Wo wir Freunde haben

Wir ruhten uns zwei Tage aus, ehe wir mit wenig Wind nach Fort Pierce segelten. Als wir ankamen, war es wieder kurz vor dem Eindunkeln. Nach zwei Fehlschlägen irgendwo zu ankern, durchquerten wir mit dem letzten Licht die Klappbrücke und warfen spontan den Anker gleich neben dem Intracostal Waterway. Glücklicherweise hatten wir meinen ersten Muttertag einen Tag vorgezogen, denn aus dem Abendessen im Restaurant wurde nichts. Am folgenden Mittag erreichten wir endlich Vero Beach – die südlichste Ortschaft Floridas, die wir mochten. Ich wusch den ganzen Nachmittag Wäsche. Ich hatte seit Nassau nicht mehr gewaschen und Gwendolyn hatte nur noch ein passendes Kleidungsstück übrig, ausserdem hatte ich geplant einige Tage in Vero Beach zu bleiben. Maurice hatte tatsächlich Zeit mit uns zu Abend zu essen. Er hatte uns letztes Jahr als Uber-Fahrer vom Einkaufen abgeholt. Seine Tochter Emma und Gwendolyn mochten sich bald, aber mit Maurice wurde Gwenny einfach nicht warm. Sehr zu seinem Leidwesen.

Zum Einkaufen fuhr uns Michael, der auf seinem Boot im Mooringfeld wohnt, in dem auch wir hingen. Zum Dank durften wir ihn in einem kleinen mexikanischen Spezialitätengeschäft zum Essen einladen. Besonders Gwendolyn hatte ihre Freude daran, wir gaben ihr ein Stück Limone zu probieren. Ich hielt ihr das Stück hin, sie lehnte sich vor und Biss hinein, dann verzog sie das Gesicht und liess die Limone los. Wir hatten erwartet, dass sie laut losheult, aber zu unserer Überraschung holte sie Anlauf und Biss freudig erneut in die Limone. Voller Freude genoss sie den sauren Geschmack mit verzogenem Gesicht. Michael half uns ebenfalls mit der Flaggenleine. Bei einem heftigen Regen in Bimini war die Flaggenleine mit dem Radarreflektor heruntergefallen. Aus dem Bootsmannstuhl hätte ich die Rolle, durch die Leine musste, aber nicht erreicht und nirgends war eine lange Leiter aufzutreiben. Michael löste unser Problem ganz cool indem er im Bootsmannsstuhl aufrecht stand, während Reto ihn hochzog, ich sicherte und Gwendolyn quengelte. Zur Erinnerung: Ein Bootsmannstuhl ist ein Stoffsitz den Man an einem Seil befestigt, vollkommen instabil! Wir bedankten uns mit einem Bier. Selbst zum Boot-Schrotthändler nahm er uns mit. Alles was noch brauchbar ist, landet ordentlich sortiert in der Halle von «Marine Liquidators». Es sieht aus wie in Papis Ersatzteillager. Reto kaufte fast 50 Pfund Teak zum Sonderpreis und einige Kleinigkeiten. Fürs hin- und herfahren luden wir Michael noch einmal zum Mexikaner ein. Gwendolyn bekam noch einen «Schnitz» Limette und auch ich traute mich an einige Spezialitäten. Tamarinden kann ich nur empfehlen: Was aussieht wie eine grosse, braune Bohne schmeckt wie gedörrte Zitrone. Schale und Kerne kann man nicht essen. Aber mit getrocknetem Fisch statt Kartoffelchips kann selbst ich nichts anfangen. Ganz spontan rief ich bei Karen und Steve an, die wir in den Exumas kennengelernt hatten. Eine halbe Stunde später sassen wir bei Wein und Oliven in ihrer Küche. Ich war fasziniert von dem riesigen, stielvollen Gebäude – es wäre das perfekte Haus für Reto und mich: Genug Zimmer, dass jeder eines bekommt, die Garage gross genug für alle Fahrzeuge von Reto (Boote ausgenommen), Pool und einen Pier, der tief genug ist für Sea Chantey und Platz bietet für alle Wasserfahrzeuge von Reto. Das Grundstück grenzt an zwei Seiten an die Lagune. Nur, dass ich niemals in Florida leben wollte – zu viele Leute mit Booten, die keine Ahnung von ihren Booten haben! Karen genoss Gwendolyn in vollen Zügen und hatte sehr viel Verständnis dafür, dass Gwenny lieber bei Mami sein wollte. Unsere Gastgeber verbrachten den Abend an einem Konzert, während wir noch einmal unter die Dusche hüpften. Auf unserem Nachbarboot «Island Pearl» tranken wir noch mehr Wein und erzählten von unseren Abenteuern, dennoch fuhren wir morgens nach Norden.

Go West

Zwei Tage nach dem Westwind, der «Jolly Jumper» über die Great Bahama Bank gebracht hatte, drehte der Wind Ost. Wir verliessen in furchtbar welligem Wasser die Hafeneinfahrt und wurden den ganzen Tag geschaukelt. Mit dem Sonnenuntergang fuhren wir unter vollen Segeln in die Hafeneinfahrt von Fort Lauderdale. Wir müssen grandios ausgesehen haben, denn eine kleine Drohne verfolgte und umschwirrte uns. Das Funkgerät der Marina war leider nicht mehr besetzt, daher warfen wir an einem Ort den Anker, wo wir glaubten nicht zu stören. Es gab dort zwar nur zwei Moorings, wovon eine besetzt war und die andere für unseren Geschmack zu nahe an einer Mauer, trotzdem informierte uns der Hafenmeister der Las Olas Marina, dass wir mitten in seinem Mooringfeld geankert hatten. Ich einigte mich schliesslich mit ihm, dass wir die nächste Nacht an seinem Pier verbringen würden. Danach brachte uns ein Uber-Fahrer zum Zollbüro. Tatsächlich war es kein Problem, dass Gwendolyn mit ESTA einreiste, nur darf sie nur 90 Tage bleiben während wir 180 Tage bleiben dürfen. Auch das Cruising Permit wurde durch eine Fehlüberlegung unsererseits nur bis August genehmigt – es folgt also noch Papierkrieg. Aber wir waren nun offiziell eingereist und konnten uns mit David von «Wild Beast» verabreden. Reto, dessen Erkältung sich verschlimmerte, hütete Gwenny, während ich uns eine SIM-Karte besorgte. Um Windeln zu kaufen spazierte ich mit Gwendolyn zur Apotheke. Nachdem «Wild Beast» heute endlich ausgewassert worden war, trafen wir uns mit David in der Sports Bar seines Hotels. Der Engländer, den wir in Georgetown kennengelernt hatten, genoss unseren Besuch ebenso wie wir. Wir tranken Bier, assen und plauderten, bis Gwendolyn schon eingeschlafen war. Entsprechend nahmen wir uns tags darauf noch einmal frei.

Retos Stimme klang noch schlimmer als vorher, daher spazierten Gwenny und ich erneut zur Apotheke und deckten uns mit Vicks und Hustensirup ein. Dank des Nasensprays und eines Nickerchens ging es Reto am Abend wieder so gut, dass wir sogar Glacé essen gingen an der überfüllten Strandpromenade. Ja, auch in Florida muss man in öffentlichen Gebäuden Maske tragen, aber draussen interessiert es niemanden.

Eigentlich hätten wir 90 Meilen bis Vero Beach in einem Übernachttrip durchfahren wollen, aber wir hatten uns zu wenig über das Wetter informiert. Der Ostwind hatte hohe, spitze Wellen aufgeworfen. Wir kamen kaum durch sie hindurch, während wir den Einfahrkanal des Hafens durchquerten. Seit der Hormonkur in meiner Schwangerschaft bin ich nicht mehr so draufgängerisch wie früher und brauchte Stunden um mich von dem Seegang im Kanal zu erholen. Das schlimme daran ist, dass ich nicht weiss, wovor ich mich eigentlich fürchte – denn wir hatten schon viel (!) schlimmeres hinter uns. Jedenfalls kaum hatte ich mich erholt, begann der Wind nachzulassen, die Wellen allerdings kaum. Die Entscheidung, ob wir das Grosssegel nun einholen oder nicht, nahm uns das Wetter ab. Eine grosse, dunkle Wolke braute sich über uns zusammen und wir holten das Segel ein, weil wir erwarteten, dass der Wind drehen würde. Ich konnte gerade alles inklusive Gwendolyn in die Kabine Räumen, alle Fenster schliessen und Reto eine Jack geben, als der Regen wie aus Eimern zu schütten begann! Die Wolke reichte bis auf die Wasseroberfläche und sahen keine fünfzig Meter mehr voraus. Reto steuerte tapfer durch den Regen ohne zu Abend gegessen zu haben und ich studierte das Regenradar. Es sah nicht aus, als würde es bald wieder aufhören, immer kam neue Wolken auf den Bildschirm! Aber eine kleine Pause zwischen den Schauern würde genügen um den Inlet nach West Palm Beach zu passieren, was wir probt taten. Mit dem Sonnenuntergang und dem Gezeitenstrom sausten wir in den Teil des ICW, den nicht leiden konnten. Ausnahmsweise waren wir das einzige Boot unterwegs. Wir schipperten einige Meilen nach Norden zu einem Ankerplatz den wir kennen und als akzeptabel in Erinnerung behalten hatten. Weil bei unserem Scheinwerfen der Akku leer wurde, legten wir den halben Weg in völliger Dunkelheit zurück. Schliesslich warfen wir endlich den Anker und ich konnte den Kapitän füttern.

Island Time

Schlussendlich kam alles ein bisschen anders als geplant, aber daran haben wir uns längst gewöhnt. Aus purer Faulheit und Lebenslust blieben wir mehr als eine Woche in Bimini, denn es gab immer wieder einen guten Grund noch zu bleiben.

Ursprünglich hätten Gwendolyn und ich nach Fort Lauderdale fliegen sollen, weil Gwendolyn kein Visum bekommen hatte. Da aber der Tropicoole Frank letztes Jahr mit seinem ESTA per Boot eingereist war, versuchten wir alles um diese Möglichkeit zu prüfen. Mir war es natürlich nicht wohl bei dem Gedanken den Vater meines Kindes alleine über den Golfstrom schippern zu lassen. Daher rief ich jeden Tag beim Zoll in Florida an, in der Hoffnung, dass endlich jemand den Hörer abnahm. Derweil verglich ich die Preise der Fluggesellschaften mit denen der Fähre und erkundigte mich, wo ich einen Covid-19 Test machen konnte. Alles war bereit, um gebucht zu werden, als ich es schliesslich am Tag bevor das Wetter für Reto stimmen würde, endlich Jemand den Hörer abnahm. Der Zollbeamte nahm all unsere Personalien auf und erlaubte uns vor Ort ein Zollbüro zu besuchen. Beruhigt beschlossen wir ein weiteres Windfenster abzuwarten.

Jolly Jumper

Schon von weitem beobachteten wir die weiss-rote Ketch in den Hafen einfahren. Sobald wir das Schweizer Fähnchen erkannt hatten, schaltete ich das Funkgerät ein und lauschte an welchen Pier «Jolly Jumper» gehen würde. Wir standen schon bereit um die Leinen zu fangen, als die Schweizer anlegten. Alina und Christoph mit ihren Küken Daliah (6 Jahren), Alexa (4 Jahren, wenn ich mich richtig erinnere) und Ruben (gerade mal 1 Jahr alt) und zwei Italienern als Crew. Alina, Kapitän und Mutter, hatte zunächst mit Marina, Zoll und anderem zutun, weshalb Christoph uns berichtet, woher sie gerade kamen. «Jolly Jumper» hatte in Kuba festgesessen und die Familie fuhr ihre Ketch nun nach Nassau, von wo aus sie von angeheuerten Matrosen nach Spanien gesegelt werden sollte. Nur waren die beiden Kapitäne nicht zufrieden mit den Herren Deckhänden, welche wie wir später erfuhren in Nassau den Hut nehmen mussten. Derweil hatten die Mädchen den Pool mit Badetieren gefüllt. Wir verbrachten die nächsten Tage viel Zeit mit der Familie aus Winterthur. Wir begleiteten Christoph und die Kinder an den Strand, wo Gwendolyn das Meer weit mehr genoss als Ruben. Wir diskutierten mit Alina Ankerplätze. Lasen Globi-Bücher. Trösteten Kinder nach dem Hinfallen. Und fragten uns, ob wir allen Ernstes auch drei Kinder wollten, weil es anstrengend zu sein schien. Dennoch genossen wir die Tage und freuen uns schon darauf den kleinen, grünen Strandeimer nach Winterthur zurückzubringen.

Basteln nach MacGyver

Wir lagen vor einer traumhaften Insel. Aber wir hatten zu tun und keine Zeit faul am Strand zu liegen. Auf der Überfahrt nach Whale Cay hatten wir entschieden, dass unser hinterer Mast sich zu stark bewegte. Er hatte immer etwas gewackelt, aber jetzt bewegte er sich fast einen halben Zentimeter. Also entfernten wir die Abdeckung am Mastfuss und legten damit die keilförmigen Hölzchen frei, die rund um den Mast eingeschlagen waren. Wir konnten sie von Hand bewegen und zogen locker eines heraus. Einfach weiter herunterschlagen konnten wir sie leider nicht – sie hatten einen Rand. Es folgte eine längere Diskussion darüber, wie wir die Keile dicker machen wollten. Nach eingehender Prüfung entschieden wir uns für Retos Vorschlag: Wir machen es wie McGyver mit zwei lagen Tuck Tape. Eines nach dem anderen hoben wir die Hölzchen mit dem Taschenmesser heraus, kratzten damit dicht Masse ab, die gar nicht an die Hölzchen gehörte und reinigten den Keil mit Alkohol. Danach kamen zwei Lagen Superklebeband darauf, welche mit der Schere zurechtgeschnitten wurden. Reto machte die meiste Arbeit, weil ich die Hände voll hatte mit Gwendolyn. Kopfschüttelnd stellten wir fest, dass auch die Reihenfolge der Hölzchen nicht stimmte und daher die Form nicht passte. Kein Wunder hatte der Mast Platz zum Wackeln. Jemand (möglicherweise Brad) hatte den Mastfuss beim letzten Einbau falsch zusammengesetzt. Als alle Stücke an ihrem Platz waren, bekam jedes einen Schlag mit dem Hammer. Damit sass der Mast nun fest in seinem Loch.

Am nächsten Nachmittag blies der Wind über Whale Cay und veranlasste uns das Weite zu suchen. Wir flogen nur so über die Wellen. Nur getrieben vom Grosssegel machten wir sechs Knoten. Im innerhalb weniger Stunden erreichten wir die Riffe, die uns von der Bahama Bank trennten. Unsere Karte informierte uns darüber, dass alle Leuchtfeuer kaputt waren oder gar nicht erst da. Nur ein Pfeiler markierte den Weg durch die Riffe, aber wir durchquerten sie ohne Probleme. Gwendolyn genoss ihre erste Übernachtfahrt. Sie schlief ein sobald die Sonne untergegangen war und wachte Nachts nur ein Mal auf. Wir schliefen überhaupt nicht. Wir waren das lange sitzen nicht mehr gewöhnt und mussten etwas öfter wechseln. Schneller als erwartet hatten wir im Mondschein die Bank überquert. Mit der Morgendämmerung suchten wir uns einen Ankerplatz im Lee von North Bimini. Dort schlief ich ein paar Stunden, während Gwendolyn ihren Vater wach hielt. Bei Tageslicht und Fluthöchststand tuckerten wir schliesslich in den Hafen und dockten waghalsig in der Bluewater Marina. Der Wind verblies unser Manöver, wir machten eine Piruette und brachten es schliesslich fertig eine Leine an den Nachbarpier zu werfen, wo uns fünf Leute an den Pier zogen und vertäuten. Von diesem Pier bewegten wir uns nicht mehr weg.

Shipwreck Bay

Vor August würde Gwendolyn kein Visum bekommen, also hatten wir auch keinen Grund länger in Nassau zu bleiben. Eine Weile spielten wir mit dem Gedanken einen Umweg durch die Abacos zu machen, aber Sea Chantey braucht neue Farbe und neuen Lack. Also proviantierten wir das nötigste und stachen in See. Der Wind blies ordentlich und wir machten gute Fahrt, nur eine Stunde bevor wir unser Ziel erreichten, drehte er uns entgegen, anstatt dass er wie laut Vorhersage einfach aufhörte zu blasen. Durch den Kanal zwischen den Riffen hindurch, hätten wir aber sowieso den Motor gestartet. Entgegen Retos Erwartung war das Wasser in der Bucht sehr ruhig und der Ankergrund gut, doch die vielen Wracks verursachten ein ungutes Gefühl. Dennoch schliefen wir sicher zwischen fünf anderen Yachten. Eigentlich hätten wir am folgenden Morgen schon weiterfahren wollen, aber wenn der Wind sich ändert, ändern sich auch die Pläne. Stattdessen liessen wir unser Dinghy ins Wasser. Reto brachte uns von Wrack zu Wrack und wir diskutierten was diese armen Schiffe wohl versenkt hatte. Zwei Schlepper lagen vor einem riesigen Industriedock, daneben eine zerstörte Motoryacht. Auf dem achtzig Meter langen Frachter hätten wir uns gern umgesehen, da dessen Löcher aber mit unendlich vielen T-Shirts gestopft waren und mit einer Pumpe an einem Feuerwehrschlauch das Wasser ausgepumpt wurde, sahen wir davon ab. Nun ruderte Reto uns an den Strand, wo wir weitere drei Wracks fanden. Im Süden auf dem Fels lag ein wunderschöner Schlepper, allerdings überquerten wir zunächst die Strasse. Kaum 50 Meter landeinwärts suchten wir den Eingang zu einer grossen Höhle. Morgans’ Bluff wurde sie genannt, allerdings halte ich die Geschichte von Henry Morgan, der hier sein Unwesen getrieben haben soll, für unwahrscheinlich. Es war nicht der Stil des Freibeuteradmirals auf Beute zu warten, er ging dort hin wo Beute war. Und obwohl die Höhle mehr Fläche als Retos viereinhalb Zimmer Wohnung hatte, hätte man dort wohl keine ganze Schiffsladung verstecken können. Ich war fasziniert von dem Loch im Boden, durch welches man in die Höhle kletterte und die Wurzeln der Bäume, die durch die Decke wuchsen. Mit einigen Fotos kehrten wir an den Strand zurück und gingen zu Fuss zum Wrack des schönen Dampfschleppers. Es tat uns weh, das wunderschöne, alte Schiff auf dem Fels liegen zu sehen, den der Rumpf war noch äusserst gut in Takt und auch die Aufbauten sahen aus, als ob ein bisschen Liebe und Pflege sie retten könnte. Doch wie das Schiff von seinem Felsen ziehen? Auch hier konnten wir nicht an Bord klettern, weil die Bordwand zu hoch war. Als wir mit Alianza zurückkehrten, sahen wir, dass auch Ruder und Propeller in erschreckend gutem Zustand waren. «Bath» ging uns noch Tage lang nicht aus dem Kopf!

Wegen der ändernden Windrichtung mussten wir uns einen anderen Ankerplatz suchen und verschoben nach einem wunderbaren Tag des Segelns nach Whale Cay in den südlichen Berry Islands. Auch hier dachten wir noch an «Bath». Schliesslich befragte Reto die Google-Suchmaschine und förderte schockierende Nachrichten zu Tage. «Bath» hatte Baujahr 1908 und hatte Schiffe und Plattformen herumgeschoben bis sie in Andros Island aufgelaufen war. Laut Internet war sie 2008 nach Haiti verkauft worden, womit ihre Geschichte im Internet endete. Ja, wir waren schockiert! Wie konnte man ein solches Stück Geschichte nach Haiti verkaufen? Und wie konnte man es auf einem Felsen liegen lassen? Wir waren erschüttert! Aber wir konnten nichts dagegen tun, als uns daran zu gewöhnen, dass «Bath» auf ihrem Felsen verrotten würde. Zumindest bis Reto den Lotto-Jackpot gewinnen würde.

Embassy Trouble

«Es ist Wahljahr in den Bahamas, die Politiker wollen sich mit ihren Leuten gut stellen», erklärte uns Gal im Pink Octopus. Seit dem letzten Lockdown im letzten August hatten er und sein Sous-Chef Wally das Restaurant am Strand der Palm Cay Marina nicht mehr schliessen müssen und hatte dauernd volles Haus – wie fast alle Läden. Wer wieder gewählt werden will, kann sich nicht leisten sein Land dicht zu machen. Die Touristen kommen und Nassau blüht wieder. Entsprechend trafen wir weder die kleine Skyler noch Wallys fünf Kinder – sie mussten wieder zur Schule und ihr Väter hatten im Restaurant sowieso keine Zeit für sie. Der Strassenhund, den wir Scooby nannten, war nicht mehr in der Marina, daher hatten wir auch keine weiteren Gründe lange zu bleiben. Wir ankerten bald vor Athol Island im Norden des Nassau Harbor. Mit unserem Bahamischen Daten-Abonnement konnten wir auch von hier aus ein Visum für Gwendolyn beantragen. Wer weiss, warum ich so sicher war, dass ein Baby kein Visum braucht. Wer weiss, warum Reto es nicht nachkontrolliert hatte. Auf jeden Fall lag ich falsch! Ich beantragte ein Visum und ärgerte mich, dass ein Kleinkind, das nicht sprechen kann, einen Interviewtermin braucht. Was wollten die Konsularen Gwendolyn fragen? Ob sie einen Terroranschlag auf den Präsidenten plante? Ob das Konsulat mit der Antwort zu frieden wäre: «Aga brrrpf»? Aber richtig genervt habe ich mich, als Gwendolyn einen Termin im August bekam. Auch einen Notfalltermin bekamen wir «aufgrund der Covid-19 Situation» nicht. Also entschieden wir, dass Gwendolyn und ich von Bimini aus Fliegen werden und Reto unser Boot alleine über den Golfstrom bringt.

Vorerst dockten wir aber in der Nassau Harbor Club Marina. Die Tropicool Familiy, der Deutsche und die Französin-Kanadierein mit den zwei knallblonden, gelockten Kindern, die wir vor einem Jahr kennengelernt hatten, hatten hier ihren Leoparden geparkt… ähm, ihren Katamaran Leopard 40. Frank hatte letztes Jahr keine Probleme mit dem Boot mit seinem ESTA einzureisen, aber wir wollten das Risiko trotzdem nicht eingehen. Ava und Karl, die Kinder mit den Engelslocken erkannten uns natürlich nicht wieder, obwohl wir eine Woche lang mit ihnen im Pool gespielt, sie auf Sea Chantey Piraten gespielt und ich ihnen Schildkröten gebacken hatte. Dafür bekamen wir Karli’s superleichten, winzig zusammenfaltbaren Kinderwagen für Gwenny. (Ob wir den wohl je benutzen?) Sie hatten sich für drei Tage im luxuriösen Atlantis-Resort eingemietet um Avas siebten Geburtstag in Wasserpark verbringen zu können, daher hatten wir ein Auge auf den Leoparden mit Namen Tropicool. Nach einigen Ausflügen zu Booten, die Richtung Karibik oder Europa fahren würden, verabschiedete sich Dylan. Er fuhr mit der Fähre nach Eleuthra, wo er sich mit einem Kumpel treffen würde. Langweilig wurde es deshalb nicht, den schon am nächsten Tag kam ein uns wohlbekanntes Schiff an unser Dock. Es handelte sich um ein Tauchboot mit grossen Kabinenaufbau, zwei Masten und vielen Hobbytauchern an Bord – das Schiff, welches uns unterwegs nach Shroud Cay entgegen kam. «Beacon Won»’s Kapitän Bruce entpuppte sich als Neufundländer und hatte sein Schiff selbst gebaut – ein Holzboot. Natürlich musste er Sea Chantey sehen und brachte gleich die halbe Crew mit. Danach waren wir um eine angebrochenen Flasche Whiskey ärmer, dafür reicher an Freundschaften. Wir leerten Tags darauf «Beacon Won»’s Kaffeekanne und bekamen eine Führung durch das fast komplett von Bruce gebaute Holzschiff. Wir staunten – mitunter über das Gebastel an Bord! Baumaschinenmotoren von Caterpillar trieben das Tauchboot mit 36 Gästekojen, acht Crewkojen und einer Captain’s Cabin (wo alle paar Wochen auch Frau Kapitän unterkam). Voll beladen musste der Vier-Flammen-Gasherd also 46 Leute verpflegen, was bedeutete, dass in zwei Schichten gegessen wird, weil sonst der Speiseraum zu klein ist. Kiloweise Fleisch lagert im Generatorgetriebenen Tiefkühler. Zwei Eismaschienen produzieren täglich 20 Kilo Eiswürfel. Sogar der Wassermacher war selbstgebaut. Wir staunten! Am allermeisten als Crew und Käpt’n uns erzählten, wie Ava und Karli im letzten Jahr in ihrem Rigg herumturnten und ins Wasser sprangen. Wir versprachen den Tropicools Grüsse auszurichten. Die Zeit reichte gerade noch, damit Reto in der Takelage herumturnen konnte, ehe Beacon Won wieder mit tauchwütigen Touristen überströmt wurde. Nachdem bei allen 30 Personen Fieber gemessen war, das Health Visa der Bahamas kontrolliert und Gepäck an Bord geladen war, stach das ganz besondere Tauchboot in See. Nur wenige Stunden später waren die Tropicools enttäuscht Beacon Won verpasst zu haben.