Wo wir Freunde haben

Wir ruhten uns zwei Tage aus, ehe wir mit wenig Wind nach Fort Pierce segelten. Als wir ankamen, war es wieder kurz vor dem Eindunkeln. Nach zwei Fehlschlägen irgendwo zu ankern, durchquerten wir mit dem letzten Licht die Klappbrücke und warfen spontan den Anker gleich neben dem Intracostal Waterway. Glücklicherweise hatten wir meinen ersten Muttertag einen Tag vorgezogen, denn aus dem Abendessen im Restaurant wurde nichts. Am folgenden Mittag erreichten wir endlich Vero Beach – die südlichste Ortschaft Floridas, die wir mochten. Ich wusch den ganzen Nachmittag Wäsche. Ich hatte seit Nassau nicht mehr gewaschen und Gwendolyn hatte nur noch ein passendes Kleidungsstück übrig, ausserdem hatte ich geplant einige Tage in Vero Beach zu bleiben. Maurice hatte tatsächlich Zeit mit uns zu Abend zu essen. Er hatte uns letztes Jahr als Uber-Fahrer vom Einkaufen abgeholt. Seine Tochter Emma und Gwendolyn mochten sich bald, aber mit Maurice wurde Gwenny einfach nicht warm. Sehr zu seinem Leidwesen.

Zum Einkaufen fuhr uns Michael, der auf seinem Boot im Mooringfeld wohnt, in dem auch wir hingen. Zum Dank durften wir ihn in einem kleinen mexikanischen Spezialitätengeschäft zum Essen einladen. Besonders Gwendolyn hatte ihre Freude daran, wir gaben ihr ein Stück Limone zu probieren. Ich hielt ihr das Stück hin, sie lehnte sich vor und Biss hinein, dann verzog sie das Gesicht und liess die Limone los. Wir hatten erwartet, dass sie laut losheult, aber zu unserer Überraschung holte sie Anlauf und Biss freudig erneut in die Limone. Voller Freude genoss sie den sauren Geschmack mit verzogenem Gesicht. Michael half uns ebenfalls mit der Flaggenleine. Bei einem heftigen Regen in Bimini war die Flaggenleine mit dem Radarreflektor heruntergefallen. Aus dem Bootsmannstuhl hätte ich die Rolle, durch die Leine musste, aber nicht erreicht und nirgends war eine lange Leiter aufzutreiben. Michael löste unser Problem ganz cool indem er im Bootsmannsstuhl aufrecht stand, während Reto ihn hochzog, ich sicherte und Gwendolyn quengelte. Zur Erinnerung: Ein Bootsmannstuhl ist ein Stoffsitz den Man an einem Seil befestigt, vollkommen instabil! Wir bedankten uns mit einem Bier. Selbst zum Boot-Schrotthändler nahm er uns mit. Alles was noch brauchbar ist, landet ordentlich sortiert in der Halle von «Marine Liquidators». Es sieht aus wie in Papis Ersatzteillager. Reto kaufte fast 50 Pfund Teak zum Sonderpreis und einige Kleinigkeiten. Fürs hin- und herfahren luden wir Michael noch einmal zum Mexikaner ein. Gwendolyn bekam noch einen «Schnitz» Limette und auch ich traute mich an einige Spezialitäten. Tamarinden kann ich nur empfehlen: Was aussieht wie eine grosse, braune Bohne schmeckt wie gedörrte Zitrone. Schale und Kerne kann man nicht essen. Aber mit getrocknetem Fisch statt Kartoffelchips kann selbst ich nichts anfangen. Ganz spontan rief ich bei Karen und Steve an, die wir in den Exumas kennengelernt hatten. Eine halbe Stunde später sassen wir bei Wein und Oliven in ihrer Küche. Ich war fasziniert von dem riesigen, stielvollen Gebäude – es wäre das perfekte Haus für Reto und mich: Genug Zimmer, dass jeder eines bekommt, die Garage gross genug für alle Fahrzeuge von Reto (Boote ausgenommen), Pool und einen Pier, der tief genug ist für Sea Chantey und Platz bietet für alle Wasserfahrzeuge von Reto. Das Grundstück grenzt an zwei Seiten an die Lagune. Nur, dass ich niemals in Florida leben wollte – zu viele Leute mit Booten, die keine Ahnung von ihren Booten haben! Karen genoss Gwendolyn in vollen Zügen und hatte sehr viel Verständnis dafür, dass Gwenny lieber bei Mami sein wollte. Unsere Gastgeber verbrachten den Abend an einem Konzert, während wir noch einmal unter die Dusche hüpften. Auf unserem Nachbarboot «Island Pearl» tranken wir noch mehr Wein und erzählten von unseren Abenteuern, dennoch fuhren wir morgens nach Norden.