Wie im Amazonas

Wir mussten nicht irrsinnig früh abfahren, da wir sowohl um aus unserem Liegeplatz herauszukommen als auch um durch die Brücke zu gehen Slack Tide brauchten (Strömungsstillstand bei Höchst- oder Niedrigstwasser). Es war nur fünf Meilen die Bucht hinunter und den kleinen Fluss hinauf bis zur Brücke und wir erreichten die Brücke wie geplant mit leicht auslaufendem Wasser. Im Gegenstrom ist es einfacher vor der Brücke zu warten bis sie geöffnet wird, weil das Schiff nicht auf diese zugetrieben wird. Nachdem wir vorsichtig einige Untiefen im Kanal überquert hatten, folgten wir dem Intracoastal Waterway durch Salt Marsch. Dies ist eine Bezeichnung für Sumpfland mit hohem Grass in Salzwasser. Durch diesen verliefen Flüsse mit starkem Gezeitenstrom. In einem solchen ankerten wir mit der untergehenden Sonne.

Am nächsten Tag folgten wir dem Kanal bis wir auf einen weiten Fluss stiessen. Die einlaufende Flut half uns ein wenig flussaufwärts, während am Ufer der Boden fest wurde und mit jeder Meile, die wir uns vorbewegten, die Bäume höher wuchsen. Bald fuhren wir gegen dauernden sanften Gegenstrom an, weil die Gezeiten den Fluss nicht mehr reichten. Die Bäume wuchsen links und rechts bis in den Fluss hinein, wo manchmal Bäume manchmal Baumstümpfe aus dem Wasser ragten. Weiter Flussaufwärts schlängelte sich der Waccamaw River in weiten Kurven durchs Land. Er war erstaunlich tief, an manchen Stellen bis zu zehn Meter. Tatsächlich gibt es an einigen Orten Häfen, aber diese waren uns zu teuer. Wir ankerten schliesslich an einer seichten Stelle im Fluss.

Kein Krieg ohne Doughnuts

Cape May erreichten wir nach einem Tag, an dem die Temperaturen unter Null Grad blieben. Wir waren durchgefroren und das Spritzwasser war an Deck zu einer soliden Eisschicht gefroren. Zu allem Überfluss liefen wir erst nach Sonnenuntergang in der Bucht ein, weshalb das folgen des Bojenkanals nicht einfach war. Hinter dem berühmten Restaurant Lobster House, dessen Gartenterasse ein Schoner ist und ein Pier zum festmachen einlädt, fanden wir uns plötzlich in der Marina wieder. Ein anderer Zugvogel, wie die Leute genannt werden, die im Winter in den Süden ziehen, gab uns die Kombination zu den schönsten Duschen, die wir je in einer Marina gesehen hatten. Eine Duschkabine mit zwei Duschbrausen, perfekt. Reto und ich genossen es uns aufzuwärmen.

Die freundlichen Leute von der Marina fuhren uns am Morgen zur Tankstelle, um den Propantank aufzufüllen und machten mit uns eine Rundfahrt durch das historische Städtchen. Wir legten dennoch noch vor zehn Uhr ab und segelten mit dem kalten Nordwestwind nach Delaware. Genauer in den Delaware State Park. Nur die Brücke hielt Reto in Atem: «Hoffentlich passen wir darunter durch!» Dazu hatten wir auflaufendes Wasser und durch den Einfahrtskanal entstand zwei Knoten Strömung – wir müssten also zwei Knoten schnell rückwärts Fahren um still zu stehen. Reto bremste Sea Chantey vor der Brücke und es sah von unten wirklich knapp aus, aber unsere Masten gingen unter der Brücke durch. Zum Glück, denn die Strömung drehte uns und wir glitten «quärewäg» unter der Brücke durch.

Einen Tag später hatten wir das perfekte Wetter: Es war warm und würde die ganze Nacht lang warm bleiben. Da wir zwischen Norfolk und uns keine Häfen mehr hatten, aber noch zirka 130 nautische Meilen entschieden wir den Trip am stück zu machen. Wir rechneten dafür 32 Stunden, wobei wir das letzte Stück unbedingt bei Tageslicht fahren wollten. Norfolk ist nicht nur ein Überseehafen für Güter sondern auch die grösste Marinebasis der US Navy, weshalb wir viel Verkehr erwarteten. Weil es ganze acht Grad warm war und windstill, fuhren wir unter Motor in dreistündigen Wachen. Es war so ruhig, das ich sogar kochte, und wir kamen viel zu schnell voran. Um Mitternacht entschieden wir den Anker zu werfen und einige Stunden zu warten, damit wir nicht bei Nacht durch die Hafeneinfahrt mussten. Wir gönnten uns vier Stunden Schlaf, dann brach meine Hundewache an. Ich steuerte uns bis zum Kap, bevor Reto uns im ersten Tageslicht durch die Durchfahrt der Autobahnbrücke fuhr. Eine sehr lange Autobahnbrücke verbindet Delaware und Virginia, die Schiffe unter einer Brücke hindurch oder über einen Autobahntunnel hinweg überfahren können. Wir nahmen den Tunnel und als ich wieder zur Wache gepfiffen wurde, passierten wir die Hafeneinfahrt. Um den Hafen zu durchqueren benötigten wir drei Stunden, man stelle sich die Grösse des Hafens vor! Dabei passierten wir eine Reihe Kriegsschiffe, Flugzeugträger, Versorgungsfrachter und sogar ein Hospitalschiff mit einem riesigen roten Kreuz darauf. Der Pier, an dem diese vertäut lagen, war Meilenlang und eine Bahnlinie mit mehreren Gleisen wurde benutzt um die Schiffe zu versorgen. Wie wir später herausfanden, musste jedes Schiff 5000 Mann Besatzung haben und die Angestellten im norfolker Hafen machten mehr als 10 % der Jobs in ganz Virginia aus. Und dennoch finde ich die grauen Pelikane immer noch nennenswert. Wir fuhren in den Elizabeth River ein, fotografierten die Stadt so wie die in der Werft liegenden Kriegsschiffe und fuhren dann endlich in einen Yachthafen in Portsmouth ein.Eigentlich waren wir sehr müde, aber wir konnten es nicht sein lassen am 23. Dezember noch ins Museum zu gehen. Das Kriegsschiff aus dem zweiten Weltkrieg USS Wisconsin konnte besichtigt werden. Mit der Fähre (ein gefälschter Raddampfer, der mit einem normalen Motor betrieben wurde, aber ein hübsches gefälschtes Rad hatte) fuhren wir über den Fluss nach Norfolk. Wir streunten durch das Museum, betrachten Schiffsmodelle, morsten uns Worte zu und streichelten lebende Fossilien, Hufeisenkrebse. Dann gingen wir über eine Brücke an Bord der USS Wisconsin. Ich war schon über das Teak-Deck erstaunt, aber die wahren Überraschungen warteten drinnen auf mich. Reto war nicht überrascht, und kicherte über alle meine Entdeckungen. Wir erkundeten nicht nur Kantinen und Schlafplätze, sondern auch eine Zahnarztpraxis und einen Friseur an Bord. Eine Post, eine Bibliothek, Waschküche, mechanische Werkstatt, Näherei, sogar eine Kirche – an Bord schien es alles zu geben, was man brauchen konnte. Aber der Kiosk, die Eisdiele und die Doughnut-Bäckerei verblüfften mich dennoch, aber auch Seeleute müssen irgendwo Kaffee trinken können. Auch fanden an Bord regelmässig unterhaltsame Events statt. Vom Boxkampf zum Rockkonzert stand fast alles auf dem Plan. Ich war fasziniert! Natürlich verwickelten wir uns mit einem Angestellten des Museums in ein Gespräch: Fast wären wir herausgeworfen worden, weil wir bei Ladenschluss immer noch im zweiten Stock standen. Kaum aus der Museumstür heraus, versuchten wir ein Postoffice zu finden, aber daran scheiterten wir kläglich. Also liessen wir uns von der Fähre nach Hause fahren und kippten nach zwei Tellern Pasta in die Koje.