Strandräuber

Die erste Woche unserer Ferien war im nun vorbei. Mit Gwendolyn ist alles abenteuerlich und zeitraubend. Morgens gemütlich frühstücken, dann Windeln wechseln, Baby zuerst in Sonnencreme und anschliessend im Meer baden. Wieder Windeln wechseln, umziehen und schon ist der Vormittag vorbei. Der Nachmittag verläuft ähnlich, nur dass der/die mit dem Baby im trockenen bleibt und der Partner schwimmen geht. Da ich nachts regelmässig Windeln wechsle und das kleine Raubtier füttere, bin ich normalerweise nach dem Abendessen schon reif fürs Bett und der Papi geht mit oder ohne Baby noch zur Abendunterhaltung. Es hätte uns wirklich langweilig werden können, wenn da nicht diese Strandverkäufer wären…

An einem Mittag baute einer dieser Halsabschneider seinen Stand direkt am Pool auf. Was konnte ein bisschen schauen schon schaden? Da hatte ich bereits eine Glasperlenkette um den Hals – ein Geschenk vom Verkäufer. Feil waren Zigarren, das Nationalgetränk der Dominikanischen Republik Mama Juana und Larimar, ein Mineralgestein, welches nur in der Dominikanischen Republik zu finden ist. Dieser Stein ist blau, nicht klar und durchzogen, ähnlich wie ein Türkis. Was konnte der schon kosten? Dazu kam der Enthusiasmus des Verkäufers, welchem ich offenbar die Corona-Defizite ersetzen sollte. Ein Steinchen für Mama, einer für Schwiegermama, einer für jede Grossmutter und so weiter… Grosse Flasche Mama Juana für Reto, zwei kleine für unsere Väter, eine zum gleich trinken… Alles nur 40’000 Pesos!! Sonderpreis!! Sonderpreis für Freunde aus Schweiz!! Aber 700 Dollar war uns dann doch ein bisschen zu viel, nach langem feilschen bekam ein sehr niedergeschlagener Verkäufer eine Hand voll Pesos und ich zwei Flaschen wirklich leckeren Schnaps.

Kleines Mama Juana Rezept:

  • 1 grosse Flaschen befüllen mit
  • 1/3 Honig
  • 1/3 Rum (oder eine andere billige Spirituose)
  • 1/3 intensiver Rotwein (Vino tinto)

Dabei Platz lassen für

  • Zimt
  • Sternanis
  • Basilikum
  • Agave
  • Und diverse tropische Kräuter, für die es keine deutschen Ausdrücke gibt und die nicht in die Schweiz oder Deutschland importiert werden können, weil sie am Zoll als Drogen abgefangen werden. (Gut, wollen wir damit nicht nach Europa!)

Die Dominikaner behaupten Mama Juana heilt alles, was krank ist und steigert die Potenz – deshalb hat der Durchschnittsdominikaner zehn Kinder. Erinnert sich jetzt noch jemand an den «Chatze Busi», den mein Vater zusammenbraut?

Nach einigen sonnigen Tagen ging uns die Sonnencreme aus. Reto und ich cremen uns fast nie ein, weshalb wir nur Babysonnencreme mitgebracht hatten, aber diese reichte nicht weit um die zarte Babyhaut zu schützen. Mit ein paar Tausend Pesos spazierte ich den Strand entlang zum Souvenirshop. Der Verkäufer kam mir schon auf halbem Weg entgegen. Sonnencreme und Moskitospray waren schnell eingepackt, aber mein Geld reichte schon jetzt nirgendwo hin. Naiv, wie ich bin, drehte ich mich dummerweise noch um die eigene Achse. Zack – hatte mir der Gute das hübsche Strandkleid eingepackt. Beim Larimar vermochte ich ihn zu bremsen. «Kein Problem! Du bist vom Hotel. Du kannst morgen kommen. Ich vertraue dir», meinte der Verkäufer. Natürlich, dachte ich, jedes Mal, wenn ich wiederkomme, schwätzt du mir wieder etwas auf, dass ich haben will, aber nicht kaufen sollte, weil wir sparen müssen… Ich brachte meine Einkäufe zu Reto und Gwendolyn, holte Geld und ging meine Schulden zahlen. Ich hob einen Tausender mehr ab – ich kenne mich ja! Der Verkäufer zeigte mir Larimar-Armbänder und ging herunter mit dem Preis und tiefer und tiefer und machte mir wirklich verdammt gute Angebote. Aber ich wollte nicht nochmal nachzahlen kommen. Schliesslich brachte er mir ein ganz simples Armband mit drei Steinen – 1000 Pesos? 16 Dollar, das ging! Gekauft und die Kundin wurde nie wieder gesehen! Nur um es klar zu stellen: Ich bereue keinen meiner Käufe. Aber mich nervt an mir selbst, dass ich nicht eiskalt NEIN sagen kann. Ich gab den Rest des Geldes Reto und sagte zu ihn: «Bitte! Lass mich hier nicht mehr einkaufen gehen!» Er lachte darüber.

Nur einmal liess ich mich noch berauben. Ich brauche immer einmal wieder Fotos für mein Instagram Profil, daher liess ich Gwendolyn und mich mit einem Totenkopfäffchen fotografieren. Aber ich zahlte diesmal nur einen Bruchteil des genannten Preises.

1000 Schätze auf Bald Head Island

Bald Head Island ist wunderschön. Sie ist Naturschutzreservat und Ferieninsel mit vierzehn Meilen geschütztem, fast unberührtem Stand. Eine Fähre verbindet sie mit dem Festland, nur Firmen bekommen eine Erlaubnis für ein Auto und die Touristen, die im Sommer kommen, dürfen sich lediglich mit dem Golf Kart, dem Fahrrad oder den Füssen fortbewegen. Im Januar säumen leerstehende, aber schöne Ferienresidenzen die leere Marina und jede Stunde unterhält die Fähre mit ihrem Kommen und Gehen. Der Wind rauscht durch die Palmen. Still und paradiesisch, was mir spätestens dann richtig klar wurde, als sich der zweite Mensch, den wir trafen, als Schriftsteller entpuppte. Michael wollte eigentlich auf der Veranda der Marina arbeiten, schreiben, aber unser hübsches Schifflein lenkte ihn leider sehr ab. Nach einer Viertelstunde plaudern, waren wir mit allem versorgt, was man auf Bald Head Island brauchen konnte, wir sollten nur nach Michael fragen. Aber der Harbormaster war schneller: Über eine Holzbrücke über den Sumpf, dann durch eine Landschaft wie ein Dschungel fuhren wir im Golf Kart zum Grocery Store. Die salzige Luft, die engen Strassen und die Moosbehängten Bäume erinnerten mich so sehr an Rotnest Island in Australien, dass ich schon die Quockas (Känguruh-Ratten) suchte. Als uns der Harbormaster mit dem Golf Kart beim Grocery Store absetzte, hatte dieser gerade Stromausfall. Er war ausgerichtet auf Touristen, die es sich gut gehen liessen. Wir kauften Wein und beste Leckereien, plauderten in dem Menschenleeren Spezialitätengeschäft mit der Kassiererin und jubelten mit den drei Angestellten als die Lichter wieder angingen. Ein Spaziergang am Strand rundete einen Ferientag wie aus dem Bilderbuch ab. Wir freuten uns richtig darüber, dass der kommende Südweststurm uns ein, zwei Tage festhalten würde. Ein Hobby-Strand-Fotograph, der sich als Jerry vorstellte, nahm uns mit zur Marina.

Am Donnerstag, 6. Februar hatte ich «Sturm»-frei: Der Kaffee kam aus der Cafetiere und Musik kam von meinem Laptop. Trotzdem machten wir uns früh auf den Weg zum stillgelegten Leuchtturm. Als dieser geschlossen war, bekam ich den ganzen Tag zur freien Verfügung. Mit Reto sah ich mir die Reste eines Forts an, bevor ich mich wie tags zuvor Michael auf die Veranda setzte und bloggte. Als Crew frei zu haben bedeutet, als Schriftstellerin und Bloggerin zu arbeiten – Ruhm kommt nicht von alleine! Reto lieh sich derweil ein Fahrrad und radelte auf die andere Seite der Insel, um sich die Reste eines anderen Leuchtturms anzusehen. Ich bedaure etwas, ihn nicht begleitet zu haben, aber ich hatte zumindest einmal meine Ruhe. Reto macht es nichts aus, dass wir dauernd auf einander hocken, mir zehrt es zeitweise an den Nerven. Er kam mit einem Grinsen auf dem Gesicht zurück: «Ich habe einen Schatz gefunden und ihn für dich versteckt! Willst du morgen auf Schatzsuche gehen?» Plötzlich freute ich mich, dass ich zurückgeblieben war. Reto schrieb mir eine Wegbeschreibung, die er mit Rätseln und seiner unleserlichen Handschrift verschlüsselte. Nachdem ich ein unangenehmes Mail meines Verlags beantwortet hatte, war ich auch reif für einen Drink, weshalb es uns in Mojo’s Bar direkt am Pier verschlug. Dort sass schon Michael an der Bartheke und fünf Minuten später waren wir mit der halben Insel bekannt gemacht. Das Mojo’s war als einzige Bar auch im Winter geöffnet und wirklich alle – ALLE – trafen sich hier. Und JEDER wollte wissen, woher wir kamen, was wir erlebt hatten und fand unsere Reise grossartig, weshalb uns JEDER einen Drink spendieren wollte. Den letzten Drink konnten wir selbst bezahlen, aber die Bartenderin Hannah weigerte sich, das Trinkgeld zu nehmen. Michael versprach uns seinen Glof Kart für die Schatzsuche. Vielleicht lag es auch an den drei Cidern und dem vollen Bauch, dass es schwierig war den schaukelnden Pier zu überqueren. Der Sturmwind blies uns fast vom Pier, aber wir erreichten unser schwankendes Schiff und kippten in die Koje.

Es passierte nachts. Die Blitze leuchteten durch die Bullaugen, der Wind heulte und wir taten fast kein Auge zu. Aber für uns war der Stromausfall kein gravierendes Problem. Die Insel dagegen trat in den kurzzeitigen Notzustand: Die Fähre fuhr erst ab dem Nachmittag, die Häuser hatten keinen Strom und die wenigen, die einen haben, nahmen die Notstromgeneratoren in Betrieb. Entsprechend bekamen wir natürlich keinen Golf Kart für die Schatzsuche. Aber da der Sturm zwar windig, aber wunderschön sonnig war, gingen wir zu Fuss auf Schatzsuche. Am Leuchtturm vorbei folgten wir dem Piraten, liefen quer über die Insel und entdeckten den Golfplatz. Nach einer Stunde Fussmarsch machten wir einen kleinen Umweg zum Einkaufszentrum, wo wir in der Kantine des Grocery Stores zu Mittag assen. Wir amüsierten uns darüber, dass wir an jeder Steckdose eine Person mit Laptop vorfanden, die dem Lebensmittelgeschäft den frisch produzierten Generatorstrom stibitzten, der für die Kühlschränke gedacht war. Hier trafen wir ein Pärchen, das wir in der Bar kennengelernt hatten und uns nun zwei Fahrräder lieh. Ich war vorher noch nie mit einem Velo unterwegs gewesen, bei dem man zum Bremsen rückwärts treten musste. Mit diesen überquerten wir die Insel nach Osten. Einmal machten wir eine kurze Exkursion zu Fuss, um herausfinden wie dick die Timmons Eiche ist, was ich für eines der Schatzrätsel wissen musste. Der Baum war sicher zwei Meter dick und hohl, bis in die Äste. Ich kletterte innen sogar ein Stück hinauf, um die Hand aus einem Astloch zu strecken.

Dann gings per Fahrrad weiter nach Osten vorbei am Schildkröten-Informationszentrum, bis wir vor einem hölzernen Pier halt machten. Diesem folgten wir zu Fuss an einen langen, einsamen Strand, wo ich nach einigem hin und her den Schatz unter dem Pier fand. Reto hatte die Schale eines Hufeisenkrebses gefunden, welche so gross war wie eine Salatschüssel, und dort versteckt, damit sie niemand anders mitnimmt. Ich schicke die Reste des toten lebenden Fossils auf den Achenberg, wo man es in einigen Wochen bestaunen kann. Wir versteckten es wieder, um den Strand entlang zu laufen. Der Sturmwind wirbelte den Sand auf und strahlte damit schmerzhaft unsere nackten Füsse. Aber die riesigen Muscheln in der Brandung, schienen die Qual wert! Ich fand plötzlich auch selbst einen Schatz: Ein Sanddollar! Plötzlich lag er vor meinen Füssen! Wir genossen den Ausflug und als wir zurück zum Pier und unseren Schuhen kamen, wollte ich noch nicht zurück. Ich streunte in die andere Richtung am Strand entlang, bis ich hell begeistert etwas fand, das ich gleich darauf zu Reto zurückschleppte. Es war so gross wie eine Teigschüssel, am Rand leider geknackt und ich musste es sehr vorsichtig tragen, damit der hintere Teil nicht abfiel. «Reto! Schau dir das an!», rief ich ihm zu und er machte grosse Augen, «Oh, der ist aber gross!» Auch ich hatte einen Hufeisenkrebs gefunden und erst noch einen, der fast doppelt so gross war, wie Retos Schatz. Da er aber eine geknackte Schale hatte, liessen wir ihn zurück, damit ihn noch andere bestaunen konnten. Unterwegs zurück, um die Velos abzugeben, machte wir einen kleinen Spaziergang im Sumpf, dann deponierten wir die Fahrräder. Wieder wurden wir in einem Golf Kart zurück zur Marina gefahren, da eine Barbekanntschaft vom Tag zuvor in die Richtung unterwegs war. Wir hatten noch einen Dieselfilter zu ersetzten bevor wir uns zu den Insulanern in die Bar setzten. Hannah war wegen des inzwischen behobenen Stromausfalls nicht zur Arbeit gekommen und Michael verschwand nach einem Drink wieder, weshalb wir ohne sie der Karaoke-Wut der Inselbewohner zum Opfer fielen. Dafür trafen wir Jerry wieder, der sehr geübt Country Songs zum Besten gab.

Da wir inzwischen Jesse kennengelernt hatten, die auf einem Segelboot in der Marina wohnt, stachen wir nicht in See. Die hübsche, blonde Leuchtturmwärterin machte extra für uns das Baldy Head Lighthouse auf und wir kletterten zirka 120 knarrende Stufen hinauf, um die Insel von oben zu sehen. Danach plauderten wir im Shop noch eine Weile mit Jesse, bevor wir einen faulen Nachmittag einlegten. Wir endeten natürlich noch einmal bei Hannah in der Bar, um uns zu verabschieden. Als wir am Sonntag morgen aufbrachen, stand Jerry mit gezückter Kamera am Pier und hielt digital fest, wie wir der Insel Auf Wiedersehen winkten.

Piraten in Beaufort

Was mein freier Tag hätte sein sollen, wurde ein Trip zum Museum. Vormittags setzten wir uns für die Planungsarbeit in die Captains Lounge der Yacht Basin Marina. Reto studierte Wetterberichte und machte Routenplanung, während ich Blogbeiträge schrieb. Bloggen ist leider sehr Zeitintensiv. Noch dazu war ich abgelenkt vom Bücherregal: Ich hatte eine Buchserie für Kinder entdeckt, wunderschön illustriert, und das erste, das ich aufschlug, liess mich nicht mehr los. «A Bell for Ursli» stand zuoberst im Inhaltsverzeichnis. Ich staunte nicht schlecht als ich weiterblätterte und die Originalbilder aus dem Kinderbuch vorfand. Ich hätte fast zu weinen begonnen, so schön war es ausgerechnet den Schellenursli zu treffen. Als ich auf dem nächsten Band der Serie Willhelm Tell auf dem Buchrücken sah, hätte ich die Bücher fast geklaut. Aber ich konnte mich beherrschen und schrieb sehr abgelenkt meine Blog-Beiträge. Zum Glück jammerte Reto nach Essen, sobald ich fertig war, sonst hätte ich es mir womöglich anders überlegt.

Nach einem späten «Zmittag» hatten wir ursprünglich einen ausflug auf die kleine Insel gegenüber der Marina geplant, aber statt das Dinghy ins Wasser zu lassen bestellten wir einen Uber. Eine ältere Dame fuhr uns ins benachbarte Beaufort, wo sie uns beim Maritime Museum absetzte. Weil wir nicht wussten, dass dieses Museum Gratis war, sahen wir uns darin etwas verwirrt nach der Kasse um. So kamen wir ins Gespräch mit Bill Martin, einem Volunteer: Wir waren zufällig in die grösste Sammlung von Fundstücken des Piratenschiffs Queen Anne’s Revange gestolpert. Blackbeard hatte es 1718 vor Beaufort auf eine Sandbank gesetzt, als er die Ortschaft überfallen wollte. So lag das Piratenschiff, von dem ich mich zum Namen von Salls Schiff in Höllenhunde inspirieren liess, für Jahrhunderte im Beaufort Inlet, während Blackbeard auf einer kleinen Pinasse nur mit einer Kiste Medizin als Beute das Weite suchte. Bewundernd bestaunte ich die Kristallgläser, Nägel, Vorderladerkugeln und selbst eine Kanone, die Taucher aus den Resten des Wracks geborgen hatten. In der Maritimen Bibliothek hätte ich Reto eine Woche verstauen können, während ich das Skelett des Spermwals grandios fand. Den Videoraum fand ich besonders cool, denn wie sich herausstellte, gibt es schon seit den 50ern viele Piratenfilme mit Frauen in der Hauptrolle, wobei die gespielten Geschichten allerdings angeblich zu Wünschen übrig liessen. Reto hatte derweil Mister Martin um den Finger gewickelt und unser Besuch im Museum endete mit einem Ausflug auf die NICHT öffentliche Dachterrasse, wo wir einen Vortrag über die Inseln vor Beaufort bekamen. Auf der äussersten wohnt die einzige, unveränderte Herde Spanischer Pferde, wie sie vor vierhundert Jahren von den Spaniern ausgesetzt wurde. Manchmal verschlägt es uns aber auch an unangenehme Orte. Nach dem Museum verschlug es uns in eine Bar, in der mir einfach nicht wohl war. Ich war richtig froh fürs Abendessen wieder in Sea Chanteys Kombüse klettern zu dürfen, anstatt auswärts zu gehen.

Wettlauf zum Konzert

Richards erster Tag an Bord war nass! Wir machten in Whycocomaq einige Besorgungen – Richard brauchte eine Kaffeetasse – und brachen bei Nebel und Regen, aber kaum Wind auf! Hätten wir die Zeit gehabt, wären wir vermutlich noch geblieben, aber wieder waren wir in Zeitnot. Ich hatte Konzerttickets für das Celtic Colours Konzert in St. Peters gekauft, das einzige für das ich noch Tickets bekam. So stiegen wir nach einigen Stunden langsamen Segelns wieder auf Motor um, brauchten aber dennoch den ganzen Tag um Maskell Harbour zu erreichen. Wieder mussten wir früh los, doch hatten wir am Mittwoch doch zumindest allerschönstes Wetter. Nur wieder beinahe keinen Wind, sehr zu unserem Verdruss. Aber man macht bekanntlich das beste draus: Ich konnte lesen, abwaschen und schreiben, alles barfuss. Richard konnte lesen und Tee trinken. Und Reto… durfte steuern, was er eben am liebsten tut. Bei Sonnenschein legten wir in St. Peters an, das sich schon wie ein zu Hause anfühlt. Wir kennen bereits zwei Hand voll Leute, der Yacht Club ist eine Art grosse, bunte Familie. Schnell duschen, schnell zu Subway und schon standen wir vor dem Konzertsaal. Die Celtic Colours sind ein Festival zu Ehren der traditionellen Musik, welches auf ganz Cape Breton Island stattfindet. Während der Woche, in der sich die Blätter der Laubbäume verfärben, werden jeden Abend in unterschiedlichen Ortschaften Konzerte, kleine Events und Workshops gehalten. Künstler und Publikum reisen aus der ganzen Welt an. So hörten wir zu Konzertbeginn eine Sängerin aus Grenada, die traditionelle Musik aus der Karibik und den USA spielte. Dann gaben die lokalen Geigenspieler richtig Gas und der «fiddling Fisherman» schloss mit unglaublich schnellem Geige- und Gitarrespiel ein atemberaubendes Konzert. Natürlich fehlten wir auch an der After Party nicht, die eine Open Jam Session in einer Bar am Stadtrand war. Die Blaunasen, die hiesigen Kanadier, sind wahre Meister der Musik und eine Jam Session, an der unbekannten Leute spielen, steht einem Konzert in nichts nach.

Fotografiert aus dem Tür-Loch, zwei nasse Jungs

Entsprechend unseres Bier- und Cocktailkonsums bis morgens um eins, schliefen wir am stürmischen Freitag lange. Da der Wetterbericht Sturm mit Böen um 90 km/h angesagt hatte, wollten wir den Tag hier verbringen und dann im Konvoi mit zwei anderen Schiffen die Schleuse passieren. Also wuschen wir Wäsche. Unsere kleine Yacht Club Familie hatte am Vorabend die Künstler des Konzerts mit Truthahn verpflegt, dessen Rest nun die Leute aus dem Club samt uns vertilgten. So sitze ich mitten am Nachmittag mit Cola Rum vor meinem Blog, während die Jungs plaudern.

St. Peters, Schleusenstadt und Piratennest

Am Samstag, 21 Sept. hatten wir alles zusammen, also machte Jens die Rechnung. Nach dem Mittagessen machten wir die Leinen los. Unter Motor, weil wir den Wind genau aus der Gegenrichtung hatten, verliessen wir den MacLeod Creek und brachten etwas Abstand zwischen uns und die Landzunge Widow Point. Dort setzten wir zum ersten Mal seit einem Jahr die roten Segel. Obwohl wir wunderbar sonniges Wetter hatten, war der Wind war stürmisch und böig. Deshalb setzten wir nur den Klüver und das Besan, das zweit vorderste und das hinterste Segel, was genug war um unsere sechs Knoten zu machen. Wir schienen das einzige Boot zu sein, dass unterwegs war, was wir auf die unangenehmen Wellen schoben, die genau so lang waren wie Sea Chantey und von hinten anrollten. Wir segelten zum ersten Mal seit Monaten, weshalb mein Freund der Situation mit viel Respekt entgegentrat, während ich mit einer übermütigen Euphorie am Steuer sass und bei jeder Welle hätte «Yippie!!!» schreien können. Schliesslich mussten wir zwischen den engen Inseln und Untiefen hindurch in den St. Peters Channel. Die Wellen liessen nach, doch die Manöver zu segeln erforderten dennoch Fingerspitzengefühl. Wenige Kilometer vor St. Peters kamen wir in Gegenwind und legten den Rest der Strecke unter Motor zurück. In der Marina wurden wir von vielen Helfern empfangen, die unser hübsches Boot sehr prominent am Steg zu vertäuen halfen. An diesem Abend bekamen wir die erste Dusche seit einer Woche.

In St. Peters sind zwei Dinge allgegenwärtig: Die Schleuse mit der dazugehörigen Drehbrücke, die den Bras d’or mit dem Atlantik verbindet, und die Pirat Days, ein jährliches Fest mit Aktivitäten und Parade, das wir um eine Woche verpasst hatten. Die Schleuse war unser Ziel, denn wir wollten uns in den Maritimes umsehen, bevor wir zu den Celtic Colors nach Cape Breton Island zurückkehren wollten um anschliessend den Weg in die Karibik anzutreten. Da der Bras d’or ein Meerwassersee ist und an zwei Stellen zum Atlantik offen, hat er Gezeiten, doch sind diese versetzt zu denen des Atlantiks. Die Schleuse muss demnach in beide Richtungen funktionieren, da einmal der See höher ist und einmal das Meer. Die Drehbrücke führt über den Kanal und muss betätigt werden, wenn ein Segelboot den Kanal passiert. Zwei Personen sind also an der Schleuse und Brücke beschäftigt, weshalb in der Nebensaison (bspw. September) nicht jeden Tag geschleust wird; da die Kombination aber zu Parks Kanada gehört, ist die Benutzung gratis.

Nach dem Sonntagseinkauf (70 L Trinkwasser und Lebensmittel) gingen wir bei dem Ehepaar zu besuch, dass vor einem Jahr Reto und Pascal zum Kaffee einlud. Er besitzt ein Jacht Charter Business und sie ist Schmuck-Künstlerin. Im letzten Jahr war er gerade dabei ein Boot zu bauen mit dem beide in die Karibik wollten, es ist aber noch immer nicht bereit. Zu unserm Glück, denn deshalb waren sie zu Hause. Er gab uns einen Einblick in die Pirat Days, erzählte uns von der wunderbaren Parade und dem Bootsbau-Contest: Aus Karton und Klebeband musste innerhalb einer gewissen Zeit ein Boot gebaut werden, mit dem die Mannschaft ein Wettrennen, beziehungsweise Wettpaddeln um eine Boje im Hafen gewinnen mussten. Kartonboote!!! Mindestens die Hälfte der Mannschaften saufen ab, was äusserst lustig zu erleben und anzusehen sein muss. Es ist für die hiesige Bevölkerung ein wahres Highlight; wir hatten schon am ersten Tag eine Piratenflagge von einem Bootsbesitzer im Hafen geschenkt bekommen, die jetzt munter an unserer Flaggenleine weht. Wenn wir weiterfahren, werden wir sie aber streichen, denn es ist bis heute verboten unter schwarzer Flagge zu segeln.

Derweil hatten wir Stegnachbaren bekommen: Eine hübsche, klassische Yawl hatte neben uns festgemacht als wir vom Spaziergang zur Schleuse zurückkehrten. Sofort waren wir wieder in ein Gespräch über unsere Boote, Thorshämmer und Dieselheizungen verstrickt. Der Thorshammer, den ich diesen Sommer aus Wachs modellierte, in die Giesserei schickte und erst seit einigen Wochen trage, fiel dem jungen Mann mit den goldenen Locken sofort auf, als wir besprachen, dass wir Sea Chantey noch ein wenig nach versetzen um mehr Abstand zwischen den Booten zu haben. Schon wussten wir, dass wir es mit Dänen zu tun hatten und durften eine Dieselheizung begutachten, wie Richard sie uns hoffentlich liefern wird. Ich begann an diesem Abend noch die Gaffelgabel neu zu beschlagen, vollendete meine Arbeit aber nicht.