Übernacht nach Estido River

Wir mussten bis zur Ebbtide warten, weil wir sonst gegen den Strom hätten fahren müssen. Das gab Chloé und Florent die Zeit rechtzeitig wieder an Bord zukommen und mir die Zeit Kaffee zu trinken. Weil es so warm ist, wacht Gwendolyn häufiger auf und möchte trinken, was meine Nächte kürzer macht. Da sie bei mir im Bett schief während die Hitchhiker bei uns waren, musste ich nachts zumindest seltener aufstehen. Müde war ich trotzdem. Als wir das letzte Mal durch den St. Marys Inlet hineingefahren waren, erlebten wir die höchsten und erschreckendsten Wellen auf unserer ganzen Reise, diesmal war das Wasser flach wie ein Spiegel. Wir motorten die ersten Stunden ehe die Segel wirklich zogen, weil kaum Wind blies. Der Wind am Nachmittag kam so stark von hinten, dass wir nur das Grosssegel setzten. Chloé und Florent machten sich ordentlich, obwohl ihre Instruktion nicht halb so gut war wie Dylans. Chloé steuert wie ein Ass, während Florent ein verträumter Kerl ist und hin und wieder aus dem Kurs läuft. Aber er übernahm gerne einem Teil meiner Schicht wenn Gwendolyn wieder Mami wollte und niemanden sonst, was mich zu ewigem Dank verpflichtet. Der Wind wurde gegen Abend mehr und blieb nachts konstant. Ich schlief nicht gut, weil ich seit meiner Hormonkur (meine Schwangerschaft) etwas übervorsichtig bin. Reto schlief überhaupt nicht, weil er weder das Vertrauen in seine neue Crew noch Ruhe finden konnte, wenn er ein bisschen geschaukelt wird. Eltern zu sein, hat uns beide verändert. Dennoch war die Welt magisch, als ich kurz nach Sonnenaufgang die Wache von Chloé übernahm, das Foto spricht für sich.

Am Vormittag fiel der Wind in sich zusammen und Reto entschied noch ein wenig zu Motoren, damit wir Estido River südlich von Charleston mit Sicherheit mit der Flut erreichen würden. Es war nicht seine beste Entscheidung, denn am Nachmittag nahm der Wind wieder zu und wir flogen nur so dahin. Aber wie hätte er dies wissen können? Wir versuchten langsam zu fahren und kamen kurz nach den Gezeitenwechsel vor dem Estido River Inlet an. Der Estido River Inlet gilt als gefährlich, weil ihm einige Untiefen vorgelagert sind, aber wir folgten einem grossen Shrimp-Fischerboot durch den Inlet. Sie benutzen den Kanal in den Estido River täglich und wissen genau, wo er am tiefsten und am sichersten ist. Natürlich musste ich bei furchtbaren Wellen die Segel einholen – ich bin ja geübt! Ohne Segel nur getrieben von Sea Chantey Windwiederstand, surften wir an den Bojen vorbei durch den Inlet. Es war noch zu wellig um den Motor zu starten. Chloé behielt den Tiefenmesser im Auge, während ich die Karte dauernd vor Augen hatte. Ich weiss nicht wie Reto ohne Segel oder Motor solch eine gerade Line fahren konnte, aber er brachte uns in pfeilgerade in den Estido River. Die Wolken türmten sich vor dem Sonnenuntergang, der sich in gelb, orange, dann blutrot über den westlichen Horizont erstreckte. Gwendolyn weidete ihre glänzenden, kleinen Augen daran, während Florent mit seinem Fischauge versuchte Fotos von Sea Chantey zu machen. Mit sechs Knoten flitzen wir den Fluss hinauf und ankerten in dem Moment im Toogoodoo River, als die Sonne unterging. Und wir schliefen wie Steine!

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