Insel der Erinnernden

Einen weiteren Tag folgten wir dem Fluss der in einen Kanal führte und von dort in die Lagunen von North Carolina führte. Am Cape Fear River drehten wir nach Süden ab und fuhren wieder in bekanntem Gewässer. Bevor uns die starke Tidenstömung wieder ins Meer hinaus spühlte, drehte uns Reto um und hielt uns im Strom. Wir warteten vor der scharfen Einfahrt bis die Fähre den Hafen wieder verlassen hatte und etwas länger. Im Hafen von Bald Head Island verursacht die starke Fähre einen Wirbelförmigen Strom, der sich erst nach einigen Minuten wieder legt. Danach fuhren wir wie im Januar 2020 an die Tankstelle. Es dauerte nicht lange bis sich Jo, eine der Hafenmeister, an uns erinnerte. Sie hielt geduldig unsere schreiende Gwendolyn bis wir aufgetankt hatten – Gwendolyn gefiel die Prozedur gar nicht. Danach durften wir in einem der Slips parkieren. Jo musste zwar ein wenig herumtelefonieren, aber wie sie herausfand würde das Boot, für welches der Slip am nächsten Tag reserviert war, nicht kommen.

Reto, Gwenny und ich machten uns daher auf die Suche nach all den Menschen, die wir im vorletzten Winter getroffen hatten. Wir begannen logischerweise in der Bar. Hannah, unsere Bartenderin, hatte alle Hände voll zu tun, aber um Gwendolyn kennenzulernen und mit ihrem ersten Bar Equipment auszustatten langte die Zeit allemal. Seither kaut Gwendolyn regelmässig auf dem Holzstab herum, den man eigentlich zum zerdrücken von Limetten im Glas benutzt. Dafür hatte Julie Zeit, der «Jules Salty Grub and Island Pub» gehört. Sie gönnte sich wie so oft ein Glas Wein an ihrer eigenen Bar, als sie sich plötzlich erinnerte: «I know you, guys!» Kurze Zeit später trugen ihre Töchter Gwendolyn umher und gaben sie jedes Mal weiter, wenn eine wieder servieren musste. Alle drei halfen während den Sommerferien im Pub aus, da auch in North Carolina überall die Angestellten fehlen. Auch hier ist das Arbeitslosengeld wegen Corona zu gut um arbeiten zu gehen. Auch Jerry trafen wir wieder und Julie versuchte zwar ihn aus seiner Schreibkammer zu locken, aber Michael tauchte nicht auf.

Julie lieh uns am folgenden Sonntag ihren Golf Kart aus. Ihre Bar war geschlossen und sie daher auf dem Festland. Leider hatte ihre Töchter das vierplätzige Elektroauto aber nicht eingesteckt, weshalb wir zunächst im Marina Office nachfragten, wie weit man den mit drei Balken auf der Batterieanzeige kommt. Ben, unser Marina Manager, meinte, dass wir nicht weit kommen würden, weshalb wir den lila Golf Kart vorerst am Strom ansteckten. Eine gute Stunde später fuhren wir damit zum Einkaufszentrum der Insel. Wir stellten auch hier fest, dass die Insel voll mit Leuten ist – es ist nicht nur Sommer, sondern auch alle Hausbesitzer verstecken sich seit Monaten auf der Insel vor Corona. Alle Läden waren geöffnet und wir machten im Hardware Store halt, bevor ich Reto mit Gwendolyn im Kinderwagen im Café abstellte. Ich machte mich auf Lebensmitteljagd, während Reto von Frauen umschwirrt wurde, die Gwendolyn zum Lachen bringen wollten, wie eine Kerze von Motten. Zum Schluss lud er unsere Kassiererin zum Segeln ein, bevor wir den lila Golf Kart wieder beluden. Da wir nun noch einen Nachmittag zur Verfügung hatten, fuhren wir an den Strand. Eigentlich hätten wir gern gebadet, aber wir waren zu faul Gwenny in ihre Badesachen zu stecken, nur um eine Weile im Wasser zu sitzen.

Wir genossen noch einen faulen Tag und einen gemütlichen Abend in der Bar, bevor wir am späten morgen aufbrachen. Da wir den Cape Fear River hochfahren wollten, mussten wir mit der Flut fahren. Besonders durch den Kanal brauchten wir den Strom auf unserer Seite. Für Sea Chantey waren die Wassertiefen zwischen Fluss und Kanal überall ein wenig knapp, aber wir erreichten die künstliche Durchfahrt problemlos. Statt weiter dem Intracoastal Waterway zu folgen und bis mitten in der Nacht keinen vernünftigen Ankerplatz zu erreichen, schwenkten wir nach dem Kanal nach rechts. In der Bucht von Carolina Beach schnappten wir uns einen Mooringball. Zum Glück hatte ich schon am Vormittag eine Mooring reserviert, denn es war die letzte freie von zehn. Reto ruderte seine kleine Familie an Land und wir taten, was Julie uns wärmstens empfohlen hatte: Wir gingen Doughnuts (korrekt) essen! Dieser Laden hatte zwar angeblich die zweit besten Donuts (amerikanisch) im ganzen Land und Reto fand sie klasse, aber ich bin und bleibe KEIN Fan von Donuts. Aber den Spaziergang über den Boardwalk am Stand entlang genoss ich sehr. Wir schaukelten auf den hängenden Bänken und rannten anschliessend vor dem Regen davon. Nach dem kleinen Schauer brachte Reto uns nach Hause.

Wie im Amazonas

Wir mussten nicht irrsinnig früh abfahren, da wir sowohl um aus unserem Liegeplatz herauszukommen als auch um durch die Brücke zu gehen Slack Tide brauchten (Strömungsstillstand bei Höchst- oder Niedrigstwasser). Es war nur fünf Meilen die Bucht hinunter und den kleinen Fluss hinauf bis zur Brücke und wir erreichten die Brücke wie geplant mit leicht auslaufendem Wasser. Im Gegenstrom ist es einfacher vor der Brücke zu warten bis sie geöffnet wird, weil das Schiff nicht auf diese zugetrieben wird. Nachdem wir vorsichtig einige Untiefen im Kanal überquert hatten, folgten wir dem Intracoastal Waterway durch Salt Marsch. Dies ist eine Bezeichnung für Sumpfland mit hohem Grass in Salzwasser. Durch diesen verliefen Flüsse mit starkem Gezeitenstrom. In einem solchen ankerten wir mit der untergehenden Sonne.

Am nächsten Tag folgten wir dem Kanal bis wir auf einen weiten Fluss stiessen. Die einlaufende Flut half uns ein wenig flussaufwärts, während am Ufer der Boden fest wurde und mit jeder Meile, die wir uns vorbewegten, die Bäume höher wuchsen. Bald fuhren wir gegen dauernden sanften Gegenstrom an, weil die Gezeiten den Fluss nicht mehr reichten. Die Bäume wuchsen links und rechts bis in den Fluss hinein, wo manchmal Bäume manchmal Baumstümpfe aus dem Wasser ragten. Weiter Flussaufwärts schlängelte sich der Waccamaw River in weiten Kurven durchs Land. Er war erstaunlich tief, an manchen Stellen bis zu zehn Meter. Tatsächlich gibt es an einigen Orten Häfen, aber diese waren uns zu teuer. Wir ankerten schliesslich an einer seichten Stelle im Fluss.

Geschichten aus Charleston

Wieder einmal sind wir ohne Rettungsinsel unterwegs. Um Sea Chantey in der Schweiz wieder einlösen zu können, muss diese kontrolliert werden. Nach Stundenlangem googlen fand Reto einen Händler in Charleston, der solche Kontrollen eigentlich machen sollte – dieser hier wollte aber lieber eine neue Rettungsinsel verkaufen. Jedoch bekamen wir die Adresse einer Servicestelle und entschieden uns unsere Rettungsinsel nach Secaucas vorauszuschicken. Den Ditch Bag, der Wasser, Nahrungsmittel und Leuchtraketen enthält kontrollierten wir selbst, die Leuchtraketen gilt es noch zu ersetzten. Mit der Rettungsinsel liessen wir uns per Uber zu einem UPS Store bringen. Die Rettungsinsel nach Secaucas zu schicken, war übrigens günstiger als jedes einzelne Packet, dass ich schon über den Atlantik schickte.

Mhhh… Glacé-Sandwich!!!

Zumal wir schon in der Stadt waren, genossen wir sie auch. Zmittag beim Chinesen, Glacé bei Peace Pie und Kaffee im möchte-gern-französichen Café (das Praliné, welches ich für Reto kaufte, war teuer aber zumindest lecker). Wir streunten durch die Kunstausstellung im Park, spazierten entlang dem historischen Dock und wurden in einer Galerie zum Wine-Tasting eingeladen. Reto genoss den Wein, Gwendolyn übte auf dem Teppich kriechen und bekam tausend Komplimente, während ich die Kunst betrachtete. Besonders gefiel mir der Fisch im Martiniglas: Schichtweise wurde Acrylglas ins Martiniglas geschüttet und jede Schicht bemalt. Von oben war der Fisch dreidimensional zu sehen, von der Seite unsichtbar – ich fand es grandios! (Und ich kopiere es vielleicht irgendwann…) Vor lauter Wein, Kunst und Gesellschaft verpassten wir prompt das Wassertaxi, welches uns hätte zur Marina zurückbringen können. Zu allem Überfluss braute sich am Himmel eine grosse, dramatische, schwarze Wolke zusammen. Kaum hatten wir uns bei einem Hotel untergestellt, prasselte der Regen herunter wie aus der Duschbrause. Unser Uber Fahrer fackelte nicht lange – Mann rein, Kind rein, Kinderwagen rein, Frau rein – abfahren. Von trockenen Auto sitzen aus sahen wir zu wie der Himmel Kübelweise Wasser auf Charleston herabschüttete. Die Strassen waren innert Minuten überschwemmt. Auch das Aussteige-Manöver wurde minuziös geplant: Reto und Gwendolyn voraus, ich hinterher und unser Fahrer brachte uns den Kinderwagen unter den Eingang des Restaurants Fishhouse, welches zum Resort gehörte. Wir assen noch einmal auswärts bis der Regen vorübergezogen war.

Waschen, Trocknen, Putzen, Windeln und andere Produkte einkaufen, sowie Unterhalt an Sea Chantey erledigten wir in den nächsten Tagen. Windeln kaufe ich prinzipiell bei Walmart, wie auch Feuchttücher. Obwohl alle davon schwärmen, bin ich kein Fan von Pampers. Erst recht nicht mehr seit ich gemerkt habe, dass Gwendolyns Windelbereich von den Pampers Feuchttüchern wund wird. Sie scheint das Vitamin C, welches zum Haltbar machen verwendet wird, nicht zu vertragen – aber Walmarts Billigstline ist für ihre Haut kein Problem. Auch Walmarts Windelsortiment sagt mir sehr zu, manchmal kann ich sogar die gleichen Windeln kaufen, die ich in der Migros kaufe. Einziger Minuspunkt ist, dass Walmart Super Center etwas dünner gestreut sind als Publix. Ein netter Herr brachte mich in seinem Pick-Up zur Marina zurück und half mir sogar meine Bagage zum Schiff zu tragen.

Wenn ich einmal den Rücken freigehalten brauchte, schnappte sich Reto unser zahnendes Baby. Meistens führte sein Weg ihn zum Pool, wo er und Gwendolyn im Hot Tub mit dem kleinen Plastik-Raddampfer spielten. Einmal ging er sich den Zerstörer ansehen, der gegenüber des Flugzeugträgers USS Yorktown am Museumsdock gleich neben der Marina festgemacht ist. Gwendolyn schlief ein bevor sie ganz an Bord waren.

Einmal durften wir auch nur zum Spass in die Stadt. Wir fuhren mit dem Wassertaxi über den Hafen und schaukelten am Taxi-Dock auf den Schaukelbänken. Gwendolyn und ich planschten in beiden Brunnen des Waterfront Park, bevor wir Empanadas zu Mittag assen. Ein Glacé, ein Spaziergang und eine Fahrt im Wassertaxi zurück nach Hause rundeten den Tag ab. Eigetlich hätten wir dann am nächsten Tag gleich weitergewollt, aber wir schliefen so schlecht, dass wir noch einen Tag blieben. Wir unternahmen mit dem Ausflugsschiff «Spirit of South Carolina» eine Tour nach Fort Sumpter mitten im Hafen. Es war einst riesig, erzählten die Tafeln entlang der Mauerreste, bevor es im Civil War kurz und klein geschossen wurde und die Reste im Zweiten Weltkrieg mit Sand aufgefüllt. Heute buddeln Ranger das Fort stück für Stück wieder aus. Wir waren wieder einmal sehr glücklich über unseren Ultraleicht-Kinderwagen, den wir überall tragen können, denn das Fort ist nicht besonders rollstuhlgängig. Nach viel zu kurzen zwei Stunden wurden alle Gäste wieder auf das Ausflugsschiff verfrachtet und zurück an Land gebracht. Am Nachmittag kam noch der Rest unserer Post und Rahel brachte Reto Dichtungsmittel. Sie ist Bootsbaulehrerin für Holzboote in einer winzigen Bootswerkstatt und erzählte uns von ihrem geliebten Holzboot. Woher wir sie denn kennen? Florent hatte sie Tage zuvor angequatscht.

Die Mittwoch-Regatta

Chloé und Florent brachten am folgenden Dienstagmorgen PJs Dinghy zurück und gingen in die Stadt, während wir den Anker lichteten. Zu Dritt, Reto, Gwendolyn und ich, tuckerten wir über den Hafen und dockten nach einer Pirouette am E Dock im Charleston Harbor Resort. Unsere Hitchhiker kamen abends mit dem letzten Wassertaxi an und brachten uns Sauerkraut zum Abendessen. Chloé kommt ursprünglich aus dem Elsass und Sauerkraut ist in ihrem Heimatort so wichtig, dass jährlich sogar ein Sauerkraut Festival stattfindet. Lustig nur, dass ich ihr erklären musste wie man Sauerkraut kocht. Florent erschwatzte beim Restaurant noch einige Kartoffeln, aber Reto und ich fanden, dass ohne Speck einfach etwas fehlte.

Nicht PJ’s Schiff – dieses hätte die Regatta sicher gewonnen

Jeden Mittwoch veranstaltet PJs Hafenclub eine Regatta für die eigenen Clubmitglieder und die Clubs aus der Umgebung. Da die Regatta um fünf Uhr losgeht, war PJ schon etwas im Stress als er uns kurz nach vier Uhr abholte. Chloé, Florent und Reto hatten sich bereiterklärt bei dieser Regatta seine Crew zu sein. Ich ergriff die Gelegenheit mich in die Stadt fahren zu lassen. Im Hafenclub etwas trinken gehen, konnte ich leider nicht. Da für Mitglieder alles gratis ist, musste man mit einem Mitglied dort sein, um etwas zu bekommen. Stattdessen packte ich Gwendolyn in den Kinderwagen und schob sie in die Stadt. Ich musste zwar eine ganze Weile suchen, aber schliesslich fand ich doch den Ableger von Peace Pie. Gwendolyn bekam auch einen Schleck von meinem Glacé-Sandwich und sah unendlich herzig aus mit dem Schoggischnauz. Ich kam ein bisschen nach der abgemachten Zeit wieder bei PJs Marina an, musste aber dennoch warten. PJ und Crew auf «Cool Change» kamen auf Platz Vier in ihrer Klasse im Ziel an. Schade nur, dass in dieser Klasse nur vier Boote teilgenommen hatten. Als ich sah, dass die Crew unterwegs eine Flasche Schnaps geleert hatte, war mir auch klar, warum. Jedenfalls gingen wir alle zur Preisverleihung im Yacht Club und assen Hamburger. Gwendolyn gefiel es nicht durchweg zwischen den vielen, lauten Leuten. So kamen wir mit einer Dame am Nachbartisch ins Gespräch. Nach kurzer Zeit entpuppte sich Iris Esch als ausgewanderte Deutsche. Natürlich stellten wir bald auch unsere Franzosen vor und liessen sie von ihren Plänen erzählen. «Ihr wollt zu den Smokey Mountains? Das ist bei uns gleich um die Ecke!», erklärte Iris kurz darauf. Da sie und ihr Mann am folgenden Morgen nach Hause fahren würden, verabredeten sich Chloé und Florent gleich mit ihnen. Auf Sea Chantey begann das grosse Packen, sobald wir zurück waren und nach dem ersten Kaffee bestiegen die Studenten aus Bordeaux das Wassertaxi.

Memorial Day Weekend

Toogoodoo River ist der Ort an dem ich aus Versehen und Reto mit voller Absicht Gwendolyn fabriziert hatten. Dennoch fuhren wir am nächsten Tag weiter ohne ihr die Geschichte näher zu bringen. Vermutlich sind wir das einzige Schiff, welches in diesem Abschnitt der Intracoastal Waterways segelt. Die kleinen Ausflugsboote betrachteten uns mit Freude. Einem übergaben wir in voller Fahrt eine Visitenkarte und bekamen einige coole Fotos zurück. Aber ich staunte nicht schlecht als wir in Chaleston, inzwischen in South Carolina ankamen. Ich telefonierte mit jeder – JEDER – Marina, aber ALLE waren voll! Da wir inzwischen eine Tour durch den Hafen gemacht hatten, ankerten wir im Wando River, einige Meilen oberhalb der Stadt. Ich fühlte mich schuldig, nicht reserviert zu haben. Das Memorial Day Weekend war, wussten wir noch nicht. Im Grossen und Ganzen gefiel uns der Ankerplatz sehr, nur ging an diesem Abend das Wasser in den Tanks aus. Reto musste in Sea Chanteys hinterste Winkel kriechen, um das kanadische Wasser in den Kanistern hervorzuholen. Am Sonntagmittag gingen wir Tanken, kauften Eis und füllten die Tanks und Kanister auf. Die Jungs konnten es nicht sein lassen und segelten zum Ankerplatz auf der anderen Seite der Stadt, gegenüber der Marina, in der das Boot von einem Freund von Chloé und Florent seinen Hafenplatz hatte. Ihr Freund PJ kam uns mit seinem Dinghy begrüssen, noch bevor wir Anker geworfen hatten. Er überliess uns sein motorisiertes Dinghy für die nächsten Tage und seine Schlüsselkarte für die Duschen der Marina. So flitzten Chloé und ich mit Florent am Steuer zum nächsten Laden. Wir verloren Florent einmal, fanden ihn wieder mit einer riesigen Schachtel Minitischbomben (denn er liebt Feuerwerk) und guckten unter dem Zaun hindurch beim Baseball Match zu. Nach einem Home Run (wenn der Ball das Stadion verlässt) rannte auch Florent plötzlich davon. Zurück kam er mit einem Baseball. Reto und Gwendolyn waren in der Zwischenzeit zum Glück nicht abgetrieben.

Nach einer Dusche gingen wir die Stadt erkunden. Reto liebte die schönen, alten Holzhäuser, mir gefielen die Gärten und Auffahrten. Nach dem Mittagessen liess Florent wieder seine Magie wirken: Er begrüsste den Verkäufer im Teppichladen auf Französisch und traf voll ins Schwarze. Obwohl die Teppiche türkisch waren, war der Verkäufer Marokkaner. Ein kleiner Schwatz und wir sassen mit Apfeltee auf dem Diwan während Gwendolyn auf einem seidenen Teppich herumkrabbelte (oder zumindest versuchte sie es). Wir spazierten durch die Stadt und durch einen der vielen Pärke. In der Zeltstadt einer Kunstausstellung verloren wir Florent erneut, der Kunstabsolvent plauderte eine gute Stunde mit einem Künstler. Dann mussten wir uns plötzlich beeilen: Reto und ich wollten uns noch umziehen, ehe PJ uns abholen kam. Wir waren schliesslich zum Abendessen eingeladen. Das Haus im Sumpf, welches PJ mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn seit zwei Jahren bewohnte, war wunderbar. Wasser zu drei Seiten, Veranda zu drei Seiten und rundum Blick ins Grüne. Nach dem Abendessen versuchten wir uns im Toubalou, ein Kartenspiel welches Chloé, Florent und PJ oft gespielt hatten, während sie gemeinsam unterwegs gewesen waren. Chloé hat geradezu magische Fähigkeiten diese Spiel zu gewinnen, während wir drei Neulinge kläglich versagten.

Übernacht nach Estido River

Wir mussten bis zur Ebbtide warten, weil wir sonst gegen den Strom hätten fahren müssen. Das gab Chloé und Florent die Zeit rechtzeitig wieder an Bord zukommen und mir die Zeit Kaffee zu trinken. Weil es so warm ist, wacht Gwendolyn häufiger auf und möchte trinken, was meine Nächte kürzer macht. Da sie bei mir im Bett schief während die Hitchhiker bei uns waren, musste ich nachts zumindest seltener aufstehen. Müde war ich trotzdem. Als wir das letzte Mal durch den St. Marys Inlet hineingefahren waren, erlebten wir die höchsten und erschreckendsten Wellen auf unserer ganzen Reise, diesmal war das Wasser flach wie ein Spiegel. Wir motorten die ersten Stunden ehe die Segel wirklich zogen, weil kaum Wind blies. Der Wind am Nachmittag kam so stark von hinten, dass wir nur das Grosssegel setzten. Chloé und Florent machten sich ordentlich, obwohl ihre Instruktion nicht halb so gut war wie Dylans. Chloé steuert wie ein Ass, während Florent ein verträumter Kerl ist und hin und wieder aus dem Kurs läuft. Aber er übernahm gerne einem Teil meiner Schicht wenn Gwendolyn wieder Mami wollte und niemanden sonst, was mich zu ewigem Dank verpflichtet. Der Wind wurde gegen Abend mehr und blieb nachts konstant. Ich schlief nicht gut, weil ich seit meiner Hormonkur (meine Schwangerschaft) etwas übervorsichtig bin. Reto schlief überhaupt nicht, weil er weder das Vertrauen in seine neue Crew noch Ruhe finden konnte, wenn er ein bisschen geschaukelt wird. Eltern zu sein, hat uns beide verändert. Dennoch war die Welt magisch, als ich kurz nach Sonnenaufgang die Wache von Chloé übernahm, das Foto spricht für sich.

Am Vormittag fiel der Wind in sich zusammen und Reto entschied noch ein wenig zu Motoren, damit wir Estido River südlich von Charleston mit Sicherheit mit der Flut erreichen würden. Es war nicht seine beste Entscheidung, denn am Nachmittag nahm der Wind wieder zu und wir flogen nur so dahin. Aber wie hätte er dies wissen können? Wir versuchten langsam zu fahren und kamen kurz nach den Gezeitenwechsel vor dem Estido River Inlet an. Der Estido River Inlet gilt als gefährlich, weil ihm einige Untiefen vorgelagert sind, aber wir folgten einem grossen Shrimp-Fischerboot durch den Inlet. Sie benutzen den Kanal in den Estido River täglich und wissen genau, wo er am tiefsten und am sichersten ist. Natürlich musste ich bei furchtbaren Wellen die Segel einholen – ich bin ja geübt! Ohne Segel nur getrieben von Sea Chantey Windwiederstand, surften wir an den Bojen vorbei durch den Inlet. Es war noch zu wellig um den Motor zu starten. Chloé behielt den Tiefenmesser im Auge, während ich die Karte dauernd vor Augen hatte. Ich weiss nicht wie Reto ohne Segel oder Motor solch eine gerade Line fahren konnte, aber er brachte uns in pfeilgerade in den Estido River. Die Wolken türmten sich vor dem Sonnenuntergang, der sich in gelb, orange, dann blutrot über den westlichen Horizont erstreckte. Gwendolyn weidete ihre glänzenden, kleinen Augen daran, während Florent mit seinem Fischauge versuchte Fotos von Sea Chantey zu machen. Mit sechs Knoten flitzen wir den Fluss hinauf und ankerten in dem Moment im Toogoodoo River, als die Sonne unterging. Und wir schliefen wie Steine!

Die Gurkeninsel

Nach vier Tagen in St. Augustine hätten wir für immer bleiben können, wie letztes Mal auch. Aber wir nahmen uns zusammen und fuhren weiter nach Norden. Durch den ICW tuckerten wir weiter, durch Brücken und Kanäle, mit einem kurzen, ungeplanten, holperigen Stopp auf einer Sandbank, nach Fernandina Beach. Dann durch den St. Marys River, auf der anderen Seite hoch bis wir in eine Fluss ankerten. Unser Ankerplatz war nur 200 Meter vom Dock der Ranger Station auf Cumberland Island entfernt. Der Nationalpark wurde uns von allen Seiten empfohlen, weshalb Reto zuerst mich und Gwendolyn mit der Trage dann Chloé und Florent hinüberruderte. Ich las gerade die Tafeln im Wartebereich des Fährendocks als Reto mich aufgeregt aufforderte zurück zum Dinghy Dock zu kommen. Ich traute meinen Augen kaum. Erst sah ich nur kleine Wirbel auf dem Wasser, dann hi und da eine Flosse. Die Wirbel liessen grosse Tiere vermuten, aber der Form nach konnten es keine Delfine sein. Schliesslich streckte das erste Tier den Kopf aus dem Wasser: Ein Manati, dann noch eins. Wir zählten mindesten acht, die sich zwischen dem Dock und dem Land tummelten und wir konnten vom Pier auf sie herabsehen. Es war unmöglich sie zu fotografieren, denn unter Wasser waren die grossen Seekühe unsichtbar und die Nasen, Rücken und Flossen zu schnell wieder verschwunden. Nach einer Weile musste ich den anderen Folgen, obwohl ich den Tieren noch ewig hätte zusehen können. Endlich habe ich die Tiere gesehen, die ich ganz passend in meinem Seefahrer-Roman beschrieben habe.

An Land ging die Safari non-stop weiter. Ein Amarillo, also ein Gürteltier, flitzte über die Wiese, die wilden Pferde grasten in der Ferne, Zitronenfalter überall. Wir entschieden einmal quer über die Insel zu laufen und an den Atlantik-Strand zu gehen. Der Weg führte uns an den Ruinen einer immensen Villa vorbei. The Dungerous wurde im 18. Jahrhundert erbaut und hatte alles was man an Luxus haben wollte – 50 Zimmer, ein Freizeithaus mit Pool und Schiessstand, ein Gemüsegarten mit Treibhaus und Gästehäuser. In der nähe wurde ein ganzes Dorf erbaut um die Dienstboten, Gärtner und sonstigen angestellten zu beherbergen. Ein Stall mit Kutschenhaus, ein Kuhstall mit Molkerei, der Luxus schien kein Ende zu nehmen. Am Dock, wo wir angelegt hatten stand noch das Eishaus, welches heute ein Museum ist. Das Geld kam von den grossen Bäumen, die überall standen. Unzählige Schiffe wurden aus dem Holz von Live Oaks gebaut, die von Natur aus in den perfekten Bögen wuchsen die Schiffe nun einmal haben. Das Business war so immens gewesen, die Besitzer bauten weiter nördlich zwei weitere Villen für ihre Kinder! Dann war die Villa plötzlich unbewohnt, ging vergessen und zerfiel. Reto und ich durften nicht einmal in der Ruine herumklettern – zu viele KEEP OUT Schilder und zu viele Ranger Augen, die aufpassten. So machten wir Pause im Schatten und begannen bald mit anderen Bootsbesitzern zu Plaudern. Reto sass mit Gwendolyn auf einer Bank, als uns ein älteres Paar erklärte eine Hirschkuh hätte ihr Kalb verloren. Obwohl alle Tiere auf Cumberland Island wild sind, kam die Hirschkuh bald näher auf der Suche nach ihrem Jungtier. Bald betrachtete sie sehr interessiert Gwendolyn und kam immer näher. Ich zog mein Handy heraus um alles zu filmen – sonst glaubt doch niemand, dass eine wilde Hirschkuh immer näher an ein Baby herangeht und es plötzlich neugierig mit der Nase berührt! Sowohl Gwendolyn als auch die Hirschkuh waren ein bisschen schockiert. Aber während Gwendolyn bald zu lachen begann als sie ihr fasziniertes Mami sah, suchte die Hirschkuh zufrieden weiter nach ihrem Kalb. Für uns steht fest, falls Gwendolyn einen Indianer heiratet, wird ihr Name: Berührt-vom-Reh.

Nach diesem magischen treffen, dass auf Video aufgenommen wurde, wanderten wir zum Strand. Gwendolyn Touched-by-the-Deer wurde allmählich schwer, während wir über einen Pier durch den Salzwassersumpf gingen. Bis wir über die Dünen das Meer erreichten waren Reto und ich «uf de Schnitz» waren. Chloé machte mit ihrer Kamera ein Bild von uns, wie wir uns auf einem grossen Stück Treibholz ausruhten. Sie und Florent machten einen langen Standspaziergang zurück zum Pier, während wir den kurzen Weg nahmen, den wir gekommen waren. Uns begegneten ein Truthahn und ein paar Ranger. Als Reto eine Stunde oder zwei später Chloé und Florent abholte, packten die nur ihre Schlafsäcke ein. Sie entschieden an Land zu übernachten, weil ihnen die Insel so gefiel. Da wir nicht früh raus mussten, hatten wir nichts dagegen und Reto ruderte die beiden wieder an Land.

Übrigen, wegen der Gurkeninsel… Ich verplapperte mich sicher zwanzig Mal und musste mich dauernd selbst korrigieren, wenn ich einmal wieder von Cucumber Island statt von Cumberland Island sprach. Meine Legasthenie?

Geocaching in St. Augustine

Nach einem halben Tag unter wackeligen Segeln bei böigem Wind erreichten wir St. Augustine. Wir hatten die Ortschaft, die uns so sehr an Südfrankreich erinnerte, liebgewonnen und mieteten für ein paar Tage eine Mooringboje. Weil wir erst gegen Abend in die Stadt gingen, war Bouviers Kartenladen leider schon geschlossen, dafür warfen wir einen Blick in die Galerie nebenan. Mir gefiel besonders ein Bild an dem der Künstler jedes Wochenende noch arbeitete, aber ich kann gleich klären, dass ich dreimal in der Galerie war und ihn immer verpasste. Mit Gwendolyn im Ultraleicht-Kinderwagen wanderten wir zuerst durch die älteste Strasse in Florida und dann durch das Touristenviertel. Wir hätten gerne an einer Führung durch das Flagler Collage mit seiner spannenden, aufwendigen Architektur teilgenommen, aber wegen Covid wurden nur Führungen für künftige Studenten durchgeführt. Ansonsten merkt man von Covid nicht mehr viel. Das Servicepersonal muss Schutzmasken tragen und in manchen Geschäften müssen auch die Kunden eine aussetzten. In Retos geliebter Sangria Bar, in der wir in vier Tagen drei Mal Halt machen, trug nicht mal das Personal Maske. Als wir entschieden auswärts zu essen ging die Sucherei los – finde ein Restaurant mit mehr als einem vegetarischen Gericht in den USA! Wir streunten einmal quer durch die Altstadt ehe wir in einem Seafood Restaurant einkehrten und Chloé und Florent Beyond Meet (Bohnen) Burger bestellten.

Chloé und Gwendolyn im Pub

Nach der Wäsche schafften es Reto, Gwendolyn im Kinderwagen und ich zu Bouvier in den Kartenladen. Er freute sich riesig, besonders als er Klein-Gwendolynchen kennenlernte. Er genoss es seine Arbeitszeit mit dem Baby zu verblödeln, während wir seine Schätze freilegten. Wenn ich ein bisschen Geld übrig gehabt hätte, hätte ich vermutlich eine Karte der Karibik gekauft. Aber wie zu Beginn erwartet geht unser Geld gegen Ende der Reise zur Neige. Und das Ende der Reise naht. Wer denkt wir während ohne Karten gegangen, kennt Bouvier nicht. Er geniesst es Leute wie uns in seinem Laden zu haben, die drei oder vier Stunden alte Karten anhimmeln können. Statt Karibik von 1729 nahm ich also Bouviers Geschenk mit: Schweiz 1890. Dazu ein bisschen Lesestoff für Reto.  Leider wollte er nicht mit uns Eis essen kommen. Ich habe eine neue Lieblingseisdiele – Peace Pie, mit Ablegern in drei Orten. Sie verkaufen Glacé-Sandwich: Ein grosses Guetsli, dann eine Kugel Glacé, eine Lage Kuchenfüllung wie Ganache, Erdnussbutter, Caramel oder ähnlich und zum Abschluss noch ein Keks, wie zu beginn. Ja, man braucht am Ende eine Serviette, aber ich liebe Icecream Sandwich. Dann gingen wir auf Schatzsuche. Chloé wusste von einem Geocache gleich beim Spanischen Fort. Sie lotste uns zu einem steinernen Ofen, der vor Jahrhunderten dazu benutzt worden war um Kanonenkugeln zum Glühen zu bringen, damit sie die angreifenden Schiffe in brand setzten. Aber wir fanden den Cache nicht! Wir kletterten hinein, darauf, Gruben im Sand, prüften die Löcher in den Wänden, aber wir fanden den Cache nicht! Schliesslich lud ich die App zum Geocaching herunter und prüfte den Ort – und fand heraus, dass es sich um einen virtuellen Schatz handelte. Der Schatz war der Ort! Der Aha-Effekt war gross.

Ich sitze auf dem Geocache

Chloé und Florent sind noch etwas knapper bei Kasse als wir, daher erklärte ich ihnen den Herd. Reto und ich erlaubten uns noch einmal auswärts zu gehen, während die beiden sich auf Sea Chantey selber etwas zusammenkochten. Essen mit Vegetariern war spannend. Gefälschter Käse, gefälschte Wurst, Hamburger und Hackfleisch aus Bohnen. Wir waren interessanter- und unerwarteterweise positiv überrascht. Im grossen und ganzen mochten wir nämlich, was die beiden zusammenkochten und so überliessen wir ihnen die Kombüse fast generell. Aber an diesem Abend hatten wir Sheperds Pie im Irish Pub. Wir sassen auf der Veranda und konnten durch das Fenster die Live-Musik von hinten betrachten. Gwendolyn hatte einen sehr aktiven Abend, schon nach kürzester Zeit verzauberte sie die älteren Damen direkt vor dem Musiker und machten bald kindische Winke-Spiele. Irgendwann fragte der Musiker, ein nicht unbekannter Country-Sänger, was sie denn trieben und wurde auf «the super-cute baby behind you» aufmerksam gemacht. Gwendolyn und damit auch ich wurden auf die Bühne gebeten und unsere kleine «Sugarplum» (was ich als «Zuckerzwetschge» übersetze) bekam einen Song gewidmet und einen immensen Applaus – nur fürs herzig sein!

Auch die Wäsche musste gemacht werden und Chloé und ich verbrachten den halben Vormittag in der Wäscherei, ehe wir nasse Wäsche auf dem Schiff aufhängten, weil ALLE Trockner besetzt waren. Jedenfalls suchten wir am Nachmittag noch einen Geocache. Im Garten eines 300-jährigen Hauses, das heute ein Bed&Breakfast ist, suchten wir zwanzig Minuten, ehe ich die Box unter der Veranda fand. Wir nahem nichts und hinterliessen nur unsere Namen.

Beim dritten Besuch in Bouviers Laden blieb ich erneut vor diesem Bild mit dem kleinen Mädchen in der Galerie hängen. Ich fand Chloé, Florent und Reto auf dem Boden sitzend vor. In ihren Händen Bücher mit optischen Effekten. Ich brauchte einige Minuten, bis ich es auch konnte, aber dann war ich überwältigt. Aus Bildern mit bunten Mustern sprangen plötzlich dreidimensionale Bilder hervor! Wenn wir nicht sowieso zu viele Bücher hätten, hätte ich alle vier gekauft. Ich war überwältigt!

Studenten aus Frankreich

Wenn ich mich richtig erinnere, zogen wir die nächsten Tage ohne Landgang durch. Zumal ich ein Kleinkind habe und einen Mann versorge, ist die Zeit zum Schreiben sehr begrenzt. Darunter leidet nicht nur der Blog, sondern vor allem auch mein zweites Buch. Die «Fortsetzung» liegt praktisch auf Eis, den Blog einigermassen aktuell zu halten, versuche ich aber nach Kräften. Das Wetter war hin und wieder wählerisch mit gelegentlichen Gewittern und die Klappbrücken haben Werktags Sperrstunden (sie sperren für die Schiffe damit der Verkehr unbehelligt bleibt), daher warfen auch mal den Anker um zu warten und blieben dann doch die ganze Nacht. Nach einigen windigen Tagen an denen wir häufig im Intracoastal Waterway segelten, erreichten wir Titusville am 18ten Mai. Der Start der Atlas V Rakete war auf diesen Tag verlegt worden und von der Mooring aus, hätten wir den Start beobachten können. Allerdings vergass ich den Wecker zu stellen. Als Reto die Rakete starten hörte, war sie bereits mit einem langen Kondensstreifen in den Wolken verschwunden. Mich ärgerte es wenig den Start verpasst zu haben, aber Reto hätte so gerne zugesehen und es tat mir wirklich leid wegen dem Wecker. Erst abends legte sich der Wind genug, damit wir in die Stadt rudern konnten um einzukaufen und auszugehen.

Auftritt der US-amerikanischen Fliegerstaffel Blue Angels

Reto eröffnete mir, dass er zwei Bootstopper eingeladen hatte mit uns zu fahren. Dies bedeutete, dass ich Gwendolyns Krimskrams irgendwo verschwinden lassen musste, damit wir alle Schlafplätze hatten. «Aber du hast ja zwei Tage Zeit zum Aufräumen», meinte Reto ganz cool, aber als wir zwei Tage später in Marineland anlegten, hatte ich noch nicht Zeit gehabt Quartiere vorzubereiten. «Stefy, die beiden hitchhiken 300 km bis hier! Das schaffen sie nie bis heute abend.» Denkst de! Da wir Jim und Donna von letztes Jahr kannten, bekam ich eine Fahrt zum nächsten Publix. Als ich zurückkehrte, standen Chloé und Florent schon auf dem Pier. Zuerst verschwanden das Eis und die Lebensmittel, dann liess ich Gwendolyns Kleider und Windeln verschwinden, während Reto den Besuch in Schach hielt… äh… ablenkte. Aus Gwendolyns Koje mit Rand wurde ein rosa bezogenes Doppelbett. Den Kapitän verbannte ich in die Vorschiffkabine, damit Gwendolyn bei mir im Bett schlafen und ich den Rand spielen konnte, damit sie nicht aus dem Bett rollte. Im Handumdrehen war die Kabine wohnlich für fünf Personen und ich begann zu kochen. Zum Glück fragte ich nach Lebensmittelallergien, sonst hätte ich den beiden Vegetariern Bratwurst vorgesetzt.

Chloé (25, nur zehn Tage jünger als ich) und Florent (28) sind Franzosen, die sich beim Studium in Bordeaux kennengelernt hatten und seit einem Jahr unterwegs sind. Chloé ist Landschaftsplanerin, während Florent Kunst studiert hatte. Er skateboardet auf Amateur-Level und ist ein Genie darin Dinge gratis zu bekommen. Sie fotografiert mit Film und entwickelt selbst. Beide frassen in kürzester Zeit einen Narren an Gwendolyn.

Wo wir Freunde haben

Wir ruhten uns zwei Tage aus, ehe wir mit wenig Wind nach Fort Pierce segelten. Als wir ankamen, war es wieder kurz vor dem Eindunkeln. Nach zwei Fehlschlägen irgendwo zu ankern, durchquerten wir mit dem letzten Licht die Klappbrücke und warfen spontan den Anker gleich neben dem Intracostal Waterway. Glücklicherweise hatten wir meinen ersten Muttertag einen Tag vorgezogen, denn aus dem Abendessen im Restaurant wurde nichts. Am folgenden Mittag erreichten wir endlich Vero Beach – die südlichste Ortschaft Floridas, die wir mochten. Ich wusch den ganzen Nachmittag Wäsche. Ich hatte seit Nassau nicht mehr gewaschen und Gwendolyn hatte nur noch ein passendes Kleidungsstück übrig, ausserdem hatte ich geplant einige Tage in Vero Beach zu bleiben. Maurice hatte tatsächlich Zeit mit uns zu Abend zu essen. Er hatte uns letztes Jahr als Uber-Fahrer vom Einkaufen abgeholt. Seine Tochter Emma und Gwendolyn mochten sich bald, aber mit Maurice wurde Gwenny einfach nicht warm. Sehr zu seinem Leidwesen.

Zum Einkaufen fuhr uns Michael, der auf seinem Boot im Mooringfeld wohnt, in dem auch wir hingen. Zum Dank durften wir ihn in einem kleinen mexikanischen Spezialitätengeschäft zum Essen einladen. Besonders Gwendolyn hatte ihre Freude daran, wir gaben ihr ein Stück Limone zu probieren. Ich hielt ihr das Stück hin, sie lehnte sich vor und Biss hinein, dann verzog sie das Gesicht und liess die Limone los. Wir hatten erwartet, dass sie laut losheult, aber zu unserer Überraschung holte sie Anlauf und Biss freudig erneut in die Limone. Voller Freude genoss sie den sauren Geschmack mit verzogenem Gesicht. Michael half uns ebenfalls mit der Flaggenleine. Bei einem heftigen Regen in Bimini war die Flaggenleine mit dem Radarreflektor heruntergefallen. Aus dem Bootsmannstuhl hätte ich die Rolle, durch die Leine musste, aber nicht erreicht und nirgends war eine lange Leiter aufzutreiben. Michael löste unser Problem ganz cool indem er im Bootsmannsstuhl aufrecht stand, während Reto ihn hochzog, ich sicherte und Gwendolyn quengelte. Zur Erinnerung: Ein Bootsmannstuhl ist ein Stoffsitz den Man an einem Seil befestigt, vollkommen instabil! Wir bedankten uns mit einem Bier. Selbst zum Boot-Schrotthändler nahm er uns mit. Alles was noch brauchbar ist, landet ordentlich sortiert in der Halle von «Marine Liquidators». Es sieht aus wie in Papis Ersatzteillager. Reto kaufte fast 50 Pfund Teak zum Sonderpreis und einige Kleinigkeiten. Fürs hin- und herfahren luden wir Michael noch einmal zum Mexikaner ein. Gwendolyn bekam noch einen «Schnitz» Limette und auch ich traute mich an einige Spezialitäten. Tamarinden kann ich nur empfehlen: Was aussieht wie eine grosse, braune Bohne schmeckt wie gedörrte Zitrone. Schale und Kerne kann man nicht essen. Aber mit getrocknetem Fisch statt Kartoffelchips kann selbst ich nichts anfangen. Ganz spontan rief ich bei Karen und Steve an, die wir in den Exumas kennengelernt hatten. Eine halbe Stunde später sassen wir bei Wein und Oliven in ihrer Küche. Ich war fasziniert von dem riesigen, stielvollen Gebäude – es wäre das perfekte Haus für Reto und mich: Genug Zimmer, dass jeder eines bekommt, die Garage gross genug für alle Fahrzeuge von Reto (Boote ausgenommen), Pool und einen Pier, der tief genug ist für Sea Chantey und Platz bietet für alle Wasserfahrzeuge von Reto. Das Grundstück grenzt an zwei Seiten an die Lagune. Nur, dass ich niemals in Florida leben wollte – zu viele Leute mit Booten, die keine Ahnung von ihren Booten haben! Karen genoss Gwendolyn in vollen Zügen und hatte sehr viel Verständnis dafür, dass Gwenny lieber bei Mami sein wollte. Unsere Gastgeber verbrachten den Abend an einem Konzert, während wir noch einmal unter die Dusche hüpften. Auf unserem Nachbarboot «Island Pearl» tranken wir noch mehr Wein und erzählten von unseren Abenteuern, dennoch fuhren wir morgens nach Norden.