Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Lesern und Leserinnen herzlich entschuldigen. Ich war gezwungen meinen Blog etwas zu vernachlässigen, weshalb seit bald zwei Wochen kein neuer Beitrag online ging. Dafür darf ich freudig das baldige Erscheinen meines Buches als illustriertes Hardcover ankündigen. Da es noch einmal neu lektoriert wurde, war ich mit der Prüfung der Anpassungen beschäftigt. Nun werde ich meine begrenzte, schriftstellerische Schaffenszeit wieder meinem Blog widmen. Ich wünsche euch von Herzen viel Spass beim Lesen.
Nachdem wir uns von James verabschiedet hatten, folgte eine kurze Nacht. Wir wollten am Morgen früh ablegen, weshalb wir lange vor Sonnenaufgang aufstanden und in eisiger Kälte die Leinen losmachten. Wieder hatten wir kaum Wind, weshalb wir zum zweiten Mal unter Motor Outer Island passierten. Doch mit dem ersten Licht im Osten frischte der Wind auf und blies uns wie erwartet kalt in den Rücken. Bis zu Nova Scotias letzten Inseln fuhren wir unter Motor, dort entschieden wir uns die Segel zu setzten. Im Windschatten von Seal Island setzten wir alle Segel. Durch die starken Gezeiten in der Bay of Fundy entstanden auch hier strake Strömungen und Wasserturbulenzen. Mit zünftigem Druck in den Segeln schnitten wir aber problemlos durch diese hindurch und wurden kaum geschaukelt. Einige kalte Stunden später passierten wir ebenso auch eine weitere Untiefe, die Strömungswellen aufwarf. Wir wechselten uns derweil alle zwei Stunden am Steuer ab. Wegen der grauenhaften Kälte, die uns in die Kleider kroch und unsere Hände und Füsse taub werden liess, hielt nicht einmal Reto es länger aus. Die Windstile in der Kabine kaum uns jeweils richtig warm vor, wenn wir endlich eine Weile dösen konnten. Ich kochte uns zwar einen grossen Topf voll Chili, wir waren aber wegen des Seegangs beide nicht besonders hungrig. Je später der Tag wurde umso mehr frischte der Wind auf. Kurz vor Sonnenuntergang holten wir daher das Grosssegel ein, um weniger Krängung (Schieflage) zu haben. Wir wussten, dass nachts starker – sehr starker – Wind aufkommen würde, daher wetterten mit dem letzten Tageslicht ab. Durchgefroren wechselten wir uns eisern am Steuer ab. Die Nacht kam, es wurde noch kälter und die Wellen wurden immer höher, aber wir näherten uns zusehends dem amerikanischen Festland. Jede Meile mehr, die unser Kartenplotter anzeigte, war ein Erfolg.
Alleine nachts bei unangenehmem Wetter am Steuer zu sitzen ist ein Nerven zerreibendes Erlebnis. Ich betete bei jeder Welle zu unserem Schiff, beschwor es nicht Wasser zu fassen und sich nicht drehen zu lassen. Nach jeder Welle erleichterte mich, dass Sea Chantey sich wieder aufrichtete, nur um meinen Mut wieder zu sammeln und mich auf die nächste Welle zu konzentrieren. Manchmal bedankte ich mich bei unserm Schiff, das alles selbst im Griff zu haben schien und ich mich nur auf das Steuerrad konzentrieren musste. Ich musste viel steuern, umso länger wir unterwegs waren umso mehr musste ich am Rad drehen und umso mehr Kraft musste ich dafür aufwenden. Es schien immer eine unendlich lange Zeit zu vergehen, bis Reto mich ablöste und ich wieder in die schwankende Kabine klettern konnte, nur um eine Zeit zu dösen. Meine Glieder wurden nicht mehr warm während meiner Freiwachen. Ich trat die nächste Wache jedes mal wieder durchgefroren an.
Sehr früh am Morgen, vielleicht um eins, wurde der Wind noch einmal stärker und änderte die Richtung leicht. Wir krängten mehr und das Wellensystem änderte sich. Die Wellen der ersten Windrichtung und die der neuen Windrichtung verlaufen durcheinander, weshalb die gefühlten Wellen unregelmässiger und manchmal auch immens viel grösser werden. So erfassten uns gelegentlich Wellen über die sich Sea Chantey nur mit viel Muskelkraft führen liess. Dazu begann es zu regnen. Aber wir kämpften uns vorwärts und die Lichter der Fischerboote bestätigte uns die Nähe zum Land. Gegen drei oder vier Uhr gab die Küstenwache via Funkgerät durch, dass ein Segelboot gesucht wurde, aber wir waren zurzeit keine nützlichen Helfer, weshalb wir auf Kurs blieben. Morgens gegen fünf Uhr nahm Reto Kontakt auf mit der verschlafenen Zollbehörde: Ob er denn wisse wie viel Uhr es sei?? Doch sie nahmen unsere Daten auf, weshalb wir nun die Erlaubnis bekamen an einem Steg anzubinden. Draussen waren bis dahin schon die Leuchttürme an der Küste zu sehen. Beim ersten Tageslicht fuhren wir in die Bucht zwischen der Mount Desert Island und dem Festland. Wir mussten grausam aufpassen, damit wir nicht mit dem Propeller an der Boje eines Hummerkorbs hängenblieben. Dann holten wir die Segel ein und fuhren zwischen den steilen, hohen Inseln hindurch nach Bar Harbour, Maine, USA. Da der Pier den wir dem Zoll angegeben hatten für den Winter entfernt wurde, entschieden uns für den erstbesten Pier, den wir finden konnten. Neben einem riesigen Whale-Watching-Boot machten wir fest, obwohl uns ein Einwohner darauf aufmerksam machte, dass dies ein rauer Steg sei. Aber morgens um acht Uhr kippten wir ins Bett, ohne uns darum weiter zu kümmern.
Am frühen Nachmittag klopften zwei Zollbeamte an unser Dach. Vollkommen verschlafen folgten wir den bewaffneten Officers ins Whale Wachting Terminal, wo sie unsere Personalien aufnahmen und uns ein Crusing Permit besorgten. Ausserdem berichteten sie uns von dem 40 Fuss langen Segelboot, dass verloren gegangen war, während wir unterwegs waren. Man musste annehmen, dass es gesunken war. Bei der Information bekam ich ein eigenartiges Gefühl und einen Kloss im Hals: Das hätten wir sein können. Immer noch todmüde gingen wir in ein Pub, assen und recherchierten über Monsterwellen. Sogenannte «drei Schwestern» hatten uns diese Nacht heimgesucht. Dann kippten wir wieder in unsere Koje, aber nur für kurze Zeit. Der Sturm verursachte im Hafen solche Wellen, das Sea Chantey gegen den Pier geschlagen wurde. Sie verlor glücklicherweise nur etwas Farbe, aber das Geräusch der knarrenden Fender war unerträglich. Auch scheuerten drei von fünf Seilen durch, die wir mitten in der Nach ersetzen mussten. Reto bediente sich dazu der grossen Anbindeleinen des Whale-Watching-Boots, so das wir uns zumindest nicht mehr sorgen mussten. Aber wegen der Geräusche und der Wellen schliefen wir kaum. Nie wieder würden wir nach Bar Harbor kommen!
Übrigens: Das verlorene Segelboot wurde einen Tag später in New Jersey gefunden. Die Crew war wohlauf.