Hoffmann’s Cay

In zwei Tagesetappen erreichten wir Hoffmanns Cay, eine kleine Insel auf der Ostseite der Berry Islands Inselgruppe. Wir versteckten Sea Chantey hinter der Nebeninsel vor dem Ostwind, um zwei Tage zu bleiben. Mein Zustand der dauernden Übelkeit hatte sich in eine dauernde Antriebslosigkeit verwandelt, die aber allmählich wich. Diesmal machte dennoch ich die Ankerwache, während die Jungs die Ersterkundung der Insel in Angriff nahmen. Sie schwärmten bei ihrer Rückkehr von der Lagune und dem blauen Loch, dass es mich fast ärgerte. Am nächsten Tag gingen wir zu Dritt auf Erkundung. Vom Ankerplatz aus ruderte Richard uns in Alianza nach Norden, vorbei an einem kleinen Strand, den eine Familie mit Kindern besetzt hatte. Auch am langen Strand ruderten sie mich vorbei, dann bogen wir in eine grossflächige, seichte Lagune ein. Hier tummelten sich Meeresschildkröten im knietiefen Wasser, die vor unserem Dinghy flüchteten. Ich war erstaunt, wie schnell sie schwimmen können, wir hatten nicht das Glück eine von nahem zu sehen. Dafür entdeckten wir Anemonen zwischen den Wasserpflanzen und bestaunten die Mangroven. Dann ruderten wir zurück zum grossen Strand, wo wir das Dinghy zurückliessen. Barfuss liefen wir einem mit Laub und Sand bedeckten Pfad nach der sehr plötzlich auf einer steinernen Platte endete. Unter uns lag das blaue Loch mitten in der Insel und tiefblau. «Lauf diesem Pfad nach, dann glaubst du gleich nicht mehr, dass man auf dieser Felsplatte stehen kann», meinte Reto und ich kletterte den Pfad hinunter. Er endete am Rand des blauen Lochs in einer halb offenen Höhle, deren Decke die Felsplatte war. Sie konnte nur einen Meter breit sein, doch die Höhle darunter war tief wie eine Garage und es schien wirklich unmöglich, dass sie nicht einstürzte. Wir krochen ein bisschen in der Höhle herum, bevor wir dem Pfad zurückfolgten, bis zur ersten Verzweigung. Wir hatten vom Wasser aus, einen Schornstein aus den Palmen aufragen sehen und wollte nun das Gebäude finden. Zwei Mal liefen wir falsch, bevor wir plötzlich vor dem Gebäude in der Grösse eines Vans standen. Es hatte kein Dach, war zugewachsen und seine Grundmauern waren nur vier Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Da wir an diversen Orten Steinhaufen gesehen hatten, fragten wir uns auf dem Rückweg, ob auf der Insel einst eine Ortschaft gewesen war. Dies fanden wir aber nicht heraus.  Stattdessen begaben wir uns auf den Heimweg, denn wir wollten am nächsten Tag ausgeruht nach Nassau segeln.

Das Flugzeugwrack vor Great Harbor

Wir hatten den perfekten Wind, um zu den Berry Islands südöstlich von Grand Bahama zu gelangen. Abends setzten wir die Segel und hatten eine relativ ruhige Überfahrt. Nur wurde mir sofort schlecht, richtig schlecht, so schlecht, dass ich meine Wache nicht durchhielt. Mein armer Reto bekam in dieser Nacht fast keinen Schlaf, obwohl die Nacht so ruhig war, weil er mich wieder ablösen musste. Ich lag dann mit grünem Gesicht an Deck und entschuldigte mich im 5 Minuten Takt. Es tat mir sehr leid, Reto um seinen Schlaf zu bringen. Trotz Wellen aus einer unpraktischen Richtung schlief Richard hervorragend, weshalb wir ihn nicht zum Steuerdienst verdonnern wollten. Am Horizont tauchten die Lichter von Passagier- und Frachtschiffen auf, die auf Reede lagen, wir passierten sie und sie verschwanden. Reto gab sich alle Mühe zur Verbesserung meiner Lage, aber weder selbst zu steuern noch die Lichter zu beobachten brachten mir Besserung. Mit dem Morgen erreichten wir die Riffe der Berry Islands, welche ich gequält vom Bug aus zu beobachten hatte. Sollten wir auf eine Untiefe zufahren, war es an mir dies zu melden. Jedoch fuhren wir ohne Probleme an unseren vorausbestimmten Ankerplatz und warfen in einer Bucht Anker. Hier schliefen wir den Rest des Tages: Reto, weil er müde war, ich, weil mir noch immer schlecht war und Richard, weil er nichts Besseres vorhatte.

Meine Magengegend hatte sich zwar noch nicht richtig erholt, dennoch wollte ich am folgenden Nachmittag unbedingt mit Reto das Flugzeugwrack ansehen gehen. Richard wünschte sich einen faulen Tag und blieb als Ankerwache zurück. So ruderte Reto mich zum Wrack. In nur 1.5 Metern tiefe liegen die Trümmer einer DC-3, welche in den 80ern abgestürzt war. Wie Reto gelesen hatte, war sie bei einem Drogentransport schlecht notgelandet. Bei Ebbe sticht das eine Triebwerk, oder besser dessen Reste, durch die Wasseroberfläche. Auch machten wir Tragflächen, die Heckflosse und ein Fahrwerk unter Wasser aus, weshalb wir glauben, die Maschine habe sich überschlagen. Nur fotografieren liess sich das Zeitzeugnis nicht, denn die Wellen spiegelten. Wir ruderten weiter zum Strand und spazierten ein Stück, bevor wir uns das blaue Loch ansahen. Es handelt sich um eine besonders tiefe Stelle, weshalb das Wasser dort dunkelblau ist. Die meisten blauen Löcher entstanden als Höhlen während der letzten Eiszeit, welche nun eingebrochen sind. Reto fand es spannend, ich fand es unheimlich. «Hast du Angst, dass dich das Meeresungeheuer frisst, Stefy?», lachte er mich aus. Ich murrte nur, weil ich auch nicht weiss, weshalb ich das endlose blaue Loch unheimlich fand. Ich finde auch Aussichtstürme unheimlich, wenn sie Gitterboden haben und ich sehen kann wie tief es heruntergeht. Jedenfalls war ich dank meines eigenartigen Magens von dem Ausflug vollkommen kaputt, als wir zurückkehrten. Reto planschte dafür noch frischfröhlich im Wasser herum.

Wir verschoben uns am Folgetag in die Marina der Hauptstadt der Berry Islands. Wir reden von einem Dorf mit 800 Einwohnern. Durch einen freigesprengten Eingang gelangten wir in einen natürlichen Hafen, der rundum mit Felsen umgeben ist. Hier bemerkten wir vom Corona-Wahnsinn schon mehr, denn die Restaurants waren geschlossen, nur ein Lieferservice noch möglich und ausser Bootbesitzern gab es keine Touristen. Uns störte es nicht: Bestellten Pizza zum Abendessen und der Besitzer des einzigen geöffneten Ladens fuhr uns Zu Restaurant hoch, wo wir Kotelette und Reis zum Mittagessen abholten. An beiden Gerichten assen wir am nächsten Tag noch. Am Nachmittag leihten wir uns Fahrräder von der Marina und radelten auf die Ostseite der Insel an den Strand. Reto schwamm, Richard fotografierte und ich ging auf Schatzsuche. Seeigel und Meerschwämme fand ich zuhauf, ein Stück Sepia war mir sogar wertvoll genug, dass ich es mitnahm. Als Reto abgekühlt war, radelten wir zurück in die Ortschaft Great Harbor.

Richard gönnt sich einen Drink

Eine einsame Insel

Da wir Richard nun hatten, stachen wir wieder in See. Bei allerschönstem Postkartenwetter kreuzten wir gegen den Südostwind auf, um nach Port Lukaya östlich von Freeport zu gelangen. Richard musste sich einen Grossteil des Trips unter Deck verkriechen. Seine winterlich blasse Haut vertrug trotz Sonnencreme nicht einen Bruchteil von dem, was unsere aushielt. Dennoch holten Reto und ich uns Sonnenbrand an diversen Stellen. Wir genossen das Segeln, wichen einem Frachter aus und bewunderten zwei enorme Industriebauten, die vor der Küste aus dem Meer ragten, doch wir legten nicht die gewünschte Distanz zurück. Ich hatte uns in Port Lukaya in der Marina eines Hotels angemeldet, weshalb wir auf Motor umstiegen. Innerhalb zwei Stunden erreichten wir den Kanal nach Port Lukaya und dockten hinter dem Flamingo Bay Hotel. Während Reto mit unserem Nachbarn plauderte, erkundeten Richard und ich das Resort: Die Poolbar war geschlossen, ebenso das Restaurant und unsere Dusche tat ihren Zweck, mehr nicht.

Stefanie und Richard bei der Wache

Wir kamen erst am Folgetag in den Genuss des leeren Resorts. Auch hier zählte die Kundschaft nur fünf oder sechs Familien, der Luxusdampfer hatte wegen der ersten Corona-Einschränkung nicht anlegen dürfen. Ausserdem ist auch in den Bahamas erst im Sommer Saison, was wir nicht begreifen konnten, weil wir schon im Frühling schwitzten. Doch ich verbachte den Tag ohnehin in der Hotellobby, wo ich einen wunderbaren Sessel und Internet für die längst fälligen Blogbeträge hatte. Die Jungs faullenzten und lasen, Reto arbeitete ab und an dem Segelcover für den Flieger. Doch wirkliche Erfrischung fanden wir erst am Nachmittag, bei einem Sprung in den Pool. Auch die Bar war heute geöffnet: In einem künstlichen Erdhügel in einer künstlichen Grotte war eine Bar eingerichtet, in welcher sowohl man direkt vom Pool aus als auch von einer normalen Baranlage aus bedient wurde. Wir gönnten uns Vitamin C, Reto und ich vom Wasser aus, während Richard auf einem Barhocker Platz genommen hatte. Ihm war nicht nach Baden. Tatsächlich wurde mir bald das Badewasser zu kalt, das Heisswasserbecken war mit dem Sonnenbrand an den Beinen aber eine Herausforderung. Reto stellte nicht einmal die Füsse hinein und ich, die bekennende Heissduscherin, brauchte 10 Minuten bis ich meinen Sonnenbrand ins Wasser versenkt hatte. Dann blieb ich aber glücklich fast eine halbe Stunde in meinem Hummerkochtopf sitzen. Dann wurde uns die Poolanlage unter dem Ar…   … unter der Nase weggeschlossen. Genau rechtzeitig, damit das Restaurant noch geöffnet hatte. Während des Essens unterhielten uns die wilden Katzen, welche im Resort wohnen. Die Streuner tigern über die Veranda zwischen den Tischen hindurch auf der Suche nach Futter und dulden sich dabei untereinander nicht.

Da wir erst abends die Marina verlassen wollten, um an unser nächstes Ziel zu gelangen, hatten wir noch einen Tag zur Verfügung. Mit dem Shuttle-Boot fuhren wir ins Downtown des Touristenorts. Auch hier waren die Strassen leer, viele Restaurants geschlossen und viele Souvenirshops verrammelt. Wir fanden einen Bankomat wo wir Bahamische Dollar abheben konnten. Richard kam zu einem Tank Top und auch ich handelte aus purer Freude ein wenig an einem Stand, um zwei Perlmutringe. Nur hatte ich kein kleines Geld und der Verkäufer konnte nicht wechseln: Fräulein, Sie sind heute meine erste Kundin! Er konnte aber ein paar kleine Scheine besorgen und ich lief zum Geldautomaten zurück, um 20iger abzuheben. So kam auch ich zu einem Souvenir. Wir assen ein frühes Abendessen, bevor das Shuttle uns zum Boot zurückbrachte und wir in See stachen.

Die Schnecke

Richard fand uns von alleine. Ursprünglich hatten wir ihn in Freeport, einen Tagestrip entfern, abholen wollen. Aber ihn zu uns kommen zu lassen, war einfacher. Glücklicher weise hatten wir schon tags zuvor aufgeräumt und Platz geschaffen, weshalb Richard sofort einziehen konnte. Wir hatten das Resort, welches sich rund um die Marina erstreckt, schon am Vortag erkundet und wussten, was es zu sehen gab. Wie alle Badetouristen verbrachten wir den Nachmittag im klaren, blauen Wasser am Strand, schaukelten in den vom Resort aufgehängten Hängematten und spazierten den Strand entlang, bis wir das Resort längst hinter uns hatten. Uns schien, dass die Hotelanlage ausser den Gästen der Marina kaum zwanzig Personen beherbergte. Die meisten Anlagen waren leer und am Strand befanden sich kaum Leute. Die Marina hingegen war gut belegt mit sogenannten Sportfischern, Privatpersonen, welche mit monströsen Jachten aufs Meer Fahren um Angeln zu gehen. Zumal sie von Florida aus schon den halben Weg nach Grand Bahama zurücklegen, um die Angeln auszuwerfen, übernachten sie oft auf der Insel, um am nächsten Tag fischend zurückzufahren. Das Restaurant hatte sich dem angepasst: Man kann seinen Fisch selbst mitbringen und zubereiten lassen.

Der Berufsfischer auf dem Pier interessierte uns aber weit mehr, denn dieser hockte an einem kleinen Tisch und schnitt etwas Undefinierbares zurecht. Conch, gesprochen Konk, ist eine grosse Seeschnecke mit noch viel grösserem Häuschen und eine Delikatesse auf den Bahamas, darf jedoch nicht exportiert werden. Zusammen mit Zitrone, Orange, Zwiebel, Tomate und Paprika wird daraus der berühmte Conch Salat. Die Schnecke ist auch als Suppe oder frittiert erhältlich. Furchtlos, wie wir sind, kauften Richard und ich dem Fischer eine Schale voll frisch zubereitetem Salat ab. Reto musste sicherheitshalber verzichten, da er gegen Schalentiere allergisch ist und wir bei ihm keine Risiken eingehen. Während der ältere Schwarze den Salat schnippelte, konnte ich seinem Sohn oder Neffen zusehen, wie die Schnecke aus der Schale geholt wird. Dazu wird, leider, in die immense Muschel mit dem Hammer ein Loch geschlagen. Durch dieses wir mit dem Messer das Ende der Schnecke abgeschnitten, welches mit der Muschel verbunden ist. An dem sogenannten Fuss, eine Art Flosse mit der sich die Schnecke bewegt, wird das arme Weichtier aus der Muschel gezogen. Dann werden der Fuss, die Stielaugen und das Geschlecht abgeschnitten, bevor die Schnecke gehäutet wird. Der Vorgang dauert zirka 30 Sekunden. Auch erzählte er uns, wie er die Schnecken mit Schnorchel und Flossen auf dem Grund zusammensammelte. Zirka 300 Stück waren es heute. Weil wir so interessiert waren, zeigte uns der Fischer, wo im Körper die wertvollen Schneckenperlen zu finden wären und er gab uns ein Stück der Schnecke ganz frisch zu essen: Es sah aus wie ein durchsichtiges Spaghetti, das wir der Schnecke nach meinem Verständnis direkt aus dem Geschlecht zogen. Die Vorstellung ist ekelerregend, das «Spaghetti» schmeckte aber nur leicht fischig und salzig, ähnlich wie Kaviar. Der Salat war derweil fertig geworden und auch dessen Geschmack, erinnerte nicht an meine Vorstellung von Schnecke. Das Schneckenfleisch war ähnlich wie eine Auster, nur etwas fester und faseriger, und schmeckte auch so. Ich bin nun auch bereit eine Weinbergschnecke zu probieren, aber ich schätzte dennoch das Kotelett, welches ich im mit Sportfischern überfüllten Restaurant bekam.

Flucht durch den Golfstrom

Nachdem wir einen ganzen Tag von den Bugwellen von Jachten an unserem Ankerplatz geschüttelt worden waren und in sieben Marinas angerufen hatten, in der enttäuschten Hoffnung eine Dusche zu bekommen, hatten wir DIE NASE VOLL VON PALM BEACH! Zu voll, zu reich, zu ungehobelt und rücksichtslos. Dabei war mein Reto sonst schon genervt – die Überquerung des Golfstroms sorgte ihn. «Don’t mess with the Gulf Stream!» hatten uns diverse Segler gewarnt. Der Golfstrom, welcher den Atlantik, die Britischen Inseln und Norwegen aufwärmt, fliesst von Süden nach Norden an der Küste Floridas hoch. Er bis zu vier Knoten Strömung haben, was ein Boot sehr weit abdriften lassen kann. Des weiteren kann man ihn bei Nordwind nicht übersegeln, weil die Wellen unbeherrschbar hoch, spitz und kurz werden. Für uns war Ostwind vorhergesagt, Gegenwind. Ausserdem war bis zu 3 Knoten Strom für unseren Stichtag vorhergesagt. Reto war unschlüssig, wie dieses anspruchsvolle Stück Ozean anzupacken war, dabei waren beide Pläne, die er geschmiedet hatte, umsetzbar und gut. Nach einem halben Tag unschlüssiger Aufregung, gingen diese Sorgen auch mir an die Substanz und ich griff zu drastischen Massnahmen: «Du willst dir die Verantwortung für diesen Trip nicht aufladen, weil du Angst hast, dass es nicht glatt läuft?» Ich formte mit der Hand eine Pistole und setzte sie meinem Liebling mitten auf die Brust. «Dann meutere ich jetzt! Ich bin jetzt Kapitän, wir machen es, wie ich sage und ich bin unwissend und kaltblütig genug, um für alles die Verantwortung zu übernehmen!» Tatsächlich erleichtert es meinen Reto die Verantwortung abtreten zu können, auch wenn es nur gespielt ist. Aber ich machte ihm jetzt den verantwortungsvollen Kapitän und erklärte ihm, wie ich über diesen Golf fahren würde, oder er es so mochte oder nicht. Ich studierte den Wetter- und Windbericht und bestimmte, dass wir am folgenden Morgen um 07:00 Uhr die Küste verlassen würden. Dann gab es Abendessen.

Überfahrt bei gleisendem Sonnenschein über blaustes Wasser

Wir mussten um 05:00 Uhr aufstehen und den Anker einholen, um gegen 07:00 Uhr aus dem Inlet fahren zu können. Wir hätten dann Ebbentiefststand haben sollen und damit keine Strömung in die Lagune, leider stimmte die Zeitangabe nicht und wir ärgerten uns mit ein wenig Gegenstrom herum. Viel ärgerlicher waren aber die Sportfischer mit ihren enormen Jachten, die uns schüttelten als sie zum Fischen rausfuhren. Schon bei Sonnenaufgang war mir schlecht. Nach meinem Plan hielten wir Kurs Südost, um den Abdrift auszukorrigieren, und würden gegen Mittag die Segel setzen, wenn genug Wind aufgekommen sein würde. Nur war der Wetterbericht falsch. Der Wind kam nicht und auch die Strömung des Golfstroms war nur halb so stark wie vorhergesagt. Schliesslich änderte ich meinen Plan: Wir korrigierten den Strom weniger aus und fuhren mit dem Motor gerade gegen den schwachen Wind an, wodurch der Wind wenig Angriffsfläche bekam und der Strom uns beschleunigte. Indem wir anstatt Freeport im Süden von Grand Bahama Island nun West End im Nordwesten ansteuerten, wurden wir direkt an unser Ziel gespült. In rekordverdächtigen zehn Stunden kam Land in Sicht und ich nahm Kontakt mit der Marina und dem Zollbüro auf. «Don’t mess with the Gulf Stream!», lachte ich herzlich, als ich wieder ins Cockpit kletterte, «Das war die einfachste und gemütlichste Überfahrt, die wir je hatten!» Wir dachten an acht Knoten Fahrt mit dem Focksegel zurück, an die wellige Einfahrt nach Fernandina Beach und an die eisige Überquerung des Gulf of Maine zurück und stempelten die anderen «Segler» lachend als Weicheier ab! Während der Fahrt hatten wir das wunderbare blaue, blaue Wasser bewundert. Wo es tief war, war es königsblau, wurde bei zirka 15 Metern Schlumpf-blau und himmelblau ab sieben Metern. Während der Einfahrt in den Hafen konnten wir jeden Stein am Grund sehen, was gleichzeitig wunderschön und unheimlich war. Steine und Riffe so nah, als könnte man sie berühren und dennoch befanden wir uns zehn Meter darüber! Wir banden an einem grünen Holzpier fest und bestaunten noch eine Weile das Wasser, ehe Reto das Zollbüro aufsuchte. Offiziell ist und bleibt er eben Kapitän der Sea Chantey, weshalb auch hier nur er an Land durfte, solange wir die Quarantäneflagge gesetzt hatten. Kein Zöllner wollte uns inspizieren, so genossen wir eine kalte Dusche und assen im Restaurant zu Abend.

West End

Proviant für die Bahamas

Nachdem wir unsere Filter auf Merritt Island abgeholt hatten und das Auto retourniert hatten, begaben wir uns nach Süden. In drei Tagen arbeiteten wir uns nach Vero Beach vor. Hier buchten wir eine Mooring in der vollkommen überfüllten Marina, denn wir teilten uns die Mooring mit einem weiteren Boot. Reto fand daran sehr gefallen, denn so hatte er jemanden dem er die Ohren «zuschnorren» konnte. Gelegentlich geniesse ich es nämlich für mich zu sein. An diesem Abend genossen wir auch ein besonderes Spektakel. Eine Versorgungsrakete für die ISS Raumstation konnte zwei Wochen zuvor nicht starten, weshalb sie um Mitternacht in den Himmel geschickt wurde. Da wir aber schon einige Distanz zwischen uns und dem Space Center gebracht hatten, sah die Rakete aus wie ein Feuerwerkskörper von der langweiligen Sorte: Ein leuchtender Streifen der sich in einem Bogen nach Osten bewegte und sich dann in drei leuchtende Punkte teilte. Ein andermal sehen wir uns den Start von nahem an, dachte ich.

Mit dem Bus machten wir einen Ausflug zum Wochenmarkt, bevor wir uns an den Grosseinkauf machten. Reto kaufte bei Westmarine die benötigten Karten, einen Anker fürs Dinghy und dieverses Bootszubehör, während ich bei Publix schon den ersten Einkaufswagen füllte. Dosen stapelten sich, Süssgetränke und Trinkwassermussten auf einen zusätzlichen Wagen verteilt werden und Teigwaren kauften wir Kiloweise. Ich wollte ursprünglich 20 kg Mehl einkaufen, aber ich musste mich mit 17.5 kg zufriedengeben, weil das Regal leer wurde. Frische Lebensmittel kauften wir nur sehr beschränkt: Zwiebeln, Kartoffeln, Kürbis, Bananen, Äpfel und Zitronen. (Bananen und Äpfel mussten wir schon wenige Tage später aufgebraucht haben, weil die grünen Bananen zu schnell reif wurden und die Äpfel leider Druckstellen bekamen.) Über die Unmengen an Nutella und Nescafé, die wir verbrauchen, schmunzelte ich sehr, weil sie sehr viel Platz in den Einkaufswagen ausfüllten. Drei Duzend Eier und ein bisschen Käse komplettierten einen Einkauf über 500 Dollar. Der Einfachheit halber liessen wir uns von Uber zurückfahren. Unser Fahrer Maurice vermochte unsere Einkäufe fast nicht in seinem mittelgrossen Auto zu verstauen. Natürlich mussten wir ihm erklären was für eine Armee wir hier verproviantierten und wir staunten nicht schlecht, als er uns seinen Schweizer Pass zeigte. Seine Mutter war Schweizerin, er aber in den USA aufgewachsen. Dennoch hatte er mit seiner Familie einige Jahre in der Schweiz gelebt. Wir staunten noch mehr als er sagte, dass seine zwei Jungs im Sommer in die Schweiz reisen um den Miltärdienst zu absolvieren. Er meinte, es sei ihr Abnabelungsprozess. Maurice half uns sein Auto zu ent- und Alianza zu beladen. Wir plauderten noch eine Weile, während Reto die Einkäufe auf Sea Chantey brachte. Wir hätten ihm gerne unser Boot gezeigt, aber die Zeit rief und tauschten Instagram Kontaktdaten aus. Nun gab ich Reto bei unseren Nachbaren ab, denn Proviant verstauen ist als Smutje meine Aufgabe.

Doppelbrücke

Verproviantiert machten wir uns auf den Weg nach West Palm Beach, von wo aus wir den Golfstrom überqueren wollten. Wir durchquerten unzählige Klappbrücken in dem vermutlich bewohntesten Teil des Intracoastal Waterways. Die Villen türmten sich links und rechts von Kanal schier übereinander und eine Unmenge von Booten war anzutreffen. Niemandem konnte es schnell genug gehen, kleine Boote flitzen im Kanal hin und her, während die Bugwellen von Mega-Sportjachten unsere Sea Chantey schüttelten. Da die Amerikaner ihre Boote gelegentlich bis öfters auch nicht zu beherrschen wissen, erlebten wir zwei Beinahe-Unfälle: Ein Boot fährt zu nahe an die Klappbrücke heran,weil er der Erste sein will, der hindurch kann, diese öffnet aber nicht schnell genug und die Strömung zieht das Boot unter die Brücke, wobei der Mast mit der Brücke kollidieren würde. Dann musste das ungeduldige Boot rückwärts gegen die Strömung kämpfen, was zu sehr akrobatischen Manövern führte. Wir versuchten uns nicht nerven zu lassen und hielten Abstand. Und obwohl wir Klappbrücken lustig finden, waren wir froh, als wir in die Lagune von West Palm Beach einfuhren, wo es keine Klappbrücken mehr gab. Wir verbrachten einen Tag auf einer kleinen Insel, die Naturschutzgebiet ist und deshalb fast einsam war. Mein Highlight war eine Meeresschildkröte, die sich mir zeigte sich aber vor Reto versteckte.

Mit Atlantis zu den Sternen

Zwei gute Gründe um ein Auto zu mieten, sind: Ersatzteile besorgen und zum Space Center fahren. Deshalb mieteten wir am 4. März eine rote Hyundai-Limousine und trugen mich als Fahrerin ein. Wir fuhren einen kleinen Umweg durch das verwirrende Strassennetz, fanden dann aber die richtige Brücke nach Cape Canaveral. Fast direkt von der Autobahn biegt man auf die Zufahrt zum schier endlosen Parkplatz des NASA Visitor Center. Wir parkten in Feld 5 von mindestens 20 und schluckten beim Gedanken, dass dieser Parkplatz im Sommer immer voll war. Durch den Ticketautomaten und die Sicherheitskontrolle gelangten wir rasch in das Visitor Center, das fast einem Vergnügungspark nahe kommt und sich mit den Eintrittsgeldern selbst finanziert. Es war ein heisser Tag, doch in den Gebäuden brauchte ich eine Jacke. Die Ausstellung zum Naturschutzgebiet, welches sich als Pufferzone rund um das NASA Areal erstreckt, hatten wir bald gesehen, worauf wir uns einer Führung durch den «Raketengarten» anschlossen. Hier sind bis auf eine einzige, nur die Originale der Raketen aus den vergangen Space Programmen ausgestellt – eine angeblich sogar funktionstüchtig. Reto verschaffte uns wieder einmal eine Privatführung, weshalb wir von einem Parkangestellten die Funktion eines Raketentriebwerks erklärt bekamen. Das dieses von seinem Treibstoff gekühlt und vor dem Schmelzen bewahrt wird, empfanden wir als genial.

Nach einem frühen Mittagessen stürzten wir uns in die Marsexpedition. Diese war besonders auf die noch ungelösten Probleme einer Reise zum Mars ausgelegt. Mit einer aufwändigen Videopräsentation und diversen Spielen warb die Ausstellung um die zukünftigen NASA Mitarbeiter. Ziel der Ausstellung war es den Nachwuchs der Raumfahrt zu sichern und den potentiellen Ingenieuren und Weltraumforschern gleichzeitig eine Idee zu geben, auf welche sie hinarbeiten könnten um am Marsprojekt mitwirken zu können. Reto und ich erfreuten uns aber fast mehr an den Videospielen als die Kinder, den diese waren durchaus anspruchsvoll. Dennoch setzte Reto den Tages-Highscore im Andocken an eine Raumstation, während ich eine ganz ordentliche Mondlandung zuwege leitete. Danach dachte ich, das Space Center gesehen zu haben, aber Reto führte mich in ein weiteres Gebäude mit einer Lichtjahre-langen Schlange. Ich war drauf und dran wieder zu gehen, als sich die Tore der Ausstellung öffneten und die ganze Schlange samt uns in einen Kinosaal verschwand. Uns wurde ein Einführungsfilm über die Entwicklung eines Space Shuttles gezeigt, dann wurden wir in einen weiteren Kinosaal geführt. Hier zeigte man uns einen Film über die Schaffenszeit des Space Shuttles Atlantis. An dessen Ende wurde Leinwand durchsichtig und gab den Blick auf das echte Space Shuttle frei. Einen Moment liess die Inszenierung die Zuschauer staunen. Gerade als ich mich fragte, ob wir Atlantis nur vom Nebenraum aus betrachten durften, wurde die Leinwand wie ein Rollladen hinaufgezogen. Die entzückte Zuschauerschaft schritt dem Space Shuttle in den riesigen Ausstellungssaal entgegen. Ich konnte mich kaum satt sehen und las fast alle Hinweistafeln. Die Spiele in dieser Ausstellung funktionierten leider nicht richtig, dafür konnten die Besucher über eine Rutschbahn ins Parterre gleiten, wie bei einer Shuttle-Landung. Im Parterre spielten wir «Lande das Shuttle» und betrachteten die Ausstellungen, bevor wir uns durch den Shop nach draussen kämpften. Durch einen weiteren Shop wollten wir den Glace-Stand erreichen, doch Reto blieb stehen: Autogramm von einem Astronauten, stand auf dem Schild, heute: Heidemarie Stefanyshyn-Piper. Türöffnung war erst in einer Stunde, weshalb wir die Zeit totschlagen wollten. Nach dem Glace machte ich einige Schritte auf den Piezofeldern, die zu Planeten angeordnet auf dem Boden angebracht waren. Immer nach einer gewissen Anzahl schritte, ertönte durch alle Lautsprecher die Geräuschkulisse eines Raketenstarts, ich freute mich vor allem über eine gute Begründung mit ein wenig zu bewegen. Weil es so heiss war, verzogen wir uns bald in ein Gebäude, in dem wir einen Kinosaal fanden. Dank des Films über die Apollomissionen vergassen wir die Zeit. Als ich vor der Wartelinie des Autogrammraums ankam, stand dort schon ein Schild: Autogramm eines Astronauten Geschlossen. Ein kleines bisschen enttäuschte es mich, kein Autogramm mit der Aufschrift «Für Stefanie von Stefanyshyn-Piper» mit nach Hause zu nehmen, aber Reto schien es sehr leid zu tun, denn er hatte uns in den Film gelotst. Meiner Meinung nach war es dennoch ein super Ausflug gewesen. So super, dass wir vergassen unsere Ersatzteile in der Ortschaft Merritt Island zu holen.

Über den Wolken von Titusville

In zwei Tagesetappen durch Delfin bevölkerte Lagunen und von Fischern überfüllten Kanäle erreichten wir Titusville. Die mittelgrosse Stadt wir von der Merritt Island und Cape Canaveral von der Küste getrennt und hat ausser dem Astronaut Memorial Park kaum nennenswerte Sehenswürdigkeiten.  Für uns hat sie jedoch Erinnerungswert, denn Reto hat hier 2012 die Sea Witch begutachtet. Als ich in die Lehre kam, begannen wir zum ersten Mal von dieser Reise zu sprechen und Reto machte sich auf die Suche nach dem richtigen Schiff. Eine Sea Witch, wie das Modell unseres Angleman Ketch genannt wird, wäre das passende Schiff für ihn, weshalb er Rumpfnummer 1 – das 1939 gebaute Original – unbedingt sehen musste. Diese stand zum Verkauf, aber Sea Witch war in einem so desolaten Zustand, dass Reto sie nicht kaufen wollte. Nun reisen wir eben auf Sea Witchs zweitjüngster Schwester Sea Chantey. Wie wir einige Tage später herausfanden, liegt das Original noch immer in desolatem Zustand in Port Canaveral.

Ausnahmsweise funkte Reto die Marina an und ich durfte Sea Chantey an die Mooring-Boje Nummer 1 fahren. Entsprechend der Erfahrung der Steuerfrau haben wir schon eleganter angelegt. Etwas zu unserem Verdruss war Boje 1, die am nächsten zum Hafenbecken gelegen war, immer noch eine Viertelstunde rudern entfernt. Reto brachte uns mit voller Kraft an Land. Nach dem Besuch im Hafenbüro und einem kurzen Fussmarsch zur «Altstadt» musste ich feststellen, dass es in Titusville nicht viel zu sehen gab. Viele Geschäfte standen leer und auf den Strassen war kaum jemand unterwegs. Als unser Spaziergang am Feuerwehr Depot vorbeiführte, sahen wir durch das Garagentor ein wunderschönes, altes Spritzenfahrzeug. Reto fragte, wie er es eben tut, sehr höflich, ob wir es uns ansehen dürfen und schon hatten wir eine Traube Feuerwehrleute um uns, die uns so spannend fanden, wie wir ihr Fahrzeug. Ein Modell von 1935, wie uns der Hauptmann erklärte, von ihrem Depot verkauft und nach der Restauration wieder zurückgekauft. Dafür erzählten wir wieder einmal von unserer Reise. Aber wir wollten nicht lange stören und verzogen uns in die Brauerei.

Die Hausarbeit musste erledigt werden, bevor wir auf Entdeckung gehen konnten, daher war es schon Nachmittag als wir auf dem Weg in die Stadt bei einer Bootswerkstatt hereinschauten. Reto wollte Karten von den Bahamas besorgen, stattdessen fanden wir aber, was wir für unmöglich hielten: Genau diesen kleinen Filter aus der Dieselpumpe, den wir nach Merritt Island bestellt hatten. Wir waren um einen seltenen Filter reicher, als wir vom Uber im «Warbird Museum» abgesetzt wurden. Auch hier war Reto schon 2012 gewesen, aber er freute sich dennoch auf die fliegenden Kriegsmaschinen. Die Kassiererin teilte uns, ohne uns zu fragen, in Alen’s Tour ein, die schon vor ein paar Minuten begonnen hatte. Wir trabten durch den Hangar auf den ehemaligen Flughafen hinaus und trafen in einer DC-3 (C-47) auf unsere Tour. Alen war ein pensionierter Geschichtslehrer, in dessen Familie es einige Militärpiloten gegeben hatte, weshalb er nun neben einigen pensionierten Luftwaffenpiloten im Warbird Museum Führungen leitet. Eine seiner ehemaligen Schülerinnen, nun selbst Geschichtslehrerin, war ebenso Museumsbesucher wie wir. Zwei von drei Zuhörern entpuppten sich als Ausländer: Marischa (sicherlich völlig falsch geschrieben) aus Ungarn und Philip aus Russland. Diese hatten ihre eigene Meinung zu Kriegsflugzeugen und Weltkriegsgeschichte, wobei alle an den Weltkriegen beteiligten Nationen bei ihren Sprüchen einmal drunter kamen. Reto und ich amüsierten uns köstlich über ihre Kommentare und wir plauderten auch nach der Führung noch eine Weile. Auch dieses Museum schloss mit ein paar Minuten Verspätung, weil wir den Museumsshop erst bei Feierabend erreichten.

„Then you know Peter Reber?“

Gerade als es zu regnen begann, legten wir in Marineland an und verkrochen uns in unserem trockenen Schiff. Erst als es längst aufgehört hatte, packten wir und gingen die geräumigen Duschen ausprobieren. Ich brauchte etwas länger, weshalb Reto vor der Tür mit einem Herrn um die Siebzig ins Gespräch kam. Sobald ich meine Duschkabinentür aufschloss, erzählte er mir von seinem Gespräch. «Du, der kennt Peter Reber persönlich!» «Woher weisst du das, Reto?» «Als ich ihm sagte, dass wir Schweizer sind, fragte er ob ich ihn kenne. Und dann hat er von Peter Reber und seiner Familie erzählt!» Wie klein die Welt doch war. Da trafen wir die gleichen Leute, mit denen Reto’s Seefahrer-Idol vor bald vierzig Jahren Freundschaft geschlossen hatte. Wir hörten den ganzen Abend Peter Rebers Musik und machten schon zu Frühstück damit weiter. Da wir ab Steg lagen, machten wir die morgendliche Katzenwäsche an Land. Auf dem Rückweg über den Pier machte ich zufällig bei einem Boot halt, um einen Hund zu streicheln, der sich auf dem Deck eines Motorboots sonnte. Die Frau im inneren des Bootes winkte uns sofort herein, den ich hatte zufällig Jim und Donnas Boot und Hund erwischt. Fünf Minuten später sassen wir bei Kaffee in der guten Stube und tauschten Geschichten aus. Donna wiederholte in den folgenden zwei Besuchen hundert Mal, wie sehr wir sie an Peter und Livia erinnerten. Wie sie gelacht hatten, als Peter erklärte, er sei von Beruf Musiker. Wie herzig der kleine Simon gewesen sei, der heute Pianist ist. Wie genervt Livia immer gewesen war, wenn sie wieder mit dem Namen des Boots angesprochen wurde. Und wie engstirnig Peter sein konnte, wenn er eine Schwäche von seinem Boot Cindy versteck wollte, die genau nach seinen Wünschen gebaut worden war. Sie erzählten uns aber auch von sich, ihren Segelabenteuern und ihrem neuen Haus in Kenntucky. Wir wiederholten unsere Matinee drei Mal und jedes Mal wenn wir gingen, sagte Donna zu Jim: «Du, wir müssen Peter und Livia anrufen!» Da diese morgendlichen Treffen bis gegen zwölf Uhr dauerten, blieb uns der Nachmittag. Am ersten Tag machten wir einen Strandspaziergang und Donna fuhr uns zu einem Lebensmittelgeschäft. Am zweiten Nachmittag waren wir verabredet zum Skype. Meine engste Freundin Katja und unser Freund Reto, den wir gegen Verwechslung den Hedibär nennen, hatten sich bei Reto Hedibär getroffen und wir waren das Abendprogramm. Da man nach drei Nächten in der Marina einen Eintritt ins Marineland geschenkt bekommt, besuchten wir am dritten Tag das Delfinarium. Mit Marineland verhält es sich so: In den 1930er wurde hier ein Unterwasserstudio gebaut, um Filmaufnahmen von Meereslebewesen und Tauchern zu ermöglichen. Dokumentationen und Filme wurden gedreht und Delfine gehalten und studiert. Diese entpuppten sich als sehr intelligent, weshalb sich nach sieben Jahren jemand fragte, ob man Delfine trainieren kann. Ein Tiertrainer von einem Zirkus, der Seelöwen trainierte, wurde gerufen und trainierte Flippy. Marineland entwickelte sich zum ersten Delfinzirkus, zur Auffangstation, Aquarium und wenig später öffneten die Universität von Florida, Reihenweise Hotels und die Marina ihre Pforten. Dann eröffneten Sea Life und Sea World sowie diverse Kopien, weshalb die Hotels verschwanden und zurück blieb die Universität und die Auffangstation, in der Delfine vor allem zur Unterhaltung der Tiere selbst und zum Studium trainiert werden. Am vierten Morgen war es windig und Donna und Jim warfen unsere Leinen los, als wir nach Titusville aufbrachen.

Tschüss Marineland!

Die älteste Stadt Floridas

Es war strahlend schöner Sonnenschein an dem Abend, an dem wir durch eine mit Segelbooten und Fischern überfüllte Lagune mit der St. Augustine Marina kontakt aufnahmen. Schon in South Carolina haben uns die Leute von dem Städtchen vorgeschwärmt und wir freuten uns seit Wochen darauf. Via Radio sprach ich mit der Marina ab, welche Mooring wir nehmen durften, während Reto den Verkehr im Auge behielt. Nördlich der Lions Bridge machten wir an Boje 5 fest und ruderten unser Dinghy zum Dock. Die Stadt erinnerte mich an Südfrankreich: Überall Palmen, Parks mit Statuen zwischen den Einbahnstrassen, Galerien, Restaurants, Schmuckgeschäfte und Souvenirläden wechselten sich entlang der Strasse ab. Wir warfen uns ziellos hinein, doch einige Abzweigungen stadteinwärts zog es uns wie automatisch in eine kleine Strasse mit Kopfsteinpflaster, auf der nur wenige Leute unterwegs waren. Auch hier säumten Gallerien und Eisdielen die Strasse, die wir entlang schlenderten, bis wir unter einem Ladenschild stehen blieben: OLD MAPS AND PRINTS. Vorfreudig enterte ich das vollgestopfte, menschenleere Geschäft und begrüsste den älteren Herren hinter der Theke fast entschuldigend, die Ruhe in seinem Geschäft zu stören. Reto drehte nur eine kleine Runde, bevor er sich gegenüber der Theke in einen Sessel setzte und mit dem Ladenbesitzer plauderte. Ich muss Stundenlang zwischen den alten Karten, Bücher, Drucke von Kupferstichen und zahllosen sonstigen Dingen herumgekrochen sein. Die «Drunkadillos» fand ich doch etwas makaber: Ein präpariertes Amarillo (Gürteltier), das sich eine Falsche an den Mund hält? Als ich in einem Märchenbuch von 1860 las, reif Reto mich an die Theke. Der Ladenbesitzer wollte früher schliessen, aber bis wir ihm auf der Türschwelle von unserer Reise erzählt hatten, kam er vermutlich trotzdem zu spät zu seiner Verabredung. Ich wollte noch einmal in den Kartenladen, weshalb uns der Kartensammler einen Gutschein für das nächste Restaurant gab und versprach, eine alte Schweizerkarte aus seinem Archiv auszugraben. Die Trennung fiel uns dreien schwer, der Kartensammler erzählte uns von der Ortschaft, bevor er schliesslich seines Weges zog. Sein Geschäft war im ältesten Haus St. Augustines, gebaut in den 1760ern und nur knapp einem Feuer entronnen. Dieses stand in der ersten Strasse, die gebaut wurde nachdem Jose Ponce de Leon 1513 den Ort entdeckt hatte. Das spanische Fort war bis zum Bürgerkrieg in Gebrauch und ist damit Floridas Rekordhalter. Gegenüber dem Haus des Gouverneurs befindet sich heute das Tourismus Quartier mit noch mehr Restaurants, Souvenirläden und Galerien. Dieses durchstreiften wir den ganzen Abend, bevor wir uns gönnten im Restaurant 1A1 «Znacht» zu essen.

Obwohl es am nächsten Vormittag regnete, ruderten wir unsere Wäsche an Land. Diese Idee hatten viele «Boaters», die Waschmaschinen kamen gerade so nach mit der Nachfrage, aber an den «Tumblern» entstand Stau. Insgesamt brachte mir dies aber genug Zeit ein, um meinem Verlag zu schreiben. Die Bearbeitungen für das illustrierte Hardcover nehmen ihr Ende. Ausserdem wurde derweil das Wetter besser und als wir uns zum Kartenladen aufmachten, strahlte die Sonne. Aufgeregt, wie nur ein wahrer Sammler es sein kann, legte der Ladenbesitzer uns die Doppelseite eines Atlanten vor. Sie zeigte die Schweiz, vor der Gewässerkorrektur der Aare, wie Reto sofort erkannte. Wir diskutierten lange über die Herkunft der Karte und die Schweiz und ich machte eine Ehrenrunde durch das Geschäft. Die wunderbare Karte der Bahamas von 1779 konnte ich mir leider nicht leisten. Dafür packte der Kartenhändler die Karte der Schweiz ein. Als Geschenk, weil ich so lange und so genau in seiner Sammlung gestöbert hatte. Sie hängt jetzt über meiner Koje. Dann griff er in eine Schublade und gab mir eine Halskette mit Haifischzahn: Ich sollte den Leuten erzählen wie ich diesen Zahn mit einer Zange aus dem Rachen eines Hais gezogen hatte. «Nein», sagte ich lachend, «Ich erzähle den Leuten, dass ich diesen Zahn in einem verstaubten Kartenladen in der ältesten Strasse Floridas von einem Mann bekam, der betrunkene Amarillos verkauft. Das klingt fiel abenteuerlicher!» Der Sammler lachte und wir tauschten Adressen aus, bevor Reto und ich unseres Weges zogen. Den Haifischzahn trage ich seither. Diesmal hatten wir ein bestimmtes Ziel in der Altstadt, den Reto wollte sich nach einem Hut umsehen. Sein Strohhut hatte schwarze Schimmelpunkte bekommen und er sah sich nach Ersatz um, fand aber nichts, was ihm gefiel und seinem Portemonnaie entsprach. Dafür bekam er im Schokoladengeschäft von der süssen Verkäuferin Schokolade geschenkt. Bevor wir zu Sea Chantey zurückruderten, holten wir unsere Wäsche aus dem Waschsalon. Weil dieser auch die Lounge der Marina ist, plauderten wir noch eine halbe Stunde mit einem älteren Herren und seinem eifersüchtigen Hündchen Stella. Derweil drehte die Strömungsrichtung im Hafen, weshalb Reto die Riemen nur zum Steuern benutzen musste, als er uns zurück aufs Schiff brachte.

Wir schliefen lange und machten Hausarbeiten, weshalb es schon relativ spät war, als wir aufbrachen, um uns das College anzusehen. Das Flagler College ist eines der grössten Gebäude in St. Augustine und mit seinen Türmen und Kuppeln imposant wie ein Schloss. Tatsächlich war es aber ein sehr grosses, sehr schickes Hotel mit Saal und botanischem Garten, bevor es vor bald 100 Jahren zum College umgebaut wurde. Für die Tour waren wir aber zu spät, weshalb wir nur die drei Stockwerke hohe Eingangshalle zu Gesicht bekamen. Wir gingen dafür Glace essen und spazierten zum Fort. Am frühen Abend stoppten wir in der Sangriabar, deren Eingang wir seit dem Vortag gesucht hatten. Sie war im ersten Stock eines alten Gebäudes und von aussen waren nur die Tische auf dem Balkon zu sehen, der zwei Seiten des Gebäudes umrahmte. Der Eingang war eine versteckte Treppe im Hof. Wir genossen Sangria und Snacks auf dem Balkon, plauderten mit den anderen Gästen und verdünnisierten uns, als es voll wurde. Dann liefen wir an das interessanteste Kleidergeschäft der Stadt, einen Steampunk-Laden. Es gab viel zu stöbern. Ich probierte sogar eine Bluse an und nicht nur die Verkäuferin und eine andere Kundin fanden sie toll, sondern sogar RETO! Wer mit Reto shoppen geht, kauft nie etwas, weil es ihm Freude macht, Kleidungsstücke schlecht zu machen. Aber diese Bluse gefiel ihm, weshalb sie nach dem zweiten Mal anprobieren mit mir nach Hause kam. Sangria! Meinen letzten baren Dollar steckte ich in eine Wahrsager-Maschine mit Harry Potter’s sprechendem Hut, obwohl ich ja weder an Horoskope noch an wahrsagen glaube. Sangria! Auf der Karte war ein Einhorn zu sehen und da stand, sehr zutreffend:

Glücklicherweise ist dir vorbestimmt sehr glücklich zu sein.