Nach vier Tagen in St. Augustine hätten wir für immer bleiben können, wie letztes Mal auch. Aber wir nahmen uns zusammen und fuhren weiter nach Norden. Durch den ICW tuckerten wir weiter, durch Brücken und Kanäle, mit einem kurzen, ungeplanten, holperigen Stopp auf einer Sandbank, nach Fernandina Beach. Dann durch den St. Marys River, auf der anderen Seite hoch bis wir in eine Fluss ankerten. Unser Ankerplatz war nur 200 Meter vom Dock der Ranger Station auf Cumberland Island entfernt. Der Nationalpark wurde uns von allen Seiten empfohlen, weshalb Reto zuerst mich und Gwendolyn mit der Trage dann Chloé und Florent hinüberruderte. Ich las gerade die Tafeln im Wartebereich des Fährendocks als Reto mich aufgeregt aufforderte zurück zum Dinghy Dock zu kommen. Ich traute meinen Augen kaum. Erst sah ich nur kleine Wirbel auf dem Wasser, dann hi und da eine Flosse. Die Wirbel liessen grosse Tiere vermuten, aber der Form nach konnten es keine Delfine sein. Schliesslich streckte das erste Tier den Kopf aus dem Wasser: Ein Manati, dann noch eins. Wir zählten mindesten acht, die sich zwischen dem Dock und dem Land tummelten und wir konnten vom Pier auf sie herabsehen. Es war unmöglich sie zu fotografieren, denn unter Wasser waren die grossen Seekühe unsichtbar und die Nasen, Rücken und Flossen zu schnell wieder verschwunden. Nach einer Weile musste ich den anderen Folgen, obwohl ich den Tieren noch ewig hätte zusehen können. Endlich habe ich die Tiere gesehen, die ich ganz passend in meinem Seefahrer-Roman beschrieben habe.
An Land ging die Safari non-stop weiter. Ein Amarillo, also ein Gürteltier, flitzte über die Wiese, die wilden Pferde grasten in der Ferne, Zitronenfalter überall. Wir entschieden einmal quer über die Insel zu laufen und an den Atlantik-Strand zu gehen. Der Weg führte uns an den Ruinen einer immensen Villa vorbei. The Dungerous wurde im 18. Jahrhundert erbaut und hatte alles was man an Luxus haben wollte – 50 Zimmer, ein Freizeithaus mit Pool und Schiessstand, ein Gemüsegarten mit Treibhaus und Gästehäuser. In der nähe wurde ein ganzes Dorf erbaut um die Dienstboten, Gärtner und sonstigen angestellten zu beherbergen. Ein Stall mit Kutschenhaus, ein Kuhstall mit Molkerei, der Luxus schien kein Ende zu nehmen. Am Dock, wo wir angelegt hatten stand noch das Eishaus, welches heute ein Museum ist. Das Geld kam von den grossen Bäumen, die überall standen. Unzählige Schiffe wurden aus dem Holz von Live Oaks gebaut, die von Natur aus in den perfekten Bögen wuchsen die Schiffe nun einmal haben. Das Business war so immens gewesen, die Besitzer bauten weiter nördlich zwei weitere Villen für ihre Kinder! Dann war die Villa plötzlich unbewohnt, ging vergessen und zerfiel. Reto und ich durften nicht einmal in der Ruine herumklettern – zu viele KEEP OUT Schilder und zu viele Ranger Augen, die aufpassten. So machten wir Pause im Schatten und begannen bald mit anderen Bootsbesitzern zu Plaudern. Reto sass mit Gwendolyn auf einer Bank, als uns ein älteres Paar erklärte eine Hirschkuh hätte ihr Kalb verloren. Obwohl alle Tiere auf Cumberland Island wild sind, kam die Hirschkuh bald näher auf der Suche nach ihrem Jungtier. Bald betrachtete sie sehr interessiert Gwendolyn und kam immer näher. Ich zog mein Handy heraus um alles zu filmen – sonst glaubt doch niemand, dass eine wilde Hirschkuh immer näher an ein Baby herangeht und es plötzlich neugierig mit der Nase berührt! Sowohl Gwendolyn als auch die Hirschkuh waren ein bisschen schockiert. Aber während Gwendolyn bald zu lachen begann als sie ihr fasziniertes Mami sah, suchte die Hirschkuh zufrieden weiter nach ihrem Kalb. Für uns steht fest, falls Gwendolyn einen Indianer heiratet, wird ihr Name: Berührt-vom-Reh.
Nach diesem magischen treffen, dass auf Video aufgenommen wurde, wanderten wir zum Strand. Gwendolyn Touched-by-the-Deer wurde allmählich schwer, während wir über einen Pier durch den Salzwassersumpf gingen. Bis wir über die Dünen das Meer erreichten waren Reto und ich «uf de Schnitz» waren. Chloé machte mit ihrer Kamera ein Bild von uns, wie wir uns auf einem grossen Stück Treibholz ausruhten. Sie und Florent machten einen langen Standspaziergang zurück zum Pier, während wir den kurzen Weg nahmen, den wir gekommen waren. Uns begegneten ein Truthahn und ein paar Ranger. Als Reto eine Stunde oder zwei später Chloé und Florent abholte, packten die nur ihre Schlafsäcke ein. Sie entschieden an Land zu übernachten, weil ihnen die Insel so gefiel. Da wir nicht früh raus mussten, hatten wir nichts dagegen und Reto ruderte die beiden wieder an Land.
Übrigen, wegen der Gurkeninsel… Ich verplapperte mich sicher zwanzig Mal und musste mich dauernd selbst korrigieren, wenn ich einmal wieder von Cucumber Island statt von Cumberland Island sprach. Meine Legasthenie?