. Wer weiss, warum Reto es nicht nachkontrolliert hatte. Auf jeden Fall lag ich falsch! Ich beantragte ein Visum und ärgerte mich, dass ein Kleinkind, das nicht sprechen kann, einen Interviewtermin braucht. Was wollten die Konsularen Gwendolyn fragen? Ob sie einen Terroranschlag auf den Präsidenten plante? Ob das Konsulat mit der Antwort zu frieden wäre: «Aga brrrpf»? Aber richtig genervt habe ich mich, als Gwendolyn einen Termin im August bekam. Auch einen Notfalltermin bekamen wir «aufgrund der Covid-19 Situation» nicht. Also entschieden wir, dass Gwendolyn und ich von Bimini aus Fliegen werden und Reto unser Boot alleine über den Golfstrom bringt.

Vorerst dockten wir aber in der Nassau Harbor Club Marina. Die Tropicool Familiy, der Deutsche und die Französin-Kanadierein mit den zwei knallblonden, gelockten Kindern, die wir vor einem Jahr kennengelernt hatten, hatten hier ihren Leoparden geparkt… ähm, ihren Katamaran Leopard 40. Frank hatte letztes Jahr keine Probleme mit dem Boot mit seinem ESTA einzureisen, aber wir wollten das Risiko trotzdem nicht eingehen. Ava und Karl, die Kinder mit den Engelslocken erkannten uns natürlich nicht wieder, obwohl wir eine Woche lang mit ihnen im Pool gespielt, sie auf Sea Chantey Piraten gespielt und ich ihnen Schildkröten gebacken hatte. Dafür bekamen wir Karli’s superleichten, winzig zusammenfaltbaren Kinderwagen für Gwenny. (Ob wir den wohl je benutzen?) Sie hatten sich für drei Tage im luxuriösen Atlantis-Resort eingemietet um Avas siebten Geburtstag in Wasserpark verbringen zu können, daher hatten wir ein Auge auf den Leoparden mit Namen Tropicool. Nach einigen Ausflügen zu Booten, die Richtung Karibik oder Europa fahren würden, verabschiedete sich Dylan. Er fuhr mit der Fähre nach Eleuthra, wo er sich mit einem Kumpel treffen würde. Langweilig wurde es deshalb nicht, den schon am nächsten Tag kam ein uns wohlbekanntes Schiff an unser Dock. Es handelte sich um ein Tauchboot mit grossen Kabinenaufbau, zwei Masten und vielen Hobbytauchern an Bord – das Schiff, welches uns unterwegs nach Shroud Cay entgegen kam. «Beacon Won»’s Kapitän Bruce entpuppte sich als Neufundländer und hatte sein Schiff selbst gebaut – ein Holzboot. Natürlich musste er Sea Chantey sehen und brachte gleich die halbe Crew mit. Danach waren wir um eine angebrochenen Flasche Whiskey ärmer, dafür reicher an Freundschaften. Wir leerten Tags darauf «Beacon Won»’s Kaffeekanne und bekamen eine Führung durch das fast komplett von Bruce gebaute Holzschiff. Wir staunten – mitunter über das Gebastel an Bord! Baumaschinenmotoren von Caterpillar trieben das Tauchboot mit 36 Gästekojen, acht Crewkojen und einer Captain’s Cabin (wo alle paar Wochen auch Frau Kapitän unterkam). Voll beladen musste der Vier-Flammen-Gasherd also 46 Leute verpflegen, was bedeutete, dass in zwei Schichten gegessen wird, weil sonst der Speiseraum zu klein ist. Kiloweise Fleisch lagert im Generatorgetriebenen Tiefkühler. Zwei Eismaschienen produzieren täglich 20 Kilo Eiswürfel. Sogar der Wassermacher war selbstgebaut. Wir staunten! Am allermeisten als Crew und Käpt’n uns erzählten, wie Ava und Karli im letzten Jahr in ihrem Rigg herumturnten und ins Wasser sprangen. Wir versprachen den Tropicools Grüsse auszurichten. Die Zeit reichte gerade noch, damit Reto in der Takelage herumturnen konnte, ehe Beacon Won wieder mit tauchwütigen Touristen überströmt wurde. Nachdem bei allen 30 Personen Fieber gemessen war, das Health Visa der Bahamas kontrolliert und Gepäck an Bord geladen war, stach das ganz besondere Tauchboot in See. Nur wenige Stunden später waren die Tropicools enttäuscht Beacon Won verpasst zu haben.

Sightseeing Dejà-vu

Staniel Cay und die faulen, doch nicht schwimmenden Schweine lockten uns nicht. Wir fuhren achtlos daran vorbei. Dafür genossen wir das Segeln! Der Wind kam von schräg hinten, beständige Briese, Sonnenschein und im Wellenschatten der Inselkette schaukelten wir kaum. Wir fuhren die drei selbstwendenden Segel, hatten es gemütlich und machten gelegentlich sechs Knoten. Ein Traum vom Segeln über Wasser, dass blauer und strahlender war, als der Himmel darüber. Auch Gwendolyn genoss es – wie eine Prinzessin sass sie auf meinem Schoss, überblickte ihr Reich und war jedes Mal lauthals beleidigt, wenn sie in den Kindersitz musste. Fast ein bisschen zu früh, steuerten wir eine Mooring im Exuma Land and Sea Park an. Da wir aber wussten, dass Dylan von den Exumas noch praktisch nichts gesehen hatten, mussten wir am Aquarium halt machen! Beim Schnorcheln am Flugzeugwrack wurde unsere Deckhand zwar fast von einem übermotorisierten Superjachtbeiboot überfahren, aber das Aquarium gefiel ihm ebenso gut, wie uns damals. Ich musste auf Gwendolyn aufpassen und konnte nicht mit, daher war ich doch ein bisschen traurig, dass Dylan die Unterwasserkamera nicht mitgenommen hatte.

Nach einem weiteren Tag mit traumhaftem Segeln schnappten wir uns eine Boje in Wadericks Well, wo sich das Park Hauptquartier befindet. Zu unserer grossen Freude fanden wir diesmal die Ruinen, die wir das letzte Mal nicht gefunden hatten. Dylan schwamm an Land und war deshalb voraus, als wir mit dem Dinghy kamen. Wir brachten ihm seine Schuhe, er zeigte uns den Weg. Unterwegs entdeckten wir auch eine Kolonie der Bisamratten-Art, die auf den Bahamas heimisch, aber schon fast ausgestorben ist. Putzige Tierchen von der Grösse eines Kaninchens mit braunem Fell und einem kurzen, nahezu haarlosen Schwanz. Beim Suchen nach den «Gophers», wie Dylan sie nannte, stolperten wir förmlich über die Davis Ruinen. Angeblich gehörten sie zu einer Plantage, aber dies ist bei dem steinigen, trockenen Gelände schwer zu glauben. Wir fanden die Grundrisse von drei Gebäuden aus Stein und eine Grenzmauer, welche quer über die Insel verläuft. Dennoch nicht sonderlich beindruckt traten wir den Rückweg an und diskutierten darüber, wie die Insel wohl gewesen war, als der erste Mensch dort an Land ging. Sicher viel grüner.

Unterwegs nach Shroud Cay passierten wir ein auffälliges Segelboot mit zwei Masten und äusserst grosser Kabine. Es schien die Segel nicht wahnsinnig häufig zu nutzen, aber es gefiel uns. In Shroud Cay unternahmen wir einen Dinghyausflug, um Dylan die Wasserstrassen durch die Mangroven zu zeigen. Wir benutzen nicht den gleichen Eingang wie vor einem Jahr und verfuhren uns. Dazu musste Reto auch noch gegen den Strom kämpfen, er war bald tiefend vor Schweiss. Wir landeten bei einer weiten flachen Bucht und liefen den Rest bis zum Ufer zu Fuss, weil Alianza unten aufstand. Wir liefen durch Zypressen über eine Hügelkuppe, wo wir mit einem weiten Strand belohnt wurden, den wir noch nicht kannten. Zu unserem eigentlichen Ziel ruderte uns Dylan – für ihn eine neue Erfahrung. Das Wasser schoss durch die Rapids, er musste also mächtig an den Riemen reissen. Trotz seines Bades schien er nicht überwältigt von dem Ort, aber Gwendolyn und ich tauchten genüsslich die Füsse ins reissende Wasser. Nun bei sinkendem Wasser wieder gegen den Strom brachte uns Reto wieder durch den Mangrovenwald nach Hause.

durchs Wasser waten in Shroud Cay

Weil es gut gelegen war, um nach Nassau abzuspringen ankerten wir erneut in der Hufeisenförmigen Bucht von Allens Cay. Ich schnorchelte ein wenig zwischen den Baby-Quallen herum und Dylan fotografierte ein paar Iguanas. Es schien aber an der Zeit in Nassau anzukommen, weshalb wir bei wenig Wind und zum Schluss mit dem Motor über die Yellow Bank tuckerten. Nach wunderbaren Segeltagen kamen also unter Motor wieder in der Palm Cay Marina an. Auch hier erkannte uns das Personal sofort wieder – sie hatten ja letztes Jahr drei Monate Zeit uns kennen zu lernen.

Anbinden in Palm Cay

Die Nordfront

Am Karfreitag würde eine Nordfront mit Winden bis 30 Knoten die Exumas erreichen. Das wussten wir am Dienstag schon. Dennoch hielt ich es für an der Zeit loszufahren. Am meisten war es zu meinem eigenen Leidwesen. An diesem Dienstag zogen regelmässig Regenschauer über uns hinweg. Reto und Dylan segelten praktisch allein, denn ich musste mich regelmässig mit Gwendolyn in der Kabine vor der Nässe verstecken. Im Elizabeth Harbour ging es noch, aber ausserhalb der vorgelagerten Inseln hatten die Wellen genau die Höhe, die ich nicht vertrug. Ich wurde fürchterlich Seekrank in der Kabine, es legte sich kaum, wenn Gwendolyn und ich einmal an Deck sitzen konnten. Gegen Abend blieb das Wetter trocken, weshalb ich mich sosehr erholte, um den Jungs zu helfen in den Rudder Cut zu fahren. Dort warfen wir hinter Rudder Cay den Anker. Weil mit Flut und Ebbe das Wasser durch den Cut (eine Tiefwasserrinne) strömte, drückten Flut und Wind auf unterschiedlichen Richtungen auf das Schiff. Einmal war der Wind stärker, dann wieder die Strömung, weshalb wir die ganze Nacht schaukelten. Reto und ich schliefen kaum, weil wir dem Ankergrund nicht trauten. Entsprechend hart machte uns die gut ausgeschlafene Gwendolyn den folgenden Tag. Zumindest segelte es sich auf der Bankseite der Inselkette wie von selbst und ehe wir uns versahen warfen wir auch schon Anker in Black Point.

Die Crew geniesst das Segeln

Reto ruderte Alianza drei Mal hin und her, bevor ich, das Baby, die ganze Wäsche von vor der Abreise, Ferien in Punta Cana und nach unserer Rückkehr, die Duschsachen und Dylan schliesslich auf dem Pier standen. Sticks, der Kassierer der Rockside Laundry, blinzelte zwei Mal, dann wusste er auch schon, dass die Frau mit dem niedlichen weissen Baby im letzten Sommer den Bauch auf seiner Wiese gesonnt hatte. Nicht nur der Hafen war voller Boote, auch die Wäscherei war voller Segler mit dreckiger Wäsche. Mit sechs von zwölf Waschmaschinen in betrieb kein Problem. Das Problem entstand bei den Trocknern: Nur drei von zwölf funktionierten, mehr schlecht, als recht. Das führte zu einem Stau an den Trocknern, der sich durch den ganzen Tag zog. Zum Glück war ich schon als zweite da gewesen und wurde gegen zwei Uhr am Nachmittag fertig mit der Wäsche! Dylan hatte bis dahin schon die ganze Ortschaft erkundet und eine Dusche genommen. Reto und ich duschten im Anschluss und nacheinander, so konnte Reto Gwendolyn waschen und ich übernahm das trocknen und anziehen. Alle wieder sauber, setzte uns Reto über. Da wir ja wussten, dass starker Wind auf uns zukommt, hängten wir zwei Anker hintereinander und ankerten nahe der Küste zwischen einem Katamaran und einem Segelboot.

Am nächsten Morgen blies der Wind schon ordentlich aus Norden. Zu unserer Verwunderung hatte sich unser Abstand zum Segelboot nicht verändert, während der Katamaran uns beim Drehen des Windes unangenehm Nahe gekommen war. «Das ist ein bisschen Nahe», meinte die Frau auf dem Doppelrumpfboot zwei Mal unterschwellig, bevor ihr Mann explodierte. «Wir waren zuerst hier! Verschwindet! Ich will mehr Kette ausgeben!» Nach Retos Schätzung hatte er mehr als genug Kette draussen, da er solch einen enormen Schwingraum abdeckte. Aber um des Friedens Willen machten sich die diplomatischen Schweizer und ein sehr beschämter amerikanische Hitchhiker daran, bei Wind und Wellen zwei Anker herauf zu wuchten. Glücklicherweise hatten wir niemanden hinter uns und konnten einige Meter zurückdriften bevor Reto die beiden Anker einfach wieder fallen liess. Hätten wir beide komplett hochholen müssen, hätten wir eine gute Stunde sehr gefährlich herummanövrieren müssen, wie Reto der Frau auf dem Katamaran zu erklären versucht hatte. Wir ärgerten uns noch lange über den kleinen Streit, der mit ein paar höflichen Worten und kurzer Diskussion nicht hätte sein müssen. Wieder einmal hätten wir uns dieses Problems gern mit einer Kanone beholfen – zum Glück sind die Dinger zu teuer.

Als der Wind am Ostersonntag zurückging, war der Katamaran verschwunden, ehe wir den Kopf aus der Luke reckten. Kurzerhand wasserten wir das Dinghy. Reto ruderte uns zum nahen, aber im Luv liegenden Strand. Bei Lorraine’s Mutter holten wir Kokosnussbrot. Dann marschierten wir zur Ozeanseite der Insel. Nach kurzer Zeit war das Blow Hole gefunden und wegen des starken Windes der Vortage, blies es regelmässig und kräftig. Die Männer erkundeten die Umgebung, während das Baby und ich es uns gemütlich machten. Bis wir zurückkehrten hatte die Flut den Strand unter Wasser gesetzt und wir wateten durchs Wasser zurück zu Alianza.

Tatendrang

Natürlich hatten wir erst einmal viel zu tun: Einkaufen, dann die Segel aufs Deck hinausschaffen damit wir Platz hatten um die Koffer zu verstauen. Dann musste ein Schlafplatz für Gwendolyn geschaffen werden und ihre Kleider irgendwo verstaut. Wir hängten ihre rosa Hängematte in der Kabine auf. Mit einem weissen Moskitonetz darüber sieht sie nun aus, wie ein schwebendes Himmelbettchen. Ihre Kleider, wie unsere, kamen in Plastikbeutel und wurden in Kästchen und unter Matratzen versorgt. Noch die Werkzeuge für Babybrei in der Galley verstaut und schon konnte ich zwei Reisetaschen in der Segellast deponieren. Bis dahin hatte Reto schon das erste Segel geriggt.

Bei einem Shoppingtrip ins Städtchen trafen wir auf einen jungen Mann, der einen riesigen Rucksack dabei hatte und auf die andere Seite des Hafens, nach Stocking Island wollte. Wir konnten ihn zwar nicht mitnehmen, aber Reto plauderte mit dem Bootstopper bis ich eingekauft hatte. Dylan suchte jemanden der nach Nassau fuhr und ihn vor den 6. April dort absetzten könnte, weil er von dort eine Mitfahrgelegenheit in die Kleinen Antillen hätte. Dafür brauchte er ein Funkgerät, um mit dem Cruisers Net (eine Art Treffen und Informationsaustausch via Funk) teilnehmen zu können. Er schwirrte uns von da an dauernd im Kopf herum. Abends machte Reto eine Ausfahrt mit Alianza zu Chat’n’Chill. Tatsächlich brachte er Dylan mit zurück auf Sea Chantey. Wir assen gemeinsam «Znacht», Dylan spielte seine Gitarre und übernachtete dann auf unserem Deck. Er machte am Folgetag seinen Funkspruch von unserem Gerät aus und half den Rest der Segel zu riggen, während ich mit Gwendolyn und aufräumen voll ausgelastet war. Dann setzte Reto ihn wieder an Volley Ball Beach ab. Wir hatten uns nicht sonderlich an die Quarantäne-Regeln gehalten, aber der Covid-Test den wir am Mittwoch machen mussten, war dennoch negativ.

Dylan und Reto beim Riggen

Nachdem Dylan wieder einige Tage herumgestreunt war, traffen wir ihn wieder. Er hatte leider keine mitfahrgelegenheit gefunden. Aber wir hatten längst beschlossen, ihn mitzunehmen, wenn er das Risiko eingehen wollte, nicht rechtzeitig in Nassau anzukommen. Da wir mit einem Baby reisen, wollten wir vorerst nur Tagestrips segeln. Dylan ging das Risiko ein, daher wollten wir am Samstag das Segeln trainieren. Im Cruisers Net baten wir die anderen Boote im Hafen uns doch bitte zu fotografieren. Also dann los! Motor einschalten um aus dem Hurricane Hole herauszufahren. Reto drehte den Schlüssel und… nichts passierte. Unsere Hauptbatterie hatte über Nacht den Geist aufgegeben. Statt zu segeln, riefen wir das Wassertaxi und ein Strassentaxi um Reto zum Autohändler zu schicken. Wir waren nicht sonderlich guter Hoffnung, da wir eine Lastwagenbatterie für Sea Chantey brauchten. Aber entgegen allen Erwartungen, bekam Reto die einzige Lastwagenbatterie auf der ganzen Insel! Auf dem Heimweg kaufte er in der Apotheke einen Vorrat an Milchpulver für Gwendolyn, den in der Stadt gab es keines. Die Batterie war schnell gewechselt, trotzdem war der Tag vorüber. Wir testeten die Segel am Sonntag bei 25 Knoten Wind. Danach waren wir mehr oder weniger eingespielt und Dylan wusste mehr oder weniger, wo welche Leine hinführte. Wendel, bei dem wir die Mooring im Hurricane Hole gemietet hatten, wies uns eine ausserhalb des Holes zu. Pünktlich zum Sonntagsbraten fanden wir uns bei Chat’n’Chill ein. Am Montag gingen wir mit Sea Chantey ans Dock des Exuma Yachtclubs in Georgetown und proviantierten. Wie üblich liess Reto Eis liefern und füllte Wasser auf, während ich einkaufen ging. Nach einem wunderbaren Mittagessen bei Choppys verabschiedeten wir uns vom Koch Jekyll. Über Nacht gingen wir noch einmal an Wendels Mooring. Er hatte solche Freude an Gwendolyn (die er immer Wendelyn nannte), dass er sogar seine Frau auf einen Schwatz mitbrachte. Mit dem Dinghy und ohne Dylan ruderten wir noch auf einen Schwatz zum Hausboot «Puff». Mark und Margie moderierten ab und an das Cruisers Net und waren von Nova Scotia, weshalb wir uns für in einigen Monaten in Antigonish verabredeten. Und damit waren wir abfahrtbereit.

Fliegen mit Haustieren

Gwendolyn war der Star des Hotels. Vor allem wegen unseres Babys kannten wir in kürzester Zeit einen Grossteil der Urlauber. Die stets gut gelaunte Gabi aus Köln war immer ein Highlight für Gwenny. Sie verbrachte aber auch viel Zeit auf Cathis Schoss, insbesondere damit ihre Eltern auch einmal essen konnten. Zufrieden sass Gwendolyn bei Cathi, strahlte deren Freund Patrick (beide aus Österreich) an und ihre Reisebekanntschaft Mira (aus der Schweiz), von der sie sich kaum je trennten. Auch nicht deutschsprachige Urlauber zog Gwendolyn an wie Honig die Fliegen und auch alle Angestellten schnitten Grimassen für sie. Und für Gwendolyn war es bald selbstverständlich, dass ihr die ganze Welt zu Füsschen lag. Wenn wir uns während der heissen Nachmittagsstunden ins Hotelzimmer zurückzogen, wurde ihr schnell langweilig. Und bald darauf begannen die drückenden Zähnchen zu stören. Und bald darauf hatten wir Geschrei. Entspannung gab es häufig erst, wenn einer von uns armen Eltern mit dem Baby das Zimmer verliess und nach Unterhaltung suchte. Dann konnte der andere arbeiten, Blog schreiben oder sich einmal am Tag entspannen, ehe der andere mit dem gelangweilten Kind zurückkehrte. Was wegen des Durchfalls häufig war. Ich begann bald, allen Leuten davon zu erzählen, um zu erfahren ob wir die einzigen mit rasanter Verdauung waren und von was es kam. Wir bekamen alle möglichen Antworten: Gabi meinte es seien die Eiswürfel – wir Europäer vertragen das dominikanische Wasser nicht. Aber Barbara, die Consierge widerlegte diese Theorie, denn das VIK Cayena Beach Hotel machte die Eiswürfel mit Flaschenwasser. Alice, die nach vierzehn Jahren viel Erfahrung mit den Hotels in Punta Cana hatte, meinte wir sollten uns von den Tomaten fernhalten und nicht zu viele Früchte essen. Dank drei ihrer Imodium-Tabletten wurde zumindest Reto vom Durchfall befreit – und ich verblieb beim Durchfall, weil ich (Dickkopf) prinzipiell keine Symptome sondern nur Ursachen behandle.

Ich hoffte zwar noch immer, dass unser Verdauungsproblem von alleine wieder verschwinden würde, wenn wir uns richtig verhielten. Nachdem wir aber Tomaten, Milch, Eier, Eiswürfel und (leider) allen Alkohol aus unserer Ernährung gestrichen hatten, trat noch immer keine Besserung auf. Unsere Abreise rückte näher und meine Sorge, dass es ohne die passenden Medikamente nicht verschwinden würde, grösser. Zumal wir in den USA keine Zeit für einen Arztbesuch und in den Exumas vermutlich keinen vernünftigen Arzt hatten, begann ich einen Spitalbesuch zu planen. Auch Dr. Victoria Velez, die den Abstrich für unseren Coronatest nahm, riet mir dazu. Am Tag vor unserer Abreise liess ich mich von einem Taxi ins Centro Medico Punta Cana fahren. Allein, denn im Krankenhaus hätten wir uns kaum um Gwendolyn kümmern können, weil wir vermutlich beide Infusion bekommen hätten. Dank des Imodium konnte Reto sich allerdings um Gwenny kümmern und seine Wasserreserven auftanken. Nach einem Telefonat mit meiner Krankenkasse wurde bei mir Temperatur und Blutdruck gemessen, bevor ich ein Becherchen zum vollmachen bekam. Dann wurde ich an den Tropf gehängt. Gluck, gluck, gluck – ich hätte die Flasche nicht so schnell austrinken können wie die Elektrolytlösung in meinem Arm verschwand. Etwa zwei Stunden später war klar, dass Reto und ich einen Parasiten erwischt hatten, der (glaube ich zumindest) Promoeba hysticalis heisst. Der Arzt wollte mich über Nacht behalten um mir Medikament mit den Tropf zu geben, aber da ich zurück zu Mann und Kind wollte, einigten wir uns schliesslich auf eine sehr viel günstigere Tablettenkur. Da ich sowieso 1000 US$ für die Behandlung liegen liess, war mir das doppelt recht. Noch bevor jemand die Nadel aus meinem Arm zog, bekam ich einen Plastiksack voll Tabletten für mich. Aber mein Taxifahrer Leonel brachte mich zu einer Apotheke, wo ich mit meinem Rezept noch einmal Tabletten kaufte. Die Schachteln hatten komplett andere Farben und Namen, aber das kleingedruckte sah fast gleich aus wie bei meinen, also hoffte ich das richtige mitzubringen. Im Hotel musste ich feststellen, dass die Packungsbeilage nur spanisch war. Seither mache ich meinem Lebensgefährten jeden Tag die Tabletten bereit – eigentlich dachte ich, dies erst in zwanzig Jahren tun zu müssen. Bis zum Flug am nächsten Nachmittag zeigte das Zeug Wirkung. Auf dem kurzen Flug nach Miami musste keiner von uns das Flugzeugklo benutzen. Nicht einmal Gwendolyn, sie hatte ihre Stinkbombe schon im Flughafen abgeworfen. In Miami durften wir überall die «Special Assistance» Linie benutzen und durchquerten den Flughafen in Rekordzeit, dennoch kamen wir viel später im Hotel an, als geplant. Dennoch wartete unser Freund David in der Lobby. Ich warf unsere Koffer ins Zimmer und schon begaben wir uns auf den Weg zum nächsten Pub. Wir sassen in der Brauerei bis sie schloss. Sowohl das Früchte- als auch das Kaffeebier blieben uns in Erinnerung. Schliesslich kippten wir ins Bett, hüpften wieder heraus und rasten wieder zum Flughafen. Wie abgemacht wurden wir in Georgetown von Dennis, Ken und dessen Freundin Jeanne abgeholt.

Vogelversch***ener 100ster Blogbeitrag

Kurz vor dem Abendessen wurde ich bespritzt. Mein ganzer Arm war besprüht mit unappetitlicher grünlicher Masse. Von Möwenscheisse getroffen zu werden bringt angeblich Glück. Ich hatte insofern Glück gehabt, dass die Möwe meine Haare nicht getroffen hatte und dass ich nicht wie Reto schon den zweiten Tag an Durchfall litt. Er war nicht der Einzige der Probleme hatte, es hatte verschiedenste andere Urlauber auch erwischt. Bisher hatten wir aber noch nicht herausgefunden, was er sich gefangen hatte.

Durchfall oder nicht, wir hatten einen Ausflug in den Nationalpark gebucht. Morgens wurden wir noch vor dem Frühstück abgeholt. Mit einem riesigen leeren Bus fuhren wir zum Nachbarhotel und mussten in einen vollen Kleinbus umsteigen. In diesem konnten wir zumindest Gwendolyns Maxicosi vernünftig anschnallen. Nach einer halben Stunde machten wir einen Kaffeehalt bei einer Tankstelle. Die holprigen Autobahnen waren für uns schon irgendwie absurd gewesen, aber für mich war es das erste Mal vor einer Tankstelle einen bewaffneten Security Guard zu treffen. Ich hatte jedoch keine Zeit mich gross zu wundern, denn ich wechselte im Bus Gwendolyns Windel, huschte kurz aufs stille Örtchen und schon wurden wir wieder in den Tourbus gepfercht. Den schrecklichen Kaffee trank ich unterwegs zu unseren lausigen Hotel-Sandwichs. Nach einer weiteren Stunde Safari, erreichten wir den Nationalpark Los Haitises. Ich schreibe Safari, weil wir immer wieder anhielten, um ortstypische Merkmale zu bewundern. Zum Beispiel den Schuhladen auf einem Motorrad, wobei das Motorrad unter den vielen Sandalen und Hausschuhen kaum zu sehen war und auch von dem Verkäufer gerade einmal der Hut und das Gesicht zu sehen waren. Oder eine Metzgerei, in der das Fleisch ungekühlt unter dem Vordach hängt, wie in allen anderen auch. Ganze Familien fahren auf einem Motorrad samt Gepäck von A nach B, oder vom Spielsalon zum Hahnenkampf – beides Nationalsportarten. «Wenn Sie einen Motorradfahrer mit Helm sehen, sagen Sie mir Bescheid, damit Hannibal anhalten und ich ein Foto machen kann», bat unser Tourleiter Papa José voller ernst!

Im Nationalpark steckten wir Gwendolyn in die Bauchtrage. Wir wurden auf ein Ausflugsboot verfrachtet, das unser Tourfotograf und selbsternannter Clown Popo (sein Spitzname) die «Costa Concordia/Titanic» nannte. Wir erfuhren auch bald warum, denn unser Kapitän rammte schon nach 10 Metern den Stamm eines Mangroven-Baumes. Alles was nicht schon sass, fiel beinahe über die Bänke. Sobald das Bott aber durch den Kanal im Mangrovenwald fuhr genossen wir alle die Fahrt. Gwendolyn schaute neugierig in alle Richtungen und strahlte voller Freude jeden an, der «Kuckuck» und «Dutzidutzi» sagte. Ihr Liebling blieb aber Popo, der Donald Duck nachahmte wie ein Profi. Egal, wie schön die Mangroven waren und wie viele Vögel wir zu Gesicht bekamen, deren Namen wir schon nach kurzem wieder vergassen, Gwendolyn blieb das Highlight der Tour! Die Töchter einer schweizer Familie waren hingerissen. Bei Regen fuhren wir aus dem Wald in die Bucht von Samana, aber schon als wir die Höhlen erreichten wärmte uns wieder die Sonne. Im Kalkstein der hohen Felsenküste haben sich hunderte von Höhlen gebildet, in denen die vor Jahrhunderten die Ureinwohner der Karibik vor den Hurricanes versteckten. Vermutlich um ihre Angst zu vertreiben (oder um die Zeit tot zu schlagen) bemalten sie die Höhlenwände, mit einer Farbe aus Fledermauskacke und Baumrinde. In Grau finden sich nun Schamanen, Haifische, Vögel und undefinierbare Tiere an den Wänden zwischen Kristallen und Tropfsteinen. Die letzten Taino starben nur fünfzig Jahre nachdem Kolumbus die Karibik entdeckt hatte, daher sind die neusten Zeichnungen Graffiti irgendwelcher viktorianischer Touristen. Gwendolyn genoss die Kühle der Höhle – sie schlief ein. Vorbei an den Resten der ersten Dominikanischen Eisenbahn, gebaut zirka 1900 (wahrscheinlich finanziert von schweizer Schokoladenfabrikanten) schipperten wir zurück in den Mangrovenwald. Wickelpause und ab zurück in den Bus. Reto hatte zum Glück erst an der Anlegestelle wieder ein WC gebraucht, für mich reichte die Pipipause allerdings nicht.

Nur eine gute Stunde rumpelte unser Bus vorbei an Urwald und Plantagen bis zu den Yaniguafällen. Traurig war nur, dass bis Gwendolyn und ihre Sieben Sachen ausgeladen waren, die Schlange am Damen-WC schier unendlich lang war. Fünf Frauen brauchen unendlich lange für ihr Geschäft, wenn man seit einer Stunde auf eine Schüssel wartet. Dafür war das Mittagessen ein Knaller!  Wir befanden uns auf einer Bernstein Ranch mit Plantage, von der die Früchte des Mittagessens kamen. Fisch und Hühnchen waren ebenso wie das Kokosbrot in einem offenen Holzherd zubereitet worden. Anschliessend genossen wir eine Führung über die Ranch. Wir probierten Kakaofrucht, rochen an frischem Kaffee und sahen beim Trocknen der Kerne zu. Retos Highlight war das in zwanzig Metern höhe gebaute Baumhaus, welches nur über eine wackelige, steile und glitschige Treppe zu erreichen war. Ich hatte auf der Plattform in siebzehn Meter Höhe genug – mir war das Ding zu dominikanisch gebaut. Dafür genoss ich die heisse Schokolade umso mehr: Gerösteter Kakaobohnenstampf, Wasser und eine Prise Zimt, nichts weiter. Wer wollte konnte Zucker hinzufügen, aber Hard Core Schoggi-Liebhaber wie ich brauchen keinen. Gwendolyn genoss derweil die Inselschönheiten, oder vielleicht eher umgekehrt? Jedenfalls wollten alle Küchenhilfen und Köchinnen einmal das kleine, weisse Baby herumtragen und wir bekamen es mit Mühe zurück bevor unser Busfahrer wieder hupte. Zum Glück nehme ich meine Wickelunterlage überall hin mit, denn in der Dominikanischen Republik sind Wickeltische noch seltener als in der Schweiz. Aber als ich auf der Treppe vor dem Souvenirshop meinen Wickeltisch einrichtete, bekam das Grossmütterchen von nebenan Mitleid. Ich durfte auf ihrem Gartentisch wickeln, umringt von ihren Töchtern und Enkeln, die das süsse, weisse Baby bewunderten. Diesmal hupte der Chauffeur nicht, denn er sah wie alle anderen unserer Reisegruppe lachend zu, wie die Kinder mit Gwendolyn spielten. Schliesslich bekam ich sie zurück und sie schlief den Rest der Busfahrt – erschlagen von Eindrücken!

Wir kamen zum Abendessen zurück ins Hotel, welches wieder enttäuschend war. Der Koch war zwar aus dem Urlaub zurück und das Essen geniessbar, aber da die Karte täglich zwischen mexikanisch, italienisch und spanisch wechselte, hatten wir trotzdem bald die Nase voll. Mittagessen und Frühstück waren sowieso immer gleich. Leider endete ein wunderbarer Tag mit einem Dämpfer. Retos Durchfall kam zurück. Und ich hatte ihn jetzt auch.