Wie im Amazonas

Wir mussten nicht irrsinnig früh abfahren, da wir sowohl um aus unserem Liegeplatz herauszukommen als auch um durch die Brücke zu gehen Slack Tide brauchten (Strömungsstillstand bei Höchst- oder Niedrigstwasser). Es war nur fünf Meilen die Bucht hinunter und den kleinen Fluss hinauf bis zur Brücke und wir erreichten die Brücke wie geplant mit leicht auslaufendem Wasser. Im Gegenstrom ist es einfacher vor der Brücke zu warten bis sie geöffnet wird, weil das Schiff nicht auf diese zugetrieben wird. Nachdem wir vorsichtig einige Untiefen im Kanal überquert hatten, folgten wir dem Intracoastal Waterway durch Salt Marsch. Dies ist eine Bezeichnung für Sumpfland mit hohem Grass in Salzwasser. Durch diesen verliefen Flüsse mit starkem Gezeitenstrom. In einem solchen ankerten wir mit der untergehenden Sonne.

Am nächsten Tag folgten wir dem Kanal bis wir auf einen weiten Fluss stiessen. Die einlaufende Flut half uns ein wenig flussaufwärts, während am Ufer der Boden fest wurde und mit jeder Meile, die wir uns vorbewegten, die Bäume höher wuchsen. Bald fuhren wir gegen dauernden sanften Gegenstrom an, weil die Gezeiten den Fluss nicht mehr reichten. Die Bäume wuchsen links und rechts bis in den Fluss hinein, wo manchmal Bäume manchmal Baumstümpfe aus dem Wasser ragten. Weiter Flussaufwärts schlängelte sich der Waccamaw River in weiten Kurven durchs Land. Er war erstaunlich tief, an manchen Stellen bis zu zehn Meter. Tatsächlich gibt es an einigen Orten Häfen, aber diese waren uns zu teuer. Wir ankerten schliesslich an einer seichten Stelle im Fluss.

Geschichten aus Charleston

Wieder einmal sind wir ohne Rettungsinsel unterwegs. Um Sea Chantey in der Schweiz wieder einlösen zu können, muss diese kontrolliert werden. Nach Stundenlangem googlen fand Reto einen Händler in Charleston, der solche Kontrollen eigentlich machen sollte – dieser hier wollte aber lieber eine neue Rettungsinsel verkaufen. Jedoch bekamen wir die Adresse einer Servicestelle und entschieden uns unsere Rettungsinsel nach Secaucas vorauszuschicken. Den Ditch Bag, der Wasser, Nahrungsmittel und Leuchtraketen enthält kontrollierten wir selbst, die Leuchtraketen gilt es noch zu ersetzten. Mit der Rettungsinsel liessen wir uns per Uber zu einem UPS Store bringen. Die Rettungsinsel nach Secaucas zu schicken, war übrigens günstiger als jedes einzelne Packet, dass ich schon über den Atlantik schickte.

Mhhh… Glacé-Sandwich!!!

Zumal wir schon in der Stadt waren, genossen wir sie auch. Zmittag beim Chinesen, Glacé bei Peace Pie und Kaffee im möchte-gern-französichen Café (das Praliné, welches ich für Reto kaufte, war teuer aber zumindest lecker). Wir streunten durch die Kunstausstellung im Park, spazierten entlang dem historischen Dock und wurden in einer Galerie zum Wine-Tasting eingeladen. Reto genoss den Wein, Gwendolyn übte auf dem Teppich kriechen und bekam tausend Komplimente, während ich die Kunst betrachtete. Besonders gefiel mir der Fisch im Martiniglas: Schichtweise wurde Acrylglas ins Martiniglas geschüttet und jede Schicht bemalt. Von oben war der Fisch dreidimensional zu sehen, von der Seite unsichtbar – ich fand es grandios! (Und ich kopiere es vielleicht irgendwann…) Vor lauter Wein, Kunst und Gesellschaft verpassten wir prompt das Wassertaxi, welches uns hätte zur Marina zurückbringen können. Zu allem Überfluss braute sich am Himmel eine grosse, dramatische, schwarze Wolke zusammen. Kaum hatten wir uns bei einem Hotel untergestellt, prasselte der Regen herunter wie aus der Duschbrause. Unser Uber Fahrer fackelte nicht lange – Mann rein, Kind rein, Kinderwagen rein, Frau rein – abfahren. Von trockenen Auto sitzen aus sahen wir zu wie der Himmel Kübelweise Wasser auf Charleston herabschüttete. Die Strassen waren innert Minuten überschwemmt. Auch das Aussteige-Manöver wurde minuziös geplant: Reto und Gwendolyn voraus, ich hinterher und unser Fahrer brachte uns den Kinderwagen unter den Eingang des Restaurants Fishhouse, welches zum Resort gehörte. Wir assen noch einmal auswärts bis der Regen vorübergezogen war.

Waschen, Trocknen, Putzen, Windeln und andere Produkte einkaufen, sowie Unterhalt an Sea Chantey erledigten wir in den nächsten Tagen. Windeln kaufe ich prinzipiell bei Walmart, wie auch Feuchttücher. Obwohl alle davon schwärmen, bin ich kein Fan von Pampers. Erst recht nicht mehr seit ich gemerkt habe, dass Gwendolyns Windelbereich von den Pampers Feuchttüchern wund wird. Sie scheint das Vitamin C, welches zum Haltbar machen verwendet wird, nicht zu vertragen – aber Walmarts Billigstline ist für ihre Haut kein Problem. Auch Walmarts Windelsortiment sagt mir sehr zu, manchmal kann ich sogar die gleichen Windeln kaufen, die ich in der Migros kaufe. Einziger Minuspunkt ist, dass Walmart Super Center etwas dünner gestreut sind als Publix. Ein netter Herr brachte mich in seinem Pick-Up zur Marina zurück und half mir sogar meine Bagage zum Schiff zu tragen.

Wenn ich einmal den Rücken freigehalten brauchte, schnappte sich Reto unser zahnendes Baby. Meistens führte sein Weg ihn zum Pool, wo er und Gwendolyn im Hot Tub mit dem kleinen Plastik-Raddampfer spielten. Einmal ging er sich den Zerstörer ansehen, der gegenüber des Flugzeugträgers USS Yorktown am Museumsdock gleich neben der Marina festgemacht ist. Gwendolyn schlief ein bevor sie ganz an Bord waren.

Einmal durften wir auch nur zum Spass in die Stadt. Wir fuhren mit dem Wassertaxi über den Hafen und schaukelten am Taxi-Dock auf den Schaukelbänken. Gwendolyn und ich planschten in beiden Brunnen des Waterfront Park, bevor wir Empanadas zu Mittag assen. Ein Glacé, ein Spaziergang und eine Fahrt im Wassertaxi zurück nach Hause rundeten den Tag ab. Eigetlich hätten wir dann am nächsten Tag gleich weitergewollt, aber wir schliefen so schlecht, dass wir noch einen Tag blieben. Wir unternahmen mit dem Ausflugsschiff «Spirit of South Carolina» eine Tour nach Fort Sumpter mitten im Hafen. Es war einst riesig, erzählten die Tafeln entlang der Mauerreste, bevor es im Civil War kurz und klein geschossen wurde und die Reste im Zweiten Weltkrieg mit Sand aufgefüllt. Heute buddeln Ranger das Fort stück für Stück wieder aus. Wir waren wieder einmal sehr glücklich über unseren Ultraleicht-Kinderwagen, den wir überall tragen können, denn das Fort ist nicht besonders rollstuhlgängig. Nach viel zu kurzen zwei Stunden wurden alle Gäste wieder auf das Ausflugsschiff verfrachtet und zurück an Land gebracht. Am Nachmittag kam noch der Rest unserer Post und Rahel brachte Reto Dichtungsmittel. Sie ist Bootsbaulehrerin für Holzboote in einer winzigen Bootswerkstatt und erzählte uns von ihrem geliebten Holzboot. Woher wir sie denn kennen? Florent hatte sie Tage zuvor angequatscht.

Die Mittwoch-Regatta

Chloé und Florent brachten am folgenden Dienstagmorgen PJs Dinghy zurück und gingen in die Stadt, während wir den Anker lichteten. Zu Dritt, Reto, Gwendolyn und ich, tuckerten wir über den Hafen und dockten nach einer Pirouette am E Dock im Charleston Harbor Resort. Unsere Hitchhiker kamen abends mit dem letzten Wassertaxi an und brachten uns Sauerkraut zum Abendessen. Chloé kommt ursprünglich aus dem Elsass und Sauerkraut ist in ihrem Heimatort so wichtig, dass jährlich sogar ein Sauerkraut Festival stattfindet. Lustig nur, dass ich ihr erklären musste wie man Sauerkraut kocht. Florent erschwatzte beim Restaurant noch einige Kartoffeln, aber Reto und ich fanden, dass ohne Speck einfach etwas fehlte.

Nicht PJ’s Schiff – dieses hätte die Regatta sicher gewonnen

Jeden Mittwoch veranstaltet PJs Hafenclub eine Regatta für die eigenen Clubmitglieder und die Clubs aus der Umgebung. Da die Regatta um fünf Uhr losgeht, war PJ schon etwas im Stress als er uns kurz nach vier Uhr abholte. Chloé, Florent und Reto hatten sich bereiterklärt bei dieser Regatta seine Crew zu sein. Ich ergriff die Gelegenheit mich in die Stadt fahren zu lassen. Im Hafenclub etwas trinken gehen, konnte ich leider nicht. Da für Mitglieder alles gratis ist, musste man mit einem Mitglied dort sein, um etwas zu bekommen. Stattdessen packte ich Gwendolyn in den Kinderwagen und schob sie in die Stadt. Ich musste zwar eine ganze Weile suchen, aber schliesslich fand ich doch den Ableger von Peace Pie. Gwendolyn bekam auch einen Schleck von meinem Glacé-Sandwich und sah unendlich herzig aus mit dem Schoggischnauz. Ich kam ein bisschen nach der abgemachten Zeit wieder bei PJs Marina an, musste aber dennoch warten. PJ und Crew auf «Cool Change» kamen auf Platz Vier in ihrer Klasse im Ziel an. Schade nur, dass in dieser Klasse nur vier Boote teilgenommen hatten. Als ich sah, dass die Crew unterwegs eine Flasche Schnaps geleert hatte, war mir auch klar, warum. Jedenfalls gingen wir alle zur Preisverleihung im Yacht Club und assen Hamburger. Gwendolyn gefiel es nicht durchweg zwischen den vielen, lauten Leuten. So kamen wir mit einer Dame am Nachbartisch ins Gespräch. Nach kurzer Zeit entpuppte sich Iris Esch als ausgewanderte Deutsche. Natürlich stellten wir bald auch unsere Franzosen vor und liessen sie von ihren Plänen erzählen. «Ihr wollt zu den Smokey Mountains? Das ist bei uns gleich um die Ecke!», erklärte Iris kurz darauf. Da sie und ihr Mann am folgenden Morgen nach Hause fahren würden, verabredeten sich Chloé und Florent gleich mit ihnen. Auf Sea Chantey begann das grosse Packen, sobald wir zurück waren und nach dem ersten Kaffee bestiegen die Studenten aus Bordeaux das Wassertaxi.

Memorial Day Weekend

Toogoodoo River ist der Ort an dem ich aus Versehen und Reto mit voller Absicht Gwendolyn fabriziert hatten. Dennoch fuhren wir am nächsten Tag weiter ohne ihr die Geschichte näher zu bringen. Vermutlich sind wir das einzige Schiff, welches in diesem Abschnitt der Intracoastal Waterways segelt. Die kleinen Ausflugsboote betrachteten uns mit Freude. Einem übergaben wir in voller Fahrt eine Visitenkarte und bekamen einige coole Fotos zurück. Aber ich staunte nicht schlecht als wir in Chaleston, inzwischen in South Carolina ankamen. Ich telefonierte mit jeder – JEDER – Marina, aber ALLE waren voll! Da wir inzwischen eine Tour durch den Hafen gemacht hatten, ankerten wir im Wando River, einige Meilen oberhalb der Stadt. Ich fühlte mich schuldig, nicht reserviert zu haben. Das Memorial Day Weekend war, wussten wir noch nicht. Im Grossen und Ganzen gefiel uns der Ankerplatz sehr, nur ging an diesem Abend das Wasser in den Tanks aus. Reto musste in Sea Chanteys hinterste Winkel kriechen, um das kanadische Wasser in den Kanistern hervorzuholen. Am Sonntagmittag gingen wir Tanken, kauften Eis und füllten die Tanks und Kanister auf. Die Jungs konnten es nicht sein lassen und segelten zum Ankerplatz auf der anderen Seite der Stadt, gegenüber der Marina, in der das Boot von einem Freund von Chloé und Florent seinen Hafenplatz hatte. Ihr Freund PJ kam uns mit seinem Dinghy begrüssen, noch bevor wir Anker geworfen hatten. Er überliess uns sein motorisiertes Dinghy für die nächsten Tage und seine Schlüsselkarte für die Duschen der Marina. So flitzten Chloé und ich mit Florent am Steuer zum nächsten Laden. Wir verloren Florent einmal, fanden ihn wieder mit einer riesigen Schachtel Minitischbomben (denn er liebt Feuerwerk) und guckten unter dem Zaun hindurch beim Baseball Match zu. Nach einem Home Run (wenn der Ball das Stadion verlässt) rannte auch Florent plötzlich davon. Zurück kam er mit einem Baseball. Reto und Gwendolyn waren in der Zwischenzeit zum Glück nicht abgetrieben.

Nach einer Dusche gingen wir die Stadt erkunden. Reto liebte die schönen, alten Holzhäuser, mir gefielen die Gärten und Auffahrten. Nach dem Mittagessen liess Florent wieder seine Magie wirken: Er begrüsste den Verkäufer im Teppichladen auf Französisch und traf voll ins Schwarze. Obwohl die Teppiche türkisch waren, war der Verkäufer Marokkaner. Ein kleiner Schwatz und wir sassen mit Apfeltee auf dem Diwan während Gwendolyn auf einem seidenen Teppich herumkrabbelte (oder zumindest versuchte sie es). Wir spazierten durch die Stadt und durch einen der vielen Pärke. In der Zeltstadt einer Kunstausstellung verloren wir Florent erneut, der Kunstabsolvent plauderte eine gute Stunde mit einem Künstler. Dann mussten wir uns plötzlich beeilen: Reto und ich wollten uns noch umziehen, ehe PJ uns abholen kam. Wir waren schliesslich zum Abendessen eingeladen. Das Haus im Sumpf, welches PJ mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn seit zwei Jahren bewohnte, war wunderbar. Wasser zu drei Seiten, Veranda zu drei Seiten und rundum Blick ins Grüne. Nach dem Abendessen versuchten wir uns im Toubalou, ein Kartenspiel welches Chloé, Florent und PJ oft gespielt hatten, während sie gemeinsam unterwegs gewesen waren. Chloé hat geradezu magische Fähigkeiten diese Spiel zu gewinnen, während wir drei Neulinge kläglich versagten.

Übernacht nach Estido River

Wir mussten bis zur Ebbtide warten, weil wir sonst gegen den Strom hätten fahren müssen. Das gab Chloé und Florent die Zeit rechtzeitig wieder an Bord zukommen und mir die Zeit Kaffee zu trinken. Weil es so warm ist, wacht Gwendolyn häufiger auf und möchte trinken, was meine Nächte kürzer macht. Da sie bei mir im Bett schief während die Hitchhiker bei uns waren, musste ich nachts zumindest seltener aufstehen. Müde war ich trotzdem. Als wir das letzte Mal durch den St. Marys Inlet hineingefahren waren, erlebten wir die höchsten und erschreckendsten Wellen auf unserer ganzen Reise, diesmal war das Wasser flach wie ein Spiegel. Wir motorten die ersten Stunden ehe die Segel wirklich zogen, weil kaum Wind blies. Der Wind am Nachmittag kam so stark von hinten, dass wir nur das Grosssegel setzten. Chloé und Florent machten sich ordentlich, obwohl ihre Instruktion nicht halb so gut war wie Dylans. Chloé steuert wie ein Ass, während Florent ein verträumter Kerl ist und hin und wieder aus dem Kurs läuft. Aber er übernahm gerne einem Teil meiner Schicht wenn Gwendolyn wieder Mami wollte und niemanden sonst, was mich zu ewigem Dank verpflichtet. Der Wind wurde gegen Abend mehr und blieb nachts konstant. Ich schlief nicht gut, weil ich seit meiner Hormonkur (meine Schwangerschaft) etwas übervorsichtig bin. Reto schlief überhaupt nicht, weil er weder das Vertrauen in seine neue Crew noch Ruhe finden konnte, wenn er ein bisschen geschaukelt wird. Eltern zu sein, hat uns beide verändert. Dennoch war die Welt magisch, als ich kurz nach Sonnenaufgang die Wache von Chloé übernahm, das Foto spricht für sich.

Am Vormittag fiel der Wind in sich zusammen und Reto entschied noch ein wenig zu Motoren, damit wir Estido River südlich von Charleston mit Sicherheit mit der Flut erreichen würden. Es war nicht seine beste Entscheidung, denn am Nachmittag nahm der Wind wieder zu und wir flogen nur so dahin. Aber wie hätte er dies wissen können? Wir versuchten langsam zu fahren und kamen kurz nach den Gezeitenwechsel vor dem Estido River Inlet an. Der Estido River Inlet gilt als gefährlich, weil ihm einige Untiefen vorgelagert sind, aber wir folgten einem grossen Shrimp-Fischerboot durch den Inlet. Sie benutzen den Kanal in den Estido River täglich und wissen genau, wo er am tiefsten und am sichersten ist. Natürlich musste ich bei furchtbaren Wellen die Segel einholen – ich bin ja geübt! Ohne Segel nur getrieben von Sea Chantey Windwiederstand, surften wir an den Bojen vorbei durch den Inlet. Es war noch zu wellig um den Motor zu starten. Chloé behielt den Tiefenmesser im Auge, während ich die Karte dauernd vor Augen hatte. Ich weiss nicht wie Reto ohne Segel oder Motor solch eine gerade Line fahren konnte, aber er brachte uns in pfeilgerade in den Estido River. Die Wolken türmten sich vor dem Sonnenuntergang, der sich in gelb, orange, dann blutrot über den westlichen Horizont erstreckte. Gwendolyn weidete ihre glänzenden, kleinen Augen daran, während Florent mit seinem Fischauge versuchte Fotos von Sea Chantey zu machen. Mit sechs Knoten flitzen wir den Fluss hinauf und ankerten in dem Moment im Toogoodoo River, als die Sonne unterging. Und wir schliefen wie Steine!

Eine magische Überfahrt

Wir fuhren den ganzen Tag vor leichtem Nordwind, während wir die Long Bay überquerten, auf deren anderer Seite Charlston in South Carolina liegt. Aus der Ferne beobachteten wir Frachtschiffe auf dem Weg nach Wilmington, von Seevögeln verfolgte Fischerboote und Delfinschulen. Zwischen den Mahlzeiten und Wachen schrieb ich Postkarten. Reto verbrachte seine Freiwachen mit Lesen. Er hatte sich das zweite Buch unter den Nagel gerissen, das ich im «Biergarten» gekauft hatte und las die Romanversion der Lebensgeschichte von Päpstin Johanna. Nur als wir diese merkwürdige schaumige Grenze zwischen bräunlich blauem und bergsee-türkisem Wasser durchquerten, versuchte er Fotos zu machen. Das Wasser des Cape Fear Rivers traf hier auf den Golfstrom. Dazwischen bildete sich weisser Seeschaum und die Seevögel wurden davon magisch angezogen, sassen Reihenweise auf der Grenze, als würden sie dort nicht abgetrieben. Die Fotos sind allerdings unspektakulär. Der sonnige Tag wich einer hellen Nacht. Der Vollmond tauchte im Osten riesig und käsegelb aus dem Meer auf und schien die ganze Nacht auf die See hinunter, wie ein Scheinwerfer. Ich tat während meiner Freiwache kein Auge zu, aber Reto fand es praktisch den Kompass auch ohne das kaputte Kompasslicht zu sehen. Da ich generell nicht gut nach Kompass steuere, betrifft mich dies nicht: Ich orientiere mich kurzzeitig an Sternen, Planeten, Wolken oder Landmarken, um den Kurs zu halten und am Kartenplotter, um die Richtung alle paar Minuten zu überprüfen. Ich hatte die erste Nachtwache von acht bis zwölf und die Hundewache von vier bis acht Uhr. Diese war besonders hart, da ich fast einschlief bis um sechs Uhr am Morgen die Sonne aufging und der Wind erstarb. Im ersten Tageslicht holten wir die Segel ein – ich musste dazu den armen Reto aus seinen süssen Träumen reissen – und motorten durch die Flaute bis um zehn Uhr wieder Wind aufkam. Am frühen Nachmittag kam Land in Sicht und wir bogen bald darauf in den Einfahrtskanal nach Charlston ein.

Unser neuer Freund

Als wir uns gegen das auslaufende Wasser kämpften, kam ein brauner Pelikan angeflogen. Er zog einen grossen Kreis um Sea Chantey und schwupp … landete er sehr plump auf unserem Kabinendach. Er beobachtete mich einen Moment, dann machte er es sich bequem. Da ich am Steuer sass, pfiff ich Reto mit dem Handy an Deck, um Fotos zu machen. Unser Pelikan begann gemütlich sich mit seinem langen, unpraktischen Schnabel zu putzen, während für uns Action angesagt war. Ein Polizeiboot kam längsseits und funkte uns an: Macht Platz! Da hinten kommt ein Kreuzfahrtschiff mit einem medizinischen Notfall an Bord! Bleibt am Rand des Kanals! Wir hielten Sea Chanteys Kurs weit am Rand, während das Luxusschiff an uns vorbeifuhr. Der Pelikan störte sich nicht daran, er hatte seinen gefiederten Bauch an unser Dach geschmiegt und schien vor sich hin zu dösen. Erst als das Passagierschiff im Hafen war und wir schon fast die Marina erreicht hatten, richtete er sich auf. Er watschelte ganz an den Rand des Kabinendachs, holte Schwung und machte einen grossen, uneleganten Hüpfer über unsere Reling. Er erreichte fast das Wasser bis seine Flügelschläge dem schweren Vogel Auftrieb verschafften – weg war er.