Insel der Erinnernden

Einen weiteren Tag folgten wir dem Fluss der in einen Kanal führte und von dort in die Lagunen von North Carolina führte. Am Cape Fear River drehten wir nach Süden ab und fuhren wieder in bekanntem Gewässer. Bevor uns die starke Tidenstömung wieder ins Meer hinaus spühlte, drehte uns Reto um und hielt uns im Strom. Wir warteten vor der scharfen Einfahrt bis die Fähre den Hafen wieder verlassen hatte und etwas länger. Im Hafen von Bald Head Island verursacht die starke Fähre einen Wirbelförmigen Strom, der sich erst nach einigen Minuten wieder legt. Danach fuhren wir wie im Januar 2020 an die Tankstelle. Es dauerte nicht lange bis sich Jo, eine der Hafenmeister, an uns erinnerte. Sie hielt geduldig unsere schreiende Gwendolyn bis wir aufgetankt hatten – Gwendolyn gefiel die Prozedur gar nicht. Danach durften wir in einem der Slips parkieren. Jo musste zwar ein wenig herumtelefonieren, aber wie sie herausfand würde das Boot, für welches der Slip am nächsten Tag reserviert war, nicht kommen.

Reto, Gwenny und ich machten uns daher auf die Suche nach all den Menschen, die wir im vorletzten Winter getroffen hatten. Wir begannen logischerweise in der Bar. Hannah, unsere Bartenderin, hatte alle Hände voll zu tun, aber um Gwendolyn kennenzulernen und mit ihrem ersten Bar Equipment auszustatten langte die Zeit allemal. Seither kaut Gwendolyn regelmässig auf dem Holzstab herum, den man eigentlich zum zerdrücken von Limetten im Glas benutzt. Dafür hatte Julie Zeit, der «Jules Salty Grub and Island Pub» gehört. Sie gönnte sich wie so oft ein Glas Wein an ihrer eigenen Bar, als sie sich plötzlich erinnerte: «I know you, guys!» Kurze Zeit später trugen ihre Töchter Gwendolyn umher und gaben sie jedes Mal weiter, wenn eine wieder servieren musste. Alle drei halfen während den Sommerferien im Pub aus, da auch in North Carolina überall die Angestellten fehlen. Auch hier ist das Arbeitslosengeld wegen Corona zu gut um arbeiten zu gehen. Auch Jerry trafen wir wieder und Julie versuchte zwar ihn aus seiner Schreibkammer zu locken, aber Michael tauchte nicht auf.

Julie lieh uns am folgenden Sonntag ihren Golf Kart aus. Ihre Bar war geschlossen und sie daher auf dem Festland. Leider hatte ihre Töchter das vierplätzige Elektroauto aber nicht eingesteckt, weshalb wir zunächst im Marina Office nachfragten, wie weit man den mit drei Balken auf der Batterieanzeige kommt. Ben, unser Marina Manager, meinte, dass wir nicht weit kommen würden, weshalb wir den lila Golf Kart vorerst am Strom ansteckten. Eine gute Stunde später fuhren wir damit zum Einkaufszentrum der Insel. Wir stellten auch hier fest, dass die Insel voll mit Leuten ist – es ist nicht nur Sommer, sondern auch alle Hausbesitzer verstecken sich seit Monaten auf der Insel vor Corona. Alle Läden waren geöffnet und wir machten im Hardware Store halt, bevor ich Reto mit Gwendolyn im Kinderwagen im Café abstellte. Ich machte mich auf Lebensmitteljagd, während Reto von Frauen umschwirrt wurde, die Gwendolyn zum Lachen bringen wollten, wie eine Kerze von Motten. Zum Schluss lud er unsere Kassiererin zum Segeln ein, bevor wir den lila Golf Kart wieder beluden. Da wir nun noch einen Nachmittag zur Verfügung hatten, fuhren wir an den Strand. Eigentlich hätten wir gern gebadet, aber wir waren zu faul Gwenny in ihre Badesachen zu stecken, nur um eine Weile im Wasser zu sitzen.

Wir genossen noch einen faulen Tag und einen gemütlichen Abend in der Bar, bevor wir am späten morgen aufbrachen. Da wir den Cape Fear River hochfahren wollten, mussten wir mit der Flut fahren. Besonders durch den Kanal brauchten wir den Strom auf unserer Seite. Für Sea Chantey waren die Wassertiefen zwischen Fluss und Kanal überall ein wenig knapp, aber wir erreichten die künstliche Durchfahrt problemlos. Statt weiter dem Intracoastal Waterway zu folgen und bis mitten in der Nacht keinen vernünftigen Ankerplatz zu erreichen, schwenkten wir nach dem Kanal nach rechts. In der Bucht von Carolina Beach schnappten wir uns einen Mooringball. Zum Glück hatte ich schon am Vormittag eine Mooring reserviert, denn es war die letzte freie von zehn. Reto ruderte seine kleine Familie an Land und wir taten, was Julie uns wärmstens empfohlen hatte: Wir gingen Doughnuts (korrekt) essen! Dieser Laden hatte zwar angeblich die zweit besten Donuts (amerikanisch) im ganzen Land und Reto fand sie klasse, aber ich bin und bleibe KEIN Fan von Donuts. Aber den Spaziergang über den Boardwalk am Stand entlang genoss ich sehr. Wir schaukelten auf den hängenden Bänken und rannten anschliessend vor dem Regen davon. Nach dem kleinen Schauer brachte Reto uns nach Hause.

Wie im Amazonas

Wir mussten nicht irrsinnig früh abfahren, da wir sowohl um aus unserem Liegeplatz herauszukommen als auch um durch die Brücke zu gehen Slack Tide brauchten (Strömungsstillstand bei Höchst- oder Niedrigstwasser). Es war nur fünf Meilen die Bucht hinunter und den kleinen Fluss hinauf bis zur Brücke und wir erreichten die Brücke wie geplant mit leicht auslaufendem Wasser. Im Gegenstrom ist es einfacher vor der Brücke zu warten bis sie geöffnet wird, weil das Schiff nicht auf diese zugetrieben wird. Nachdem wir vorsichtig einige Untiefen im Kanal überquert hatten, folgten wir dem Intracoastal Waterway durch Salt Marsch. Dies ist eine Bezeichnung für Sumpfland mit hohem Grass in Salzwasser. Durch diesen verliefen Flüsse mit starkem Gezeitenstrom. In einem solchen ankerten wir mit der untergehenden Sonne.

Am nächsten Tag folgten wir dem Kanal bis wir auf einen weiten Fluss stiessen. Die einlaufende Flut half uns ein wenig flussaufwärts, während am Ufer der Boden fest wurde und mit jeder Meile, die wir uns vorbewegten, die Bäume höher wuchsen. Bald fuhren wir gegen dauernden sanften Gegenstrom an, weil die Gezeiten den Fluss nicht mehr reichten. Die Bäume wuchsen links und rechts bis in den Fluss hinein, wo manchmal Bäume manchmal Baumstümpfe aus dem Wasser ragten. Weiter Flussaufwärts schlängelte sich der Waccamaw River in weiten Kurven durchs Land. Er war erstaunlich tief, an manchen Stellen bis zu zehn Meter. Tatsächlich gibt es an einigen Orten Häfen, aber diese waren uns zu teuer. Wir ankerten schliesslich an einer seichten Stelle im Fluss.

Fischerhafen an der Reuss?

Vom Pungo River durch den Pamlico Sound und in den Goose Creek Kanal brauchten wir gerade einmal einen halben Tag. So konnten wir uns einen Stopp mitten im Kanal gönnen, wo in Hobucken tatsächlich ein Fischerhafen liegt. Trawler lagen an dem langen, vernachlässigten Steg, an dessen Nordende wir anlegten. Vorbei an Arbeitsamen Fischern spazierten wir nach Süden und fanden den kleinen Tante-Emma-Laden. Ich versorgte uns mit Fisch für die nächsten Tage: Flunder, Grouper und Red Snapper bekam Reto an den nächsten Abenden zu essen.

Wir ankerten in einem Nebenarm des Neuse River, bevor wir durch den Adams Creek Canal die letzte vorgesehene Etappe des Intracoastal Waterway antraten. Reto fand, mit den Steilen Ufern und den kleinen Sandstränden zwischen den Schilfwäldern erinnere der Kanal an die Reuss. Manchmal bekam ich das Gefühl auch Reto habe Heimweh. Am Adams Creek standen viele Häuser, jeweils mit Bootssteg und Wracks von vernachlässigten Booten säumten unsern Weg. Besonders schmerzte uns der hölzerne Fischtrawler, der umgekippt halb im Wasser liegt. Die Aufschrift Miss Melissa sah frisch aus. Das hübsche Schiff hatte wohl erst im letzten Hurricane sein Ende im Flussbett gefunden. Durch einen weiten Kanal erreichten wir die Brücke, die Beaufort mit Morehead verband und machten eine scharfe Rechtskurve, um in der Marina zu landen. Zumal Gegenwind angesagt war, wollten wir in der Yacht Basin Marina einen Tag Planungsarbeit einlegen.

Keine Alligatoren im Alligator River

Pünktlich begannen wir unsere Fahrt durch den Elizabeth River nach Süden. Zwischen Norfolk und Portsmouth unter der Autobahnbrücke hindurch, vorbei an Werften folgten wir dem meist verschmutzten Fluss in Nordamerika. Das Wasser war braun und trübe, aber die Farbe stammte aus dem nahen Dismal Swamp, den wir ursprünglich durchqueren wollten. Der Sumpf färbt das Wasser braun wie dünnen Kaffee. Momentan ist jedoch die Schleuse in Elizabeth City wegen Reparaturen geschlossen, weshalb wir am Wegweiser in die andere Richtung abbogen. Auch hier fuhren wir durch einen Sumpf, an dessen Ufern Schilf wuchs und totes Holz stand. Reto steuerte, ich war an den heiklen Stellen Ausguck, durfte aber oft lesen. Bald erreichten wir die Schleuse dieses Kanals und sanken um zwei Fuss, bevor wir an der Zugbrücke einer Bartsch den Vortritt liessen. Bald danach hatten wir den ersten Sumpfwald hinter uns und überquerten eine Bucht der Lagune. Der Kanal führt hier mitten durch eine Insel, bevor er mitten durch das Festland nach North Carolina führt. In der Mitte dieses Kanals lag unser Tagesziel, welches wir kurz nach Sonnenuntergang erreichten. An einem schier endlosen Pier legten wir an und wussten schon, auch heute essen wir auswärts. Captain Jacob, der in Atlantic City notdürftig unsere Propellerwelle abdichtete, hatte uns Coin Jock Marina und Restaurant empfohlen – wir sind seither zirka 300 Meilen gereist. Das Abendessen war himmlisch, ich habe mich in Austern Rockefeller Art verliebt und drei Stücke Kuchen zu teilen, entpuppte sich als eine geniale Idee.

Nach einer Brücke öffnete sich der Kanal zu einer weiten Lagune, den Abermarle Sound, für die wir fast den ganzen Tag brauchten, um sie zu überqueren. Der arme Reto sass fast den ganzen Tag am Steuer, weil ich so vertieft in mein Buch war. Obwohl das fast schwarze Wasser neben dem Kanal nur zwei Meter tief war, fühlte ich mich wie auf dem Ozean. Nur ganz klein am Horizont waren die spitzen von Bäumen und Büschen zu erkennen. Zwischen Untiefen hindurch erreichten wir den Alligator River, wo uns wieder einmal eine Schwingbrücke geöffnet werden musste. Erst bei Sonnenuntergang warfen wir den Anker.

Über dem Kanal, der den Pungo River mit dem Alligator River verbindet, kreisten Adler und einmal erblickten wir eine Rotte Wildschweine. Alligatoren sahen wir keine. Aber Reto war nicht geistesgegenwärtig genug um langsamer zu fahren, daher sind auf den Fotos nur Büsche zu sehen. Er lachte darüber, dass ihn die Gegend ausgerechnet an die Limmat erinnerte. Durch den Kanal kamen wir schnell voran und erreichten die touristische Ortschaft Belhaven schon am frühen Abend. Eigentlich wollten wir Budget-schonend am Gratis Pier schlafen, aber nachdem wir in der Marina getankt hatten, wollte Reto nicht mehr den Liegeplatz wechseln. So kamen wir aber zu einem gut genutzten Abend: Die Marina stellte uns einen Golf-Kart zur Verfügung mit dem wir an der Tankstelle unsere Propantanks füllten. Nach einem Abstecher zum Hardware Store, tranken wir bei Sonnenuntergang Kaffee auf der Veranda. Und dank Dusche und Waschmaschine sind Reto, ich und unsere Kleider alle wieder sauber. Ich finde übrigens nicht, dass der Kanal der Limmat ähnelt – an der Limmat gibt es sicher keine Pelikane!