Es war strahlend schöner Sonnenschein an dem Abend, an dem wir durch eine mit Segelbooten und Fischern überfüllte Lagune mit der St. Augustine Marina kontakt aufnahmen. Schon in South Carolina haben uns die Leute von dem Städtchen vorgeschwärmt und wir freuten uns seit Wochen darauf. Via Radio sprach ich mit der Marina ab, welche Mooring wir nehmen durften, während Reto den Verkehr im Auge behielt. Nördlich der Lions Bridge machten wir an Boje 5 fest und ruderten unser Dinghy zum Dock. Die Stadt erinnerte mich an Südfrankreich: Überall Palmen, Parks mit Statuen zwischen den Einbahnstrassen, Galerien, Restaurants, Schmuckgeschäfte und Souvenirläden wechselten sich entlang der Strasse ab. Wir warfen uns ziellos hinein, doch einige Abzweigungen stadteinwärts zog es uns wie automatisch in eine kleine Strasse mit Kopfsteinpflaster, auf der nur wenige Leute unterwegs waren. Auch hier säumten Gallerien und Eisdielen die Strasse, die wir entlang schlenderten, bis wir unter einem Ladenschild stehen blieben: OLD MAPS AND PRINTS. Vorfreudig enterte ich das vollgestopfte, menschenleere Geschäft und begrüsste den älteren Herren hinter der Theke fast entschuldigend, die Ruhe in seinem Geschäft zu stören. Reto drehte nur eine kleine Runde, bevor er sich gegenüber der Theke in einen Sessel setzte und mit dem Ladenbesitzer plauderte. Ich muss Stundenlang zwischen den alten Karten, Bücher, Drucke von Kupferstichen und zahllosen sonstigen Dingen herumgekrochen sein. Die «Drunkadillos» fand ich doch etwas makaber: Ein präpariertes Amarillo (Gürteltier), das sich eine Falsche an den Mund hält? Als ich in einem Märchenbuch von 1860 las, reif Reto mich an die Theke. Der Ladenbesitzer wollte früher schliessen, aber bis wir ihm auf der Türschwelle von unserer Reise erzählt hatten, kam er vermutlich trotzdem zu spät zu seiner Verabredung. Ich wollte noch einmal in den Kartenladen, weshalb uns der Kartensammler einen Gutschein für das nächste Restaurant gab und versprach, eine alte Schweizerkarte aus seinem Archiv auszugraben. Die Trennung fiel uns dreien schwer, der Kartensammler erzählte uns von der Ortschaft, bevor er schliesslich seines Weges zog. Sein Geschäft war im ältesten Haus St. Augustines, gebaut in den 1760ern und nur knapp einem Feuer entronnen. Dieses stand in der ersten Strasse, die gebaut wurde nachdem Jose Ponce de Leon 1513 den Ort entdeckt hatte. Das spanische Fort war bis zum Bürgerkrieg in Gebrauch und ist damit Floridas Rekordhalter. Gegenüber dem Haus des Gouverneurs befindet sich heute das Tourismus Quartier mit noch mehr Restaurants, Souvenirläden und Galerien. Dieses durchstreiften wir den ganzen Abend, bevor wir uns gönnten im Restaurant 1A1 «Znacht» zu essen.
Obwohl es am nächsten Vormittag regnete, ruderten wir unsere Wäsche an Land. Diese Idee hatten viele «Boaters», die Waschmaschinen kamen gerade so nach mit der Nachfrage, aber an den «Tumblern» entstand Stau. Insgesamt brachte mir dies aber genug Zeit ein, um meinem Verlag zu schreiben. Die Bearbeitungen für das illustrierte Hardcover nehmen ihr Ende. Ausserdem wurde derweil das Wetter besser und als wir uns zum Kartenladen aufmachten, strahlte die Sonne. Aufgeregt, wie nur ein wahrer Sammler es sein kann, legte der Ladenbesitzer uns die Doppelseite eines Atlanten vor. Sie zeigte die Schweiz, vor der Gewässerkorrektur der Aare, wie Reto sofort erkannte. Wir diskutierten lange über die Herkunft der Karte und die Schweiz und ich machte eine Ehrenrunde durch das Geschäft. Die wunderbare Karte der Bahamas von 1779 konnte ich mir leider nicht leisten. Dafür packte der Kartenhändler die Karte der Schweiz ein. Als Geschenk, weil ich so lange und so genau in seiner Sammlung gestöbert hatte. Sie hängt jetzt über meiner Koje. Dann griff er in eine Schublade und gab mir eine Halskette mit Haifischzahn: Ich sollte den Leuten erzählen wie ich diesen Zahn mit einer Zange aus dem Rachen eines Hais gezogen hatte. «Nein», sagte ich lachend, «Ich erzähle den Leuten, dass ich diesen Zahn in einem verstaubten Kartenladen in der ältesten Strasse Floridas von einem Mann bekam, der betrunkene Amarillos verkauft. Das klingt fiel abenteuerlicher!» Der Sammler lachte und wir tauschten Adressen aus, bevor Reto und ich unseres Weges zogen. Den Haifischzahn trage ich seither. Diesmal hatten wir ein bestimmtes Ziel in der Altstadt, den Reto wollte sich nach einem Hut umsehen. Sein Strohhut hatte schwarze Schimmelpunkte bekommen und er sah sich nach Ersatz um, fand aber nichts, was ihm gefiel und seinem Portemonnaie entsprach. Dafür bekam er im Schokoladengeschäft von der süssen Verkäuferin Schokolade geschenkt. Bevor wir zu Sea Chantey zurückruderten, holten wir unsere Wäsche aus dem Waschsalon. Weil dieser auch die Lounge der Marina ist, plauderten wir noch eine halbe Stunde mit einem älteren Herren und seinem eifersüchtigen Hündchen Stella. Derweil drehte die Strömungsrichtung im Hafen, weshalb Reto die Riemen nur zum Steuern benutzen musste, als er uns zurück aufs Schiff brachte.
Wir schliefen lange und machten Hausarbeiten, weshalb es schon relativ spät war, als wir aufbrachen, um uns das College anzusehen. Das Flagler College ist eines der grössten Gebäude in St. Augustine und mit seinen Türmen und Kuppeln imposant wie ein Schloss. Tatsächlich war es aber ein sehr grosses, sehr schickes Hotel mit Saal und botanischem Garten, bevor es vor bald 100 Jahren zum College umgebaut wurde. Für die Tour waren wir aber zu spät, weshalb wir nur die drei Stockwerke hohe Eingangshalle zu Gesicht bekamen. Wir gingen dafür Glace essen und spazierten zum Fort. Am frühen Abend stoppten wir in der Sangriabar, deren Eingang wir seit dem Vortag gesucht hatten. Sie war im ersten Stock eines alten Gebäudes und von aussen waren nur die Tische auf dem Balkon zu sehen, der zwei Seiten des Gebäudes umrahmte. Der Eingang war eine versteckte Treppe im Hof. Wir genossen Sangria und Snacks auf dem Balkon, plauderten mit den anderen Gästen und verdünnisierten uns, als es voll wurde. Dann liefen wir an das interessanteste Kleidergeschäft der Stadt, einen Steampunk-Laden. Es gab viel zu stöbern. Ich probierte sogar eine Bluse an und nicht nur die Verkäuferin und eine andere Kundin fanden sie toll, sondern sogar RETO! Wer mit Reto shoppen geht, kauft nie etwas, weil es ihm Freude macht, Kleidungsstücke schlecht zu machen. Aber diese Bluse gefiel ihm, weshalb sie nach dem zweiten Mal anprobieren mit mir nach Hause kam. Sangria! Meinen letzten baren Dollar steckte ich in eine Wahrsager-Maschine mit Harry Potter’s sprechendem Hut, obwohl ich ja weder an Horoskope noch an wahrsagen glaube. Sangria! Auf der Karte war ein Einhorn zu sehen und da stand, sehr zutreffend:
Glücklicherweise ist dir vorbestimmt sehr glücklich zu sein.