Basteln nach MacGyver

Wir lagen vor einer traumhaften Insel. Aber wir hatten zu tun und keine Zeit faul am Strand zu liegen. Auf der Überfahrt nach Whale Cay hatten wir entschieden, dass unser hinterer Mast sich zu stark bewegte. Er hatte immer etwas gewackelt, aber jetzt bewegte er sich fast einen halben Zentimeter. Also entfernten wir die Abdeckung am Mastfuss und legten damit die keilförmigen Hölzchen frei, die rund um den Mast eingeschlagen waren. Wir konnten sie von Hand bewegen und zogen locker eines heraus. Einfach weiter herunterschlagen konnten wir sie leider nicht – sie hatten einen Rand. Es folgte eine längere Diskussion darüber, wie wir die Keile dicker machen wollten. Nach eingehender Prüfung entschieden wir uns für Retos Vorschlag: Wir machen es wie McGyver mit zwei lagen Tuck Tape. Eines nach dem anderen hoben wir die Hölzchen mit dem Taschenmesser heraus, kratzten damit dicht Masse ab, die gar nicht an die Hölzchen gehörte und reinigten den Keil mit Alkohol. Danach kamen zwei Lagen Superklebeband darauf, welche mit der Schere zurechtgeschnitten wurden. Reto machte die meiste Arbeit, weil ich die Hände voll hatte mit Gwendolyn. Kopfschüttelnd stellten wir fest, dass auch die Reihenfolge der Hölzchen nicht stimmte und daher die Form nicht passte. Kein Wunder hatte der Mast Platz zum Wackeln. Jemand (möglicherweise Brad) hatte den Mastfuss beim letzten Einbau falsch zusammengesetzt. Als alle Stücke an ihrem Platz waren, bekam jedes einen Schlag mit dem Hammer. Damit sass der Mast nun fest in seinem Loch.

Am nächsten Nachmittag blies der Wind über Whale Cay und veranlasste uns das Weite zu suchen. Wir flogen nur so über die Wellen. Nur getrieben vom Grosssegel machten wir sechs Knoten. Im innerhalb weniger Stunden erreichten wir die Riffe, die uns von der Bahama Bank trennten. Unsere Karte informierte uns darüber, dass alle Leuchtfeuer kaputt waren oder gar nicht erst da. Nur ein Pfeiler markierte den Weg durch die Riffe, aber wir durchquerten sie ohne Probleme. Gwendolyn genoss ihre erste Übernachtfahrt. Sie schlief ein sobald die Sonne untergegangen war und wachte Nachts nur ein Mal auf. Wir schliefen überhaupt nicht. Wir waren das lange sitzen nicht mehr gewöhnt und mussten etwas öfter wechseln. Schneller als erwartet hatten wir im Mondschein die Bank überquert. Mit der Morgendämmerung suchten wir uns einen Ankerplatz im Lee von North Bimini. Dort schlief ich ein paar Stunden, während Gwendolyn ihren Vater wach hielt. Bei Tageslicht und Fluthöchststand tuckerten wir schliesslich in den Hafen und dockten waghalsig in der Bluewater Marina. Der Wind verblies unser Manöver, wir machten eine Piruette und brachten es schliesslich fertig eine Leine an den Nachbarpier zu werfen, wo uns fünf Leute an den Pier zogen und vertäuten. Von diesem Pier bewegten wir uns nicht mehr weg.

1000 Schätze auf Bald Head Island

Bald Head Island ist wunderschön. Sie ist Naturschutzreservat und Ferieninsel mit vierzehn Meilen geschütztem, fast unberührtem Stand. Eine Fähre verbindet sie mit dem Festland, nur Firmen bekommen eine Erlaubnis für ein Auto und die Touristen, die im Sommer kommen, dürfen sich lediglich mit dem Golf Kart, dem Fahrrad oder den Füssen fortbewegen. Im Januar säumen leerstehende, aber schöne Ferienresidenzen die leere Marina und jede Stunde unterhält die Fähre mit ihrem Kommen und Gehen. Der Wind rauscht durch die Palmen. Still und paradiesisch, was mir spätestens dann richtig klar wurde, als sich der zweite Mensch, den wir trafen, als Schriftsteller entpuppte. Michael wollte eigentlich auf der Veranda der Marina arbeiten, schreiben, aber unser hübsches Schifflein lenkte ihn leider sehr ab. Nach einer Viertelstunde plaudern, waren wir mit allem versorgt, was man auf Bald Head Island brauchen konnte, wir sollten nur nach Michael fragen. Aber der Harbormaster war schneller: Über eine Holzbrücke über den Sumpf, dann durch eine Landschaft wie ein Dschungel fuhren wir im Golf Kart zum Grocery Store. Die salzige Luft, die engen Strassen und die Moosbehängten Bäume erinnerten mich so sehr an Rotnest Island in Australien, dass ich schon die Quockas (Känguruh-Ratten) suchte. Als uns der Harbormaster mit dem Golf Kart beim Grocery Store absetzte, hatte dieser gerade Stromausfall. Er war ausgerichtet auf Touristen, die es sich gut gehen liessen. Wir kauften Wein und beste Leckereien, plauderten in dem Menschenleeren Spezialitätengeschäft mit der Kassiererin und jubelten mit den drei Angestellten als die Lichter wieder angingen. Ein Spaziergang am Strand rundete einen Ferientag wie aus dem Bilderbuch ab. Wir freuten uns richtig darüber, dass der kommende Südweststurm uns ein, zwei Tage festhalten würde. Ein Hobby-Strand-Fotograph, der sich als Jerry vorstellte, nahm uns mit zur Marina.

Am Donnerstag, 6. Februar hatte ich «Sturm»-frei: Der Kaffee kam aus der Cafetiere und Musik kam von meinem Laptop. Trotzdem machten wir uns früh auf den Weg zum stillgelegten Leuchtturm. Als dieser geschlossen war, bekam ich den ganzen Tag zur freien Verfügung. Mit Reto sah ich mir die Reste eines Forts an, bevor ich mich wie tags zuvor Michael auf die Veranda setzte und bloggte. Als Crew frei zu haben bedeutet, als Schriftstellerin und Bloggerin zu arbeiten – Ruhm kommt nicht von alleine! Reto lieh sich derweil ein Fahrrad und radelte auf die andere Seite der Insel, um sich die Reste eines anderen Leuchtturms anzusehen. Ich bedaure etwas, ihn nicht begleitet zu haben, aber ich hatte zumindest einmal meine Ruhe. Reto macht es nichts aus, dass wir dauernd auf einander hocken, mir zehrt es zeitweise an den Nerven. Er kam mit einem Grinsen auf dem Gesicht zurück: «Ich habe einen Schatz gefunden und ihn für dich versteckt! Willst du morgen auf Schatzsuche gehen?» Plötzlich freute ich mich, dass ich zurückgeblieben war. Reto schrieb mir eine Wegbeschreibung, die er mit Rätseln und seiner unleserlichen Handschrift verschlüsselte. Nachdem ich ein unangenehmes Mail meines Verlags beantwortet hatte, war ich auch reif für einen Drink, weshalb es uns in Mojo’s Bar direkt am Pier verschlug. Dort sass schon Michael an der Bartheke und fünf Minuten später waren wir mit der halben Insel bekannt gemacht. Das Mojo’s war als einzige Bar auch im Winter geöffnet und wirklich alle – ALLE – trafen sich hier. Und JEDER wollte wissen, woher wir kamen, was wir erlebt hatten und fand unsere Reise grossartig, weshalb uns JEDER einen Drink spendieren wollte. Den letzten Drink konnten wir selbst bezahlen, aber die Bartenderin Hannah weigerte sich, das Trinkgeld zu nehmen. Michael versprach uns seinen Glof Kart für die Schatzsuche. Vielleicht lag es auch an den drei Cidern und dem vollen Bauch, dass es schwierig war den schaukelnden Pier zu überqueren. Der Sturmwind blies uns fast vom Pier, aber wir erreichten unser schwankendes Schiff und kippten in die Koje.

Es passierte nachts. Die Blitze leuchteten durch die Bullaugen, der Wind heulte und wir taten fast kein Auge zu. Aber für uns war der Stromausfall kein gravierendes Problem. Die Insel dagegen trat in den kurzzeitigen Notzustand: Die Fähre fuhr erst ab dem Nachmittag, die Häuser hatten keinen Strom und die wenigen, die einen haben, nahmen die Notstromgeneratoren in Betrieb. Entsprechend bekamen wir natürlich keinen Golf Kart für die Schatzsuche. Aber da der Sturm zwar windig, aber wunderschön sonnig war, gingen wir zu Fuss auf Schatzsuche. Am Leuchtturm vorbei folgten wir dem Piraten, liefen quer über die Insel und entdeckten den Golfplatz. Nach einer Stunde Fussmarsch machten wir einen kleinen Umweg zum Einkaufszentrum, wo wir in der Kantine des Grocery Stores zu Mittag assen. Wir amüsierten uns darüber, dass wir an jeder Steckdose eine Person mit Laptop vorfanden, die dem Lebensmittelgeschäft den frisch produzierten Generatorstrom stibitzten, der für die Kühlschränke gedacht war. Hier trafen wir ein Pärchen, das wir in der Bar kennengelernt hatten und uns nun zwei Fahrräder lieh. Ich war vorher noch nie mit einem Velo unterwegs gewesen, bei dem man zum Bremsen rückwärts treten musste. Mit diesen überquerten wir die Insel nach Osten. Einmal machten wir eine kurze Exkursion zu Fuss, um herausfinden wie dick die Timmons Eiche ist, was ich für eines der Schatzrätsel wissen musste. Der Baum war sicher zwei Meter dick und hohl, bis in die Äste. Ich kletterte innen sogar ein Stück hinauf, um die Hand aus einem Astloch zu strecken.

Dann gings per Fahrrad weiter nach Osten vorbei am Schildkröten-Informationszentrum, bis wir vor einem hölzernen Pier halt machten. Diesem folgten wir zu Fuss an einen langen, einsamen Strand, wo ich nach einigem hin und her den Schatz unter dem Pier fand. Reto hatte die Schale eines Hufeisenkrebses gefunden, welche so gross war wie eine Salatschüssel, und dort versteckt, damit sie niemand anders mitnimmt. Ich schicke die Reste des toten lebenden Fossils auf den Achenberg, wo man es in einigen Wochen bestaunen kann. Wir versteckten es wieder, um den Strand entlang zu laufen. Der Sturmwind wirbelte den Sand auf und strahlte damit schmerzhaft unsere nackten Füsse. Aber die riesigen Muscheln in der Brandung, schienen die Qual wert! Ich fand plötzlich auch selbst einen Schatz: Ein Sanddollar! Plötzlich lag er vor meinen Füssen! Wir genossen den Ausflug und als wir zurück zum Pier und unseren Schuhen kamen, wollte ich noch nicht zurück. Ich streunte in die andere Richtung am Strand entlang, bis ich hell begeistert etwas fand, das ich gleich darauf zu Reto zurückschleppte. Es war so gross wie eine Teigschüssel, am Rand leider geknackt und ich musste es sehr vorsichtig tragen, damit der hintere Teil nicht abfiel. «Reto! Schau dir das an!», rief ich ihm zu und er machte grosse Augen, «Oh, der ist aber gross!» Auch ich hatte einen Hufeisenkrebs gefunden und erst noch einen, der fast doppelt so gross war, wie Retos Schatz. Da er aber eine geknackte Schale hatte, liessen wir ihn zurück, damit ihn noch andere bestaunen konnten. Unterwegs zurück, um die Velos abzugeben, machte wir einen kleinen Spaziergang im Sumpf, dann deponierten wir die Fahrräder. Wieder wurden wir in einem Golf Kart zurück zur Marina gefahren, da eine Barbekanntschaft vom Tag zuvor in die Richtung unterwegs war. Wir hatten noch einen Dieselfilter zu ersetzten bevor wir uns zu den Insulanern in die Bar setzten. Hannah war wegen des inzwischen behobenen Stromausfalls nicht zur Arbeit gekommen und Michael verschwand nach einem Drink wieder, weshalb wir ohne sie der Karaoke-Wut der Inselbewohner zum Opfer fielen. Dafür trafen wir Jerry wieder, der sehr geübt Country Songs zum Besten gab.

Da wir inzwischen Jesse kennengelernt hatten, die auf einem Segelboot in der Marina wohnt, stachen wir nicht in See. Die hübsche, blonde Leuchtturmwärterin machte extra für uns das Baldy Head Lighthouse auf und wir kletterten zirka 120 knarrende Stufen hinauf, um die Insel von oben zu sehen. Danach plauderten wir im Shop noch eine Weile mit Jesse, bevor wir einen faulen Nachmittag einlegten. Wir endeten natürlich noch einmal bei Hannah in der Bar, um uns zu verabschieden. Als wir am Sonntag morgen aufbrachen, stand Jerry mit gezückter Kamera am Pier und hielt digital fest, wie wir der Insel Auf Wiedersehen winkten.