Der alte Mann im Haus am Meer

Sids Familie schien einen sechsten Sinn fürs Helfen zu haben. Der erste Mensch der uns fragte, ob wir einen Ritt benötigten, entpuppte sich als Sids Onkel. Corey Mood betreibt die Fischfabrik und hatte an diesem Tag die Zeit uns zu Dixons Marine Supply zu fahren. Wir kauften Schrauben und verbrachten den folgenden Tag damit unsere Heizung zu installieren. Inzwischen ist der Tank montiert, die Dieselleitung verlegt und auch die Heizung ist montiert. Nur der Kamin trennt uns noch von einer warmen Kabine. Den «Doughnut», die Dachsdurchführung des Ofenrohrs, mussten wir noch anschrägen, damit er gerade auf unserem gewölbten Dach angebracht werden kann. Dazu wollten wir am Folgetag wieder zu Dixons und zogen uns warm an, um uns an diesem kalten Tag zu Fuss auf den Weg zu machen. Es schneite und der Wind war eiskalt. Doch weiter als zur Fischfabrik kamen wir nicht, bevor uns ein älterer Herr ansprach. Wir enttarnten ihn schnell als Sids Grossvater James Mood, der uns erst einmal zu Tim Hortons fuhr und mit Kaffee versorgte. Dann fuhren wir zu Dixons, die uns aber nicht helfen konnten den hölzernen Ring anzuschrägen. Sie könnten die Arbeit nicht qualitativ genügend ausführen. Pech. James ging dafür mit uns zur Tankstelle und wir besorgten Diesel, bevor er uns mit zu sich nach Hause nahm. Er bewohnt alleine ein grosses Haus auf einer Halbinsel direkt hinter der Fischfabrik, das viele leere Zimmer enthielt, aber praktisch zwei komplette Wohnungen beinhaltete, welche nur die gleiche Küche benutzen müssten. Er erzählte uns von seiner Jugend als Fischer und von seiner Familie, die einen sehr hohen Stellenwert in seinem Leben hat. Ausserdem meinte er, wir sollten unsere Familien anrufen und wenn wir duschen wollten oder Wäsche waschen, stehe sein Haus zu unserer Verfügung. So ging er mit seinem Trunk in die Garage und wir taten, was er uns vorgeschlagen hatte: duschen, waschen, telefonieren. Wir hinterliessen ihm einen Stapel Schokolade. In der Fischfabrik entdeckten wir einen Schraubstock und einer der Angestellten brachte Reto bald eine Elektrische Handsäge, weil er mit unserer Handsäge kaum durch den zähen Holzring kam. Auch ein Handschleifgerät liess sich auftreiben, weshalb unser Doughnut bald in Form war. Ich sah derweil zu wie einige Angestellte mit zackigen Handgriffen die «Bäckchen» aus Heilbutt-Köpfen schnitten, weshalb ich kurz darauf einen Gefrierbeutel voll Fischbacken samt kochanleitung in die Hände gedrück bekam. Statt in Butter kochte ich sie in Olivenöl und wurde gerade fertig, bevor das Gas ausging. Da wir aber am Donnerstag morgen los wollten, stellten wir uns auf ein kaltes Frückstück ein.

kaltes Wetter in Woods Harbour

Die Nacht war kalt, denn wir hatten an diesem Pier keinen Strom, weshalb wir unseren Elektroofen nicht nutzen konnten. Früh um fünf zogen wir die wärmsten Kleider an, tranken keinen Kaffee und stiegen dann an deck. Die Leinen waren alle gefroren, weshalb es einige Minuten dauerte, um uns vom Nachbarschiff Ozean View zu befreien. Noch im Dunkeln verliessen wir den Hafen und die Bucht unter Motor. Wir würden erst am Nachmittag wind bekommen, weshalb wir uns mit Diesel nach Westen arbeiteten. Das Meer war spiegelglatt, die Temperaturen eisig und es wurde auch am Tag nicht wärmer. Um acht Uhr kam die Hiobsbotschaft: Pieeeeeeeeeeeee…. Der Abgastemperatursensor sprach an und Reto schaltete sofort den Motor aus. Dann begann die Fehlersuche. Wir vermuteten das Kühlsystem, weshalb wir das Dinghy wasserten und prüften, ob die Aussenwasserzufuhr verstopft war. Nichts, auch nicht im Filter. Der Impeller? Dann würde kein Wasser aus dem Auspuff kommen, doch das tat es. Der Regenbogenfarbene Film auf dem Wasser – Öl? Kühlflüssigkeit? Diesel? Wir entschieden uns einen Mechaniker zu suchen. Dazu setzten wir die Segel und segelten in einem leichten Lüftchen zurück nach Woods Harbour. Wegen der «Wind»-Richtung mussten wir einen Umweg rund um Outer Island fahren. Für zwei Stunden afhrt nach Westen, segelten wir acht Stunden nach Osten. Am Nachmittag kam aber etwas Wind auf, der uns in den Nordhafen zurückbrachte. Vor dem Südwind her trieben wir auf den Hafen zu und bereiteten das anlegen vor, den diesmal musste alles stimmen. Wir holten vor dem Hafen Das Gross- und Besansegel ein, um uns nur vom Klüver in den Hafen ziehen zu lassen. Auf Befehl musste ich sofort das letzte Segel herunterziehen. Während Reto Sea Chantey längsseits des ersten Schiffes steuerte, musste ich die Heckleine an einem Anschlagepunkt befestigen und das Ketsch mit der Leine abbremsen. Sea Chantey hatte dank des Südwinds viel Schwung und war schwer zu bremsen, schlussendlich hingen wir aber an dem riesigen Hummerboot und waren erleichtert. An diesem Pier konnten wir auch das Kabel verlegen und das eiskalte Schiff mit dem Elektro-Ofen beheizen. Wir entschieden, uns mit unserm Problem erst einmal an James zu wenden. Da er nicht zu hause war, besorgten wir uns eine Pizza. Ein freundlicher Herr fuhr uns zurück zur Werft, wo James uns aufgabelte. Bei Pizza und Bier hielten wir in seiner Küche Kriegsrat.

Morgens um acht trafen wir uns am Pier. Zu James’ Tagesordnung gehörte der Kaffee von Tim Hortons, dann machten wir uns erst einmal auf die Suche nach Propan. Wir besitzen leider einen speziell geformten Tank, weshalb uns Austauschflaschen nichts nützen. An zwei Tankstellen und einem Hardwarestore konnte niemand Gastanks befüllen. Ohne Gas brachte James uns zu einem Mechaniker, George Adams, der nach kurzem Gespräch samt Frau und Besuch zum Hafen kam. James «befahl» uns die Gastanks in seinem Pick-Up zu lassen, während wir zu unserem Motor schauten, wollte er Gas besorgen. George sah sich unseren Motor an und war nach kurzer Zeit sicher, dass er einwandfrei funktionierte. Auch ein Leck konnte ausgeschlossen werden, wir müssten also nur das Kühlwasser auffüllen. Und einen neuen Sensor für das Auspuffwasser besorgen. Da dieser auch bei kaltem Motor ansprach, musste er defekt sein. So plauderten wir noch eine Weile und liessen uns von seinem Leben als Analphabet, Fischer und Bootsmechaniker erzählen. Dann suchten wir nach James, den wir erfolglos in seinem grossen Hasu am Meer vorfanden. Wir entschieden uns dennoch, uns mit einem Abendessen im Restaurant zu belohnen und plauderten den ganzen Abend. Wer glaubt, wir hätten ihn einladen dürfen, kennt James Mood nicht. Aufdem Rückweg zu ihm trafen wir seine Tochter Andrea, Sid’s Mom, und plauderten bis um elf in James’ Wohnzimmer, bevor wir alles erzählt hatten.

Am folgenden Tag fuhr James uns den ganzen Weg nach Yarmouth, wo wir aber endlich unsere Gastanks befüllen konnten. So vorbereitet verabschiedete uns der alte Fisch-Fabrikant herzlich. Und wir mussten ihm versprechen, dass wir anriefen sobald wir den Gulf of Maine überquert hatten.

Das Pferderennen

Sid verabschiedete uns mit einem riesigen, kalten Packet mit gefrorenem Eigenfang:

  • Heilbutt Filet
  • Schwertfischsteak
  • Rauchfisch
  • Rehsteak (in Kanada nur zu bekommen von jemandem, der selbst jagt)
  • Eine ganze Ente
  • Truthahn Stew von seiner Mutter
  • Eingelegte Rote Beete und Zucchini

Es verschlug uns die Sprache! Mit einer Einladung in die Schweiz und einigen Tafeln Schokolade bedankten wir uns so gut wir konnten. Dann machten wir uns auf den Weg. Wir hatten uns für eine Route scharf vorbei am Kap entschieden. Die Unterwasser-Topografie und eine Ansammlung von Untiefen verursacht rund um Cape Sable Strömungen und ungleichmässige Wellen, sogenannte Wasserturbulenzen. Laut unserem Küstenführer sind sie stark genug um eine Jacht Heck nach vorne zu drehen, wenn der Steuermann nicht Acht gibt. Da aber der Gegenwind gegen Mittag abflaute und die Wellen weniger und weiter wurden, rechneten wir uns eine gute Situation aus. So war es auch, nur war auch die gute Situation anspruchsvoll. Vor dem Kap übernahm ich das Steuer und steuerte uns durch die «horse race» genannten Untiefen. Über diesen türmten sich die Wellen hoch auf, ihre Abstände wurden kurz und die Strömungen machten Sea Chantey schwer steuerbar. Die Wellen bremsten uns, weshalb Sea Chantey selbst mit 3000 Touren Mühe hatte eine Geschwindigkeit von 5 Knoten zu halten. Während unser Bug über drei Meter in die Wellentäler hinabfiel, wir unseren Bugspriet regelmässig tauchten und ich mich um das Kap mit dem Leuchtturm kämpfte, sass Reto in der Küche. Fröhlich pfeifend schmierte er Frischkäse-Brötchen. Vor dem Kap musste ich den Kurs ändern, weshalb wir die Wellen von der Seite hatten. Dies schaukelte uns nicht weniger, aber bremste Sea Chantey nicht mehr. Bis Reto gegessen hatte, hatten wir das Kap umrundet. Die Wellen wurden länger und auch ich konnte mich über mein Brötli hermachen.

Ich möchte noch erzählen, dass ich ein echtes Phänomen der Seekrankheit bin. Ein bisschen Schaukeln ist kein Problem, bei mehr Schaukeln wird mir übel, aber wenn die Wellen eine gewisse Höhe überschreiten, ist meine Seekrankheit kuriert. So war mir nicht wohl und ich hatte keinen Hunger, bis ich mit dem «horce race» kämpfen musste. Auch danach hielt sich der Hunger in Grenzen, obwohl mir nicht mehr schlecht war. Aber im Hafen hatte ich Hunger wie ein Wolf, …wie ein Seewolf!

Nun sog uns die Flut der Bay of Fundy entgegen, die den Weltgrössten Gezeitenunterschied hat. Als Ziel hatten wir Wood Harbour gewählt, wo Sids Grossvater wohnt und er daher wusste, dass wir hier das benötigte Material für die weitere Montage unserer Heizung bekommen würden. So fuhren wir in den Fischerhafen ein und machten am erstbesten Fischerboot fest. Reto fand auf seinem Spaziergang keine Hafenaufsicht, aber es schien an diesem Abend niemanden zu interessieren, ob wir da waren. Ich kochte uns die Heilbutt Filets, nature, munière und al Pesto, und eines ist sicher: Sid fischt verdammt guten Fisch.

Der Fischer von Port La Tour

Weil wir erst am späten Vormittag abgelegt hatten, erreichten wir das zwei Buchten südlich gelegene Port La Tour erst nach Sonnenuntergang. Zwei Fischerhäfen standen zur Auswahl, der nördliche war laut Karte nicht tief genug, der südliche hatte einen Wellenbrecher in der Einfahrt. Wir entschieden uns für den Südlichen, weshalb ich mit dem Suchscheinwerfer auf dem Bug stand und die Verbauung suchte. Diese war aber entfernt worden, weshalb wir ungehindert in einen grossen, gut beleuchteten Hafen einfuhren. Die Fischerboote schienen sich nahezu zu stapeln, der Hafen war voll. Aber am äussersten Pier war ein Liegeplatz frei, an dem wir anbanden. Während ich die Springleinen befestigte, machte Reto sich auf die Suche nach Jemandem, der uns einen Platz zuwies. Zurück kam er mit den Worten: „Ich habe jemanden auf ein Bier eingeladen!“ Zu Besuch kam ein Mann Mitte Zwanzig mit Baseball Cap und Gummistiefeln: Sid. Bei einer Dose Bier plauderten wir über unsere Pläne und Fischerei. So brachten wir in Erfahrung, dass Schwertfisch, Heilbutt und Thun mit der Harpune gefischt werden und dass er sein Boot mit integrierten Tanks für die Zwischenlagerung der gefangenen Hummer ausgerüstet hatte. Das grosse Boot besitzt er seit drei Jahren, aber er hatte schon mit achtzehn Jahren mit einem eigenen Boot gefischt. Privat war er Familienvater und trainierte Zugpferde für Zugwettkämpfe auf Prinz Edward Island. Er hatte uns einen Adapter für unser Verlängerungskabel mitgebracht und meinte: „Ich musste lange suchen bis ich jemanden fand, der einen hatte. Alle Jungs sagten nur: die Schweizer können an meinem Boot festmachen und direkt das Kabel am Boot einstecken. Aber nun könnt ihr gleich an meinem Liegeplatz bleiben, das ist bequemer.“ Wir waren wieder einmal beeindruckt von der Gastfreundschaft der Kanadier. Und dass wir an Sids Liegeplatz lagen, fanden wir lustig. Er hatte sein monströses Fischerboot zum Beladen mit Hummerkörben, an einen anderen Pier gefahren.

Wir mussten wieder einen Tag im Hafen verbringen, weil der Novemberwind auf See so stark blies. Wir machten einen Spaziergang zum nahen Fort, plauderten mit verschiedenen Fischern und begannen unsere Heizung zu montieren. Allerdings stellten wir die Montage nicht fertig, weil noch Kupferrohre und ein Loch im Dach zu besorgen waren. Sid kam mit seiner Freundin zum Plaudern vorbei, weshalb wir ihn gleich in die Planung des nächsten Tages einbezogen. Wir wollten Cape Sable umrunden, welches für seine Wasserturbulenzen berüchtigt und «gefürchtet» ist. Die lokale Bevölkerung nennt es das «horse race». Man muss es im richtigen Moment durchqueren, damit die Flut dem Schiff durch die Wasserwirbel hilft. Daher rechneten wir aus, wann wir aufbrechen mussten und entschieden um elf am Morgen abzulegen.