Südwestwärts

Es hatte nachts geschneit, der Mount Desert war wie mit Puderzucker bestreut und ragte prächtig aus einer Nebelschwade. Ebenso bezuckert waren unsere Segel, weshalb ich von einer kleinen Lawine getroffen wurde. Aber dank meiner neuen Fellmütze blieb ich warm. Bald konnte ich sie ausziehen, wenn die Sonne schien fröhlich und warm. Mit ganz leichtem Wind bewegten wir uns zwischen den kleinen Inseln hindurch. Hin und wieder kreuzten wir ein kleines Hummerboot. Maine – Lobster County – ist gespickt mit Hummerkörben. Zu jedem gehört eine kleine, fast unsichtbare Boje, denen es auszuweichen gilt. Einmal fing Reto eine auf und musste sie mit dem Bootshaken aus dem Ring befreien, der an unserm Bug vorsteht. In den schmalen Kanälen zwischen den Inseln lagen Fischerorte, die wir im vorbeifahren beobachteten. Wir waren dort im Windschatten und sehr langsam, daher hatten wir viel Zeit die Umgebung zu geniessen. Allerdings passierten wir die letzte Inselgruppe erst bei Sonnenuntergang. Zwischen uns und Rockland lagen nur noch wenige Meilen als der Wind drehte und wir Gegenwind hatten. Wir holten also im Dunkeln die Segel ein, denn die Dämmerung ist hier kurz.

Schnee auf den Segeln in Southwest Habor

Ich musste nun Lasertack spielen. Bewaffnet mit dem starken Handscheinwerfen setzte ich mich im Dunkeln auf den Bug und suchte die Wellen ab. Damit wir nicht an einer Hummerkorbboje hängen blieben, musste ich diese früh genug erkennen, damit Reto ausweichen konnte. Manchmal war es gar keine einfache Aufgabe, ich hielt zum Beispiel eine Gruppe Seevögel für Bojen, …bis meine Bojen davonflogen. So arbeiteten wir uns dem Breakwater Lighthouse entgegen, welches auf einem anderthalb Meilen langen Wellenbrecher thront. Nachdem wir es passiert hatten, waren wir wieder am Anfang. Da wo wir Sea Chantey vor einem Jahr gekauft hatten.

In Rockland gab es nur noch einen einzigen Pier, gleich beim teuren Restaurant auf dem Pier. Leider gehörte der Pier nicht zum Restaurant, aber wir fanden dennoch jemanden, der uns erlaubte zu bleiben. Wir erlaubten uns einen Cocktail. Schon etwas alkoholisiert erlaubten wir uns auch ein Abendessen im teuren Restaurant und eine Flasche Wein. Wir torkelten ganz ordentlich als wir uns ins Bett schleppten, ich hatte am Morgen noch Nachwehen. Erwin, der bei der Firma angestellt ist, der der Pier gehört, luden wir nächsten Tag zum Kaffee ein. Wenn wir Grenada erreichen, sollen wir am Strand links ankern und nach seinem Bruder Richard fragen. Er erzählte uns vom Fischfang in der Karibik und seiner Kindheit, dann war er wieder verschwunden wie nie dagewesen. Wir suchten uns eine Dusche, die wir in einem Gym bekamen. Bei Hamilton Marine kauften wir Kupferschrauben für die Bullaugen und assen ein spätes Mittagessen in der Brauerei. Mit Brad, Sea Chanteys Vorbesitzer, verabredeten wir uns auf Cape Cod, da er dort gerade Ferien machte.

Booth Bay
Schmalspurdampfbahn, Portland

Bei laschem Wind kämpften wir uns nach Südwesten. In Tagesetappen, abends jeweils endend an dem Pier einer Marina, arbeiteten wir uns südwärts. In Booth Bay kam Weihnachtsstimmung auf, weil wir mitten im Stadtzentrum anlegten. Die geschmückten Geschäfte und beleuchteten Strassen erinnerten uns an einen Weihnachtsmarkt. In Portland gingen wir einkaufen und deckten uns mit italienischen Köstlichkeiten ein, denn ein Comestibles war die nächste Einkaufsgelegenheit. In vorbeigehen konnten wir die Schmalspurdampfbahn bewundern, bevor wir wieder die Segel setzten. In Kennebunk fuhren wir im Kanal auf Sand auf, weil die Ebbe aussergewöhnlich tief war. Aber eine Stunde später konnten wir an den Pier einer Marina fahren. Wegen der starken Strömung des auflaufenden Wassers schafften wir es nicht in die Box und kollidierten mit einem Fischerboot. Wir legten also in der benachbarten Marina an und hinterliessen dem Fischer einen Zettel. Doch dieser meldete sich nie. Dafür traf mich am nächsten Morgen fast der Schlag als uns die Marina 3 Dollar je Fuss verrechnete – ein Schnäppchen, da die Kosten im Sommer bei 6 Dollar je Fuss liegen. Ich räusperte mich und zahlte mit Karte. Dafür legten wir einige Stunden später in einer grossen Marina in Portsmouth, New Hampshire an.

Portsmouth Marina

Nun genossen wir meinen Geburtstag: Wir machten einen Spaziergang zur Wehranlage, gingen duschen und assen wunderbar zu Abend. Ich hatte unterwegs Kuchen gebacken, daher hatten wir sogar Dessert. Ein Blick auf die Windvorhersage liess uns entscheiden, dass wir einige Tage bleiben würden.

die Ruine der Wehranlage

Southwest Harbour

Wir wurden am folgenden Morgen wieder früh geweckt, denn wir sollten den Steg wechseln, damit der Pier, an dem wir gerade lagen, für den Winter entfernt werden konnte. Wir entschieden uns aber kurzum aus Bar Harbor zu fliehen. An diesem a****kalten Tag wollten wir nicht allzu weit segeln, zumal wir auch immer noch sehr müde waren und die Kälte unserer Erholung gegenwirkte. So umrundeten wir nur das südliche Ende der Mount Desert Island und baten in der nächsten Marina um einen Liegeplatz. Nur war Northeast Harbor überbelegt mit Fischerbooten und alle Plätze mit Stromanschuss besetzt. Ein kurzes Telefonat des Hafenmeisters verschaffte uns aber einen Liegeplatz mit Stromanschluss im nächsten Hafen, der nur eine halbe Stunde entfernt lag. Wir erreichten bald einen grossen Hafen und wurden hinter einem viermastigen Schoner vertäut. Zack, schon hatten wir unseren Elektroofen eingesteckt und endlich konnten wir die Kälte aus unseren Gliedern vertreiben.

Die kleine Ortschaft Southwest Harbor ist im Sommer ein Feriengebiet, im Winter schliesst fast alles. Doch wir «Böötler» fanden alles vor, was wir benötigten. Direkt neben der Marina befand sich ein Marine Fachgeschäft, in das wir zwei Winkel für unsere Heizung bestellten. Den Hardware Store besuchten wir während zwei Tagen drei Mal, bis wir uns mit allem ausgerüstet hatten. Eine kupferne Leitung für den Überlauf der Dieselheizung und das entsprechende Werkzeug zur Montage erstanden wir nach und nach. Ebenso mehr Thermo-Socken und je eine Kaninchenfellmütze der Marke Yukon. Der Wetterbericht kündigte Schnee an – und wir wollten vorbereitet sein! In die örtliche Bar schafften wir es nie, aber in einem kleinen Café, plauderten wir etwas mit dem gelangweilten Personal. Die junge Frau studierte Verlagswesen, weshalb wir uns viel zu erzählen hatten. Ein wahres Erlebnis war das Lebensmittelgeschäft: Der Tante-Emma-Laden entpuppte sich als Comestibles, nur das beste vom Besten aus der ganzen Welt. Schmunzelnd kaufte ich ein Säckchen Ricola, weil Reto in dieser Zeit etwas erkältet war. Viel heilsamer erschien mir aber das Gespräch mit den Ortsansässigen zu sein: Wir blockierten bestimmt eine halbe Stunde die Kasse, weil wir mit der Kassiererin und einem Kunden übers Reisen diskutierten. Unsere freundliche Kassiererin erzählte uns, sie sei noch nie geflogen und mache nur Urlaub, wo sie mit ihrem Auto hinfahren konnte. Damit war sie ein krasses Gegenteil zu der Dame vom West Marine: Die ältere Dame erzählte uns wie sie mit ihrem Mann bis in den späten November irgendwo festsass, weil sie auf die Geburt ihres Kindes warten mussten. Mit dem frisch geborenen Kind spedierten sie dann ihr Boot (ganz ohne Heizung) während einiger Wochen nach Hause. Generell dünkte es mich, dass manche segelnden Pärchen ihre Kinder extremen Bedingungen aussetzten. Auch unsere Hafenmeisterin Jane erzählte uns, wie ihre Eltern mit ihr als Säugling den Atlantik überquert hatten. Offenbar hatten diese gelegentlich mit stürmischem Wetter zu kämpfen, während die kleine Jane in der Kabine schrie. Sie erzählte uns dies mit einem breiten Lachen im Gesicht und fütterte die Gans. In unserem Hafen lebte seit drei Jahren ein entflohener Gänserich. Die Leute mochten ihn sehr und fütterten ihn mit Apfelstücken, denn diese schien er besonders gerne zu fressen. Jane erklärte lachend, sie hätten mehrmals versucht ihn zu fangen, aber niemand hatte es bisher geschafft, was sie sehr freute. Wir tankten Sea Chantey auf und bohrten das Loch für den Kamin ins Dach. Auch die Überlaufleitung montierten wir, einzig das Aufkleben des Doughnuts blieb noch zu tun. Doch dazu kamen wir nicht mehr, weil wir weiter wollten.

Eine lange Nacht

Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Lesern und Leserinnen herzlich entschuldigen. Ich war gezwungen meinen Blog etwas zu vernachlässigen, weshalb seit bald zwei Wochen kein neuer Beitrag online ging. Dafür darf ich freudig das baldige Erscheinen meines Buches als illustriertes Hardcover ankündigen. Da es noch einmal neu lektoriert wurde, war ich mit der Prüfung der Anpassungen beschäftigt. Nun werde ich meine begrenzte, schriftstellerische Schaffenszeit wieder meinem Blog widmen. Ich wünsche euch von Herzen viel Spass beim Lesen.

Nachdem wir uns von James verabschiedet hatten, folgte eine kurze Nacht. Wir wollten am Morgen früh ablegen, weshalb wir lange vor Sonnenaufgang aufstanden und in eisiger Kälte die Leinen losmachten. Wieder hatten wir kaum Wind, weshalb wir zum zweiten Mal unter Motor Outer Island passierten. Doch mit dem ersten Licht im Osten frischte der Wind auf und blies uns wie erwartet kalt in den Rücken. Bis zu Nova Scotias letzten Inseln fuhren wir unter Motor, dort entschieden wir uns die Segel zu setzten. Im Windschatten von Seal Island setzten wir alle Segel. Durch die starken Gezeiten in der Bay of Fundy entstanden auch hier strake Strömungen und Wasserturbulenzen. Mit zünftigem Druck in den Segeln schnitten wir aber problemlos durch diese hindurch und wurden kaum geschaukelt. Einige kalte Stunden später passierten wir ebenso auch eine weitere Untiefe, die Strömungswellen aufwarf. Wir wechselten uns derweil alle zwei Stunden am Steuer ab. Wegen der grauenhaften Kälte, die uns in die Kleider kroch und unsere Hände und Füsse taub werden liess, hielt nicht einmal Reto es länger aus. Die Windstile in der Kabine kaum uns jeweils richtig warm vor, wenn wir endlich eine Weile dösen konnten. Ich kochte uns zwar einen grossen Topf voll Chili, wir waren aber wegen des Seegangs beide nicht besonders hungrig. Je später der Tag wurde umso mehr frischte der Wind auf. Kurz vor Sonnenuntergang holten wir daher das Grosssegel ein, um weniger Krängung (Schieflage) zu haben. Wir wussten, dass nachts starker – sehr starker – Wind aufkommen würde, daher wetterten mit dem letzten Tageslicht ab. Durchgefroren wechselten wir uns eisern am Steuer ab. Die Nacht kam, es wurde noch kälter und die Wellen wurden immer höher, aber wir näherten uns zusehends dem amerikanischen Festland. Jede Meile mehr, die unser Kartenplotter anzeigte, war ein Erfolg.

Alleine nachts bei unangenehmem Wetter am Steuer zu sitzen ist ein Nerven zerreibendes Erlebnis. Ich betete bei jeder Welle zu unserem Schiff, beschwor es nicht Wasser zu fassen und sich nicht drehen zu lassen. Nach jeder Welle erleichterte mich, dass Sea Chantey sich wieder aufrichtete, nur um meinen Mut wieder zu sammeln und mich auf die nächste Welle zu konzentrieren. Manchmal bedankte ich mich bei unserm Schiff, das alles selbst im Griff zu haben schien und ich mich nur auf das Steuerrad konzentrieren musste. Ich musste viel steuern, umso länger wir unterwegs waren umso mehr musste ich am Rad drehen und umso mehr Kraft musste ich dafür aufwenden. Es schien immer eine unendlich lange Zeit zu vergehen, bis Reto mich ablöste und ich wieder in die schwankende Kabine klettern konnte, nur um eine Zeit zu dösen. Meine Glieder wurden nicht mehr warm während meiner Freiwachen. Ich trat die nächste Wache jedes mal wieder durchgefroren an.

Sehr früh am Morgen, vielleicht um eins, wurde der Wind noch einmal stärker und änderte die Richtung leicht. Wir krängten mehr und das Wellensystem änderte sich. Die Wellen der ersten Windrichtung und die der neuen Windrichtung verlaufen durcheinander, weshalb die gefühlten Wellen unregelmässiger und manchmal auch immens viel grösser werden. So erfassten uns gelegentlich Wellen über die sich Sea Chantey nur mit viel Muskelkraft führen liess. Dazu begann es zu regnen. Aber wir kämpften uns vorwärts und die Lichter der Fischerboote bestätigte uns die Nähe zum Land. Gegen drei oder vier Uhr gab die Küstenwache via Funkgerät durch, dass ein Segelboot gesucht wurde, aber wir waren zurzeit keine nützlichen Helfer, weshalb wir auf Kurs blieben. Morgens gegen fünf Uhr nahm Reto Kontakt auf mit der verschlafenen Zollbehörde: Ob er denn wisse wie viel Uhr es sei?? Doch sie nahmen unsere Daten auf, weshalb wir nun die Erlaubnis bekamen an einem Steg anzubinden. Draussen waren bis dahin schon die Leuchttürme an der Küste zu sehen. Beim ersten Tageslicht fuhren wir in die Bucht zwischen der Mount Desert Island und dem Festland. Wir mussten grausam aufpassen, damit wir nicht mit dem Propeller an der Boje eines Hummerkorbs hängenblieben. Dann holten wir die Segel ein und fuhren zwischen den steilen, hohen Inseln hindurch nach Bar Harbour, Maine, USA. Da der Pier den wir dem Zoll angegeben hatten für den Winter entfernt wurde, entschieden uns für den erstbesten Pier, den wir finden konnten. Neben einem riesigen Whale-Watching-Boot machten wir fest, obwohl uns ein Einwohner darauf aufmerksam machte, dass dies ein rauer Steg sei. Aber morgens um acht Uhr kippten wir ins Bett, ohne uns darum weiter zu kümmern.

Am frühen Nachmittag klopften zwei Zollbeamte an unser Dach. Vollkommen verschlafen folgten wir den bewaffneten Officers ins Whale Wachting Terminal, wo sie unsere Personalien aufnahmen und uns ein Crusing Permit besorgten. Ausserdem berichteten sie uns von dem 40 Fuss langen Segelboot, dass verloren gegangen war, während wir unterwegs waren. Man musste annehmen, dass es gesunken war. Bei der Information bekam ich ein eigenartiges Gefühl und einen Kloss im Hals: Das hätten wir sein können. Immer noch todmüde gingen wir in ein Pub, assen und recherchierten über Monsterwellen. Sogenannte «drei Schwestern» hatten uns diese Nacht heimgesucht. Dann kippten wir wieder in unsere Koje, aber nur für kurze Zeit. Der Sturm verursachte im Hafen solche Wellen, das Sea Chantey gegen den Pier geschlagen wurde. Sie verlor glücklicherweise nur etwas Farbe, aber das Geräusch der knarrenden Fender war unerträglich. Auch scheuerten drei von fünf Seilen durch, die wir mitten in der Nach ersetzen mussten. Reto bediente sich dazu der grossen Anbindeleinen des Whale-Watching-Boots, so das wir uns zumindest nicht mehr sorgen mussten. Aber wegen der Geräusche und der Wellen schliefen wir kaum. Nie wieder würden wir nach Bar Harbor kommen!

Übrigens: Das verlorene Segelboot wurde einen Tag später in New Jersey gefunden. Die Crew war wohlauf.

Der alte Mann im Haus am Meer

Sids Familie schien einen sechsten Sinn fürs Helfen zu haben. Der erste Mensch der uns fragte, ob wir einen Ritt benötigten, entpuppte sich als Sids Onkel. Corey Mood betreibt die Fischfabrik und hatte an diesem Tag die Zeit uns zu Dixons Marine Supply zu fahren. Wir kauften Schrauben und verbrachten den folgenden Tag damit unsere Heizung zu installieren. Inzwischen ist der Tank montiert, die Dieselleitung verlegt und auch die Heizung ist montiert. Nur der Kamin trennt uns noch von einer warmen Kabine. Den «Doughnut», die Dachsdurchführung des Ofenrohrs, mussten wir noch anschrägen, damit er gerade auf unserem gewölbten Dach angebracht werden kann. Dazu wollten wir am Folgetag wieder zu Dixons und zogen uns warm an, um uns an diesem kalten Tag zu Fuss auf den Weg zu machen. Es schneite und der Wind war eiskalt. Doch weiter als zur Fischfabrik kamen wir nicht, bevor uns ein älterer Herr ansprach. Wir enttarnten ihn schnell als Sids Grossvater James Mood, der uns erst einmal zu Tim Hortons fuhr und mit Kaffee versorgte. Dann fuhren wir zu Dixons, die uns aber nicht helfen konnten den hölzernen Ring anzuschrägen. Sie könnten die Arbeit nicht qualitativ genügend ausführen. Pech. James ging dafür mit uns zur Tankstelle und wir besorgten Diesel, bevor er uns mit zu sich nach Hause nahm. Er bewohnt alleine ein grosses Haus auf einer Halbinsel direkt hinter der Fischfabrik, das viele leere Zimmer enthielt, aber praktisch zwei komplette Wohnungen beinhaltete, welche nur die gleiche Küche benutzen müssten. Er erzählte uns von seiner Jugend als Fischer und von seiner Familie, die einen sehr hohen Stellenwert in seinem Leben hat. Ausserdem meinte er, wir sollten unsere Familien anrufen und wenn wir duschen wollten oder Wäsche waschen, stehe sein Haus zu unserer Verfügung. So ging er mit seinem Trunk in die Garage und wir taten, was er uns vorgeschlagen hatte: duschen, waschen, telefonieren. Wir hinterliessen ihm einen Stapel Schokolade. In der Fischfabrik entdeckten wir einen Schraubstock und einer der Angestellten brachte Reto bald eine Elektrische Handsäge, weil er mit unserer Handsäge kaum durch den zähen Holzring kam. Auch ein Handschleifgerät liess sich auftreiben, weshalb unser Doughnut bald in Form war. Ich sah derweil zu wie einige Angestellte mit zackigen Handgriffen die «Bäckchen» aus Heilbutt-Köpfen schnitten, weshalb ich kurz darauf einen Gefrierbeutel voll Fischbacken samt kochanleitung in die Hände gedrück bekam. Statt in Butter kochte ich sie in Olivenöl und wurde gerade fertig, bevor das Gas ausging. Da wir aber am Donnerstag morgen los wollten, stellten wir uns auf ein kaltes Frückstück ein.

kaltes Wetter in Woods Harbour

Die Nacht war kalt, denn wir hatten an diesem Pier keinen Strom, weshalb wir unseren Elektroofen nicht nutzen konnten. Früh um fünf zogen wir die wärmsten Kleider an, tranken keinen Kaffee und stiegen dann an deck. Die Leinen waren alle gefroren, weshalb es einige Minuten dauerte, um uns vom Nachbarschiff Ozean View zu befreien. Noch im Dunkeln verliessen wir den Hafen und die Bucht unter Motor. Wir würden erst am Nachmittag wind bekommen, weshalb wir uns mit Diesel nach Westen arbeiteten. Das Meer war spiegelglatt, die Temperaturen eisig und es wurde auch am Tag nicht wärmer. Um acht Uhr kam die Hiobsbotschaft: Pieeeeeeeeeeeee…. Der Abgastemperatursensor sprach an und Reto schaltete sofort den Motor aus. Dann begann die Fehlersuche. Wir vermuteten das Kühlsystem, weshalb wir das Dinghy wasserten und prüften, ob die Aussenwasserzufuhr verstopft war. Nichts, auch nicht im Filter. Der Impeller? Dann würde kein Wasser aus dem Auspuff kommen, doch das tat es. Der Regenbogenfarbene Film auf dem Wasser – Öl? Kühlflüssigkeit? Diesel? Wir entschieden uns einen Mechaniker zu suchen. Dazu setzten wir die Segel und segelten in einem leichten Lüftchen zurück nach Woods Harbour. Wegen der «Wind»-Richtung mussten wir einen Umweg rund um Outer Island fahren. Für zwei Stunden afhrt nach Westen, segelten wir acht Stunden nach Osten. Am Nachmittag kam aber etwas Wind auf, der uns in den Nordhafen zurückbrachte. Vor dem Südwind her trieben wir auf den Hafen zu und bereiteten das anlegen vor, den diesmal musste alles stimmen. Wir holten vor dem Hafen Das Gross- und Besansegel ein, um uns nur vom Klüver in den Hafen ziehen zu lassen. Auf Befehl musste ich sofort das letzte Segel herunterziehen. Während Reto Sea Chantey längsseits des ersten Schiffes steuerte, musste ich die Heckleine an einem Anschlagepunkt befestigen und das Ketsch mit der Leine abbremsen. Sea Chantey hatte dank des Südwinds viel Schwung und war schwer zu bremsen, schlussendlich hingen wir aber an dem riesigen Hummerboot und waren erleichtert. An diesem Pier konnten wir auch das Kabel verlegen und das eiskalte Schiff mit dem Elektro-Ofen beheizen. Wir entschieden, uns mit unserm Problem erst einmal an James zu wenden. Da er nicht zu hause war, besorgten wir uns eine Pizza. Ein freundlicher Herr fuhr uns zurück zur Werft, wo James uns aufgabelte. Bei Pizza und Bier hielten wir in seiner Küche Kriegsrat.

Morgens um acht trafen wir uns am Pier. Zu James’ Tagesordnung gehörte der Kaffee von Tim Hortons, dann machten wir uns erst einmal auf die Suche nach Propan. Wir besitzen leider einen speziell geformten Tank, weshalb uns Austauschflaschen nichts nützen. An zwei Tankstellen und einem Hardwarestore konnte niemand Gastanks befüllen. Ohne Gas brachte James uns zu einem Mechaniker, George Adams, der nach kurzem Gespräch samt Frau und Besuch zum Hafen kam. James «befahl» uns die Gastanks in seinem Pick-Up zu lassen, während wir zu unserem Motor schauten, wollte er Gas besorgen. George sah sich unseren Motor an und war nach kurzer Zeit sicher, dass er einwandfrei funktionierte. Auch ein Leck konnte ausgeschlossen werden, wir müssten also nur das Kühlwasser auffüllen. Und einen neuen Sensor für das Auspuffwasser besorgen. Da dieser auch bei kaltem Motor ansprach, musste er defekt sein. So plauderten wir noch eine Weile und liessen uns von seinem Leben als Analphabet, Fischer und Bootsmechaniker erzählen. Dann suchten wir nach James, den wir erfolglos in seinem grossen Hasu am Meer vorfanden. Wir entschieden uns dennoch, uns mit einem Abendessen im Restaurant zu belohnen und plauderten den ganzen Abend. Wer glaubt, wir hätten ihn einladen dürfen, kennt James Mood nicht. Aufdem Rückweg zu ihm trafen wir seine Tochter Andrea, Sid’s Mom, und plauderten bis um elf in James’ Wohnzimmer, bevor wir alles erzählt hatten.

Am folgenden Tag fuhr James uns den ganzen Weg nach Yarmouth, wo wir aber endlich unsere Gastanks befüllen konnten. So vorbereitet verabschiedete uns der alte Fisch-Fabrikant herzlich. Und wir mussten ihm versprechen, dass wir anriefen sobald wir den Gulf of Maine überquert hatten.

Das Pferderennen

Sid verabschiedete uns mit einem riesigen, kalten Packet mit gefrorenem Eigenfang:

  • Heilbutt Filet
  • Schwertfischsteak
  • Rauchfisch
  • Rehsteak (in Kanada nur zu bekommen von jemandem, der selbst jagt)
  • Eine ganze Ente
  • Truthahn Stew von seiner Mutter
  • Eingelegte Rote Beete und Zucchini

Es verschlug uns die Sprache! Mit einer Einladung in die Schweiz und einigen Tafeln Schokolade bedankten wir uns so gut wir konnten. Dann machten wir uns auf den Weg. Wir hatten uns für eine Route scharf vorbei am Kap entschieden. Die Unterwasser-Topografie und eine Ansammlung von Untiefen verursacht rund um Cape Sable Strömungen und ungleichmässige Wellen, sogenannte Wasserturbulenzen. Laut unserem Küstenführer sind sie stark genug um eine Jacht Heck nach vorne zu drehen, wenn der Steuermann nicht Acht gibt. Da aber der Gegenwind gegen Mittag abflaute und die Wellen weniger und weiter wurden, rechneten wir uns eine gute Situation aus. So war es auch, nur war auch die gute Situation anspruchsvoll. Vor dem Kap übernahm ich das Steuer und steuerte uns durch die «horse race» genannten Untiefen. Über diesen türmten sich die Wellen hoch auf, ihre Abstände wurden kurz und die Strömungen machten Sea Chantey schwer steuerbar. Die Wellen bremsten uns, weshalb Sea Chantey selbst mit 3000 Touren Mühe hatte eine Geschwindigkeit von 5 Knoten zu halten. Während unser Bug über drei Meter in die Wellentäler hinabfiel, wir unseren Bugspriet regelmässig tauchten und ich mich um das Kap mit dem Leuchtturm kämpfte, sass Reto in der Küche. Fröhlich pfeifend schmierte er Frischkäse-Brötchen. Vor dem Kap musste ich den Kurs ändern, weshalb wir die Wellen von der Seite hatten. Dies schaukelte uns nicht weniger, aber bremste Sea Chantey nicht mehr. Bis Reto gegessen hatte, hatten wir das Kap umrundet. Die Wellen wurden länger und auch ich konnte mich über mein Brötli hermachen.

Ich möchte noch erzählen, dass ich ein echtes Phänomen der Seekrankheit bin. Ein bisschen Schaukeln ist kein Problem, bei mehr Schaukeln wird mir übel, aber wenn die Wellen eine gewisse Höhe überschreiten, ist meine Seekrankheit kuriert. So war mir nicht wohl und ich hatte keinen Hunger, bis ich mit dem «horce race» kämpfen musste. Auch danach hielt sich der Hunger in Grenzen, obwohl mir nicht mehr schlecht war. Aber im Hafen hatte ich Hunger wie ein Wolf, …wie ein Seewolf!

Nun sog uns die Flut der Bay of Fundy entgegen, die den Weltgrössten Gezeitenunterschied hat. Als Ziel hatten wir Wood Harbour gewählt, wo Sids Grossvater wohnt und er daher wusste, dass wir hier das benötigte Material für die weitere Montage unserer Heizung bekommen würden. So fuhren wir in den Fischerhafen ein und machten am erstbesten Fischerboot fest. Reto fand auf seinem Spaziergang keine Hafenaufsicht, aber es schien an diesem Abend niemanden zu interessieren, ob wir da waren. Ich kochte uns die Heilbutt Filets, nature, munière und al Pesto, und eines ist sicher: Sid fischt verdammt guten Fisch.

Der Fischer von Port La Tour

Weil wir erst am späten Vormittag abgelegt hatten, erreichten wir das zwei Buchten südlich gelegene Port La Tour erst nach Sonnenuntergang. Zwei Fischerhäfen standen zur Auswahl, der nördliche war laut Karte nicht tief genug, der südliche hatte einen Wellenbrecher in der Einfahrt. Wir entschieden uns für den Südlichen, weshalb ich mit dem Suchscheinwerfer auf dem Bug stand und die Verbauung suchte. Diese war aber entfernt worden, weshalb wir ungehindert in einen grossen, gut beleuchteten Hafen einfuhren. Die Fischerboote schienen sich nahezu zu stapeln, der Hafen war voll. Aber am äussersten Pier war ein Liegeplatz frei, an dem wir anbanden. Während ich die Springleinen befestigte, machte Reto sich auf die Suche nach Jemandem, der uns einen Platz zuwies. Zurück kam er mit den Worten: „Ich habe jemanden auf ein Bier eingeladen!“ Zu Besuch kam ein Mann Mitte Zwanzig mit Baseball Cap und Gummistiefeln: Sid. Bei einer Dose Bier plauderten wir über unsere Pläne und Fischerei. So brachten wir in Erfahrung, dass Schwertfisch, Heilbutt und Thun mit der Harpune gefischt werden und dass er sein Boot mit integrierten Tanks für die Zwischenlagerung der gefangenen Hummer ausgerüstet hatte. Das grosse Boot besitzt er seit drei Jahren, aber er hatte schon mit achtzehn Jahren mit einem eigenen Boot gefischt. Privat war er Familienvater und trainierte Zugpferde für Zugwettkämpfe auf Prinz Edward Island. Er hatte uns einen Adapter für unser Verlängerungskabel mitgebracht und meinte: „Ich musste lange suchen bis ich jemanden fand, der einen hatte. Alle Jungs sagten nur: die Schweizer können an meinem Boot festmachen und direkt das Kabel am Boot einstecken. Aber nun könnt ihr gleich an meinem Liegeplatz bleiben, das ist bequemer.“ Wir waren wieder einmal beeindruckt von der Gastfreundschaft der Kanadier. Und dass wir an Sids Liegeplatz lagen, fanden wir lustig. Er hatte sein monströses Fischerboot zum Beladen mit Hummerkörben, an einen anderen Pier gefahren.

Wir mussten wieder einen Tag im Hafen verbringen, weil der Novemberwind auf See so stark blies. Wir machten einen Spaziergang zum nahen Fort, plauderten mit verschiedenen Fischern und begannen unsere Heizung zu montieren. Allerdings stellten wir die Montage nicht fertig, weil noch Kupferrohre und ein Loch im Dach zu besorgen waren. Sid kam mit seiner Freundin zum Plaudern vorbei, weshalb wir ihn gleich in die Planung des nächsten Tages einbezogen. Wir wollten Cape Sable umrunden, welches für seine Wasserturbulenzen berüchtigt und «gefürchtet» ist. Die lokale Bevölkerung nennt es das «horse race». Man muss es im richtigen Moment durchqueren, damit die Flut dem Schiff durch die Wasserwirbel hilft. Daher rechneten wir aus, wann wir aufbrechen mussten und entschieden um elf am Morgen abzulegen.

Shelburne – kalt/warm

Der Sturm war am Freitag, 8. November am stärksten, (und am kältesten,) an dem wir Kanada hätten verlassen sollen. Reto sass am ersten Tag in Shelburne wie auf Nadeln, weil klar war, dass wir nicht weitersegeln konnten, aber nicht, ob wir bleiben durften. Ein Barbesuch im Sea Dog Pub erleichterte ihn. Dank des FREE WI-FI konnte er bei lokalem Bier bei dem uns bekannten Zollbeamten anfragen, ob wir unseren Aufenthalt verlängern konnten, und bekam bei einem anderen lokalen Gebräu Antwort. Unsere Sicherheit steht über allem, wir sollten uns einfach melden, wenn wir Kanada verliessen. Wir nutzten die Zeit, in der wir auf Doug mit unserer Dieselheizung warteten, indem wir unsere Ausrüstung und Vorräte aufstockten. Ausserdem besorgten wir mit unserem Kanister etwas Diesel, den wir in den Tank der Heizung füllen konnten, sobald alles montiert sein würde.

In Sea Chantey wurde es nachts sehr kalt. Freitag auf Samstag drohte der Wetterbericht sogar mit Schnee, von dem wir aber nicht viel sahen. Der Hafenmeister lieh uns ein Verlängerungskabel und einen Adapter für Marine-Anschlüsse. Daher konnten wir die kleine Elektro-Heizung benutzen, die Don uns in Halifax geschenkt hatte. Doug vom Boat Locker lieferte am Samstag unsere Heizung samt Zubehör. Wir machten die Leinen los, sobald sein Lieferwagen den Pier verlassen hatte. Das Wetter war zwar winterlich kalt, aber klar und sonnig, weshalb der kurze Trip nach Port La Tour eine wahre Freude war.

„Stürmischi Ziite“

Das Wetter war doch so schön gewesen! In Lunenburg unternahm ein freundliches Päärchen einen spontanen Ausflug mit uns. Mit ihrem Auto fuhren sie uns in der Gegend um her, zeigten uns die wunderschöne Fischerortschaft Blue Rocks und alles, was wir ihnen geben konnten, waren einige Tafeln Schokolade. Blue Rocks besteht aus kleinen, bunten Häusern an einer felsigen Küste. Einige Häuschen stehen auf den Felsen mit dem Pier direkt vom Haus, so dass ein Fischer nur einen grossen Schritt zu machen braucht, um an Bord seines Schiffes zu gelangen. In einer Landschaft wie von einer Postkarte pirschte ich mich an ein Eichhörnchen, bis es entsetzt die Flucht ergriff und sich unter der Fussgängerbrücke versteckte. Die Gastfreundlichkeit der Kanadier ist manchmal kaum zu glauben, am gleichen Abend lud uns der Besitzer des Ausflugs-Schoners Eastern Star auf eine Dusche ein. Er betreibt im Sommer ein Bed&Breakfast, weshalb wir in einem ausgebauten Badezimmer abwechselnd duschen konnten. Der jeweils andere sass in der beheizten Stube und plauderte über Holzschiffe.

Auch war das Wetter sonnig als wir in Lunenburg ablegten und nach Süden segelten, bis der Wind nicht mehr mitmachte. Das Einholen der Segel hatte seine Tücken. Ich liess dummerweise das Besanfall, an welchem das Segel den Mast hochgezogen wird, los. Daher musste Reto mich an der Wang den Besanmast hochziehen, damit ich es greifen und herunterziehen konnte. Es ist nun an der Klampe verknotet, damit es nicht wieder verloren geht.

Die Etappe des nächsten Tages wählten wir etwas länger, um schneller nach Süden zu kommen. Wir erwarteten schlechtes, beziehungsweise stürmisches Wetter. Erst nach Sonnenuntergang trafen wir in Port Joli ein. Die Kojoten heulten unheimlich an Land, während wir den Anker warfen. Der Wetterbericht stimmte uns kritisch: Wegen der Sturmwarnung mussten wir am nächsten Tag den Hafen erreichen, in dem wir den Sturm abwarten wollten, doch würden wir starken Gegenwind haben. Wir entschieden schon am frühen Morgen abzulegen, daher konnte Reto schon morgens um eins nicht mehr schlafen. Er zog im Dunkeln den Anker hoch und steuerte Sea Chantey aus der Bucht heraus auf das offene Meer. Ich durfte noch einige Stunden schlafen, aber morgens um fünf musste auch ich aus den Federn kriechen um Reto mit Kaffee zu versorgen. Schichtwechsel war lange vor Sonnenaufgang, weshalb ich unterm Sternenzelt am Steuer sass und hinter meiner linken Schulter der Horizont heller wurde. Wer glaubt, Reto könnte nun schlafen, täuscht sich. Logbuch, Navigationsgerät, Wetterbericht und Kaffee beschäftigten ihn, weshalb nur ich den Sonnenaufgang geniessen konnte. Dann war der Genuss vorbei. Kaum war es Tag, frischte der Wind auf. Wir kämpften die ganze Etappe mit starkem Seegang bei böigem Gegenwind. Grössere Wellen bremsten uns, wenn sie auf den Bug trafen. Da wir aber so früh abgefahren waren, erreichten wir den Fjord von Shelburne am helllichten Nachmittag noch vor dem Sturm.

Vor einem Jahr hatten wir in dieser grösseren Fischerortschaft einklariert, uns also beim kanadischen Zoll angemeldet. Der wunderbare Jachtclub mit der gemütlichen Bar war aber im Sommer ausgebrannt und die Stege für den Winter aus dem Wasser gezogen. Daher suchten wir beim T-förmigen Dock einen Anlegeplatz. Dieser wird nur von Fischern benutzt, die sich zurzeit für die «Lobster Season» vorbereiten. Ab dem 25. November, dem «Dumping Day» dürfen die Hummerkörbe verteilt werden, daher ist momentan in den Fischerhäfen viel los. Als wir festmachen wollten, stand schon der Hafenmeister bereit… und gebot uns an einem Fischerboot festzumachen. So dockten wir an die Backbordseite der Frederick & Sisters, wo wir blieben bis wir Shelburne wieder verliessen.

Lunenburg, Werft der Berühmtheiten

Ein Sturm war unterwegs auf uns zu, weshalb wir noch am Halloween-Donnerstag Lunenburg erreichen mussten, oder bleiben wo wir sind. Da wir Richard in Lunenburg noch einmal treffen wollten, standen wir also früh auf und machten noch ohne Kaffee und Zmorge im Magen die Leinen los. Natürlich hatten wir Gegenwind, weshalb auch dieser Trip unter Motor lief. Dazu regnete es und das Wetter testete unsere neuen Thermo-Outfits, welche uns aber warm und trocken hielten. Wir hielten uns im Windschatten der Inseln, arbeiteten uns aber in wenigen Stunden nach Lunenburg durch. Am Zwicker Dock machten wir fest und legten zusätzliche Leinen, da wir starken Seegang erwarteten.

Der Wind nahm dauernd zu, aber vor dem Aufkommen des Sturms angekommen zu sein gab uns die Möglichkeit uns auf Halloween vorzubereiten. Wir kauften Lebensmittel und einige Süssigkeiten für den Fall, dass sich in Sturm und Regen tatsächlich ein verkleidetes Kind auf den Pier hinauswagte, um «Trick or treat!» an unsere Schiebetür zu schreien. Leider kam niemand, doch die Halloween-Songs im Radio brachten uns dennoch in Feiertagslaune. Ich kochte an diesem Abend wieder einmal Fleisch ein. Zum Abendessen gab es Lunenburg Pudding – Leberwurst. Auch eine Blutwurst fanden wir im lokalen Angebot, wodurch die deutsche und schweizerische Herkunft der Einwanderer dieser Ortschaft deutlich wurde. So kommen wir auch in Kanada zu Metzgete.

Als traditionelle Bootsbauerstadt verfügt Lunenburg über drei Bootsausstatter. Schon beim zweiten fand Reto, was er suchte. Über Nacht war ihm die Idee gekommen, wie wir unser Heizungsproblem lösen konnten. Mit einer Platte würden wir eine herkömmliche Dieselstandheizung oberhalb der Steuerbordbank montieren, sofern wir die entsprechende Anlage auftreiben könnten. Doug von The Boat Locker konnte uns diese besorgen und versprach uns ausserdem, sie irgendwie überall hin liefern zu können. Da er seine Frau in Shellbourne kennengelernt hatte, erklärte er sich bereit unsere Heizung im Notfall sogar selbst zu liefern – unter dem Vorwand mit seiner Frau einen romantischen Ausflug zu machen. So würden wir spätestens im letzten Hafen, den wir anliefen bevor wir Nova Scotia verliessen, unsere Heizung bekommen. In der Holzwerkstatt gegenüber, in der die schnittigen Jachten aus den James Bond Filmen gebaut wurden, hatte das Busch-Telefon uns längst angekündigt. Paul kam persönlich auf Sea Chantey zu Besuch, um sich unsere Idee anzuhören und so war auch das Brett organisiert. Als Richard zu Besuch kam, konnten wir auf unsere baldige Heizung anstossen. Im Knot Pub, das uns von diversen Leuten empfohlen wurde und einer deutschen Familie gehört, assen wir Würste mit Sauerkraut und Fisch-Frikadellen. Traurigerweise hatte das berühmte Fisheries Museum geschlossen und Bluenose II, der Nachbau des historischen Regatta-Schoners, wurde eingewintert. Daher spazierten wir mit Richard durch die Strassen, durchstöberten einen Secondhand-Laden für Bücher, hockten eine Weile bei einem Drink und verabschiedeten uns spät abends mit Kaffee und Cheese Cake – diesmal von mir gebacken und nur halb so gut wie Richards.

Einige berühmte Schiffe, die in Lunenburg gebaut wurden:

  • Bluenose I, II und der Nachbau von II
  • Bounty
  • Rose, aus dem Film Master and Comander
  • diverse Bond-Jachten

Ryan’s Gut

Wir konnten es nicht sein lassen, wir mussten durch den Ryan’s Gut. Dieser ist eine enge Passage zwischen Inseln hindurch, in der einige Felsen und Untiefen, die durchfahrt erschweren. Aber sie war eine Abkürzung und das Abenteuer juckte uns in den Fingern. So verliessen wir den Steg und ich brachte mich auf dem Bugspriet als Lotse in Position, während Reto am Steuer sass. Zwischen Bojen hindurch fuhren wir durch den schmalen Kanal. Von oben konnte ich durch das klare Wasser wunderbar den Grund betrachten. Nur sah ich wegen der Reflektion nur einige Meter voraus, weshalb Reto vor dem submarinen Dollar Rock einen brüsken Stopp reissen musste. Einige Meter weiter links, war die Durchfahrt kein Problem. Einige Untiefen gab es zu um- und überschiffen, doch bei Flut hatten wir vielerorts genügend Tiefe. Bald fuhren wir durch die weite Bucht und betrachteten von weitem den Leuchtturm von Peggy’s Cove. Reto gefielen die vielen Inseln mit niedlichen weissen Leuchttürmen, klassisch mit rotem Lichthaus, und winzigen Ortschaften. Bald erreichten wir Indian Passage in der Mahone Bay, wo wir einen Bootsbauer besuchen wollten. Dieser empfing uns an seinem Pier, musste aber nach kurzer Zeit zugeben, dass er nicht die Zeit hatte uns zu helfen. Noch versuchen wir eine Lösung zu finden, mit der wir den Anker besser durch die Bugsprietkonstruktion bewegen können. Dafür durften wir die Nacht an seinem Steg verbringen.