Da wir uns in absehbarer Zeit nicht weiter von unserem sicheren Hurricane Hole entfernen wollten, verzichteten wir darauf, die Segel wieder zu riggen. Verpackt in ihren Säcken sind sie auch vor der Sonne bestens geschützt, bis die Hurricane Saison vorbei ist. Statt in der Gegend umher zu segeln, suchten wir uns einen gemütlichen Ankerplatz in der Nähe des Restaurantstrandes. So braucht Reto nicht allzu weit zu rudern, wenn wir uns zum Pot Luck oder zum Bobing (in knietiefem Wasser sitzen und plaudern) am Strand treffen. Selbstverständlich wären Zusammenkünfte von mehr als fünf Personen verboten, um die Ansteckungsgefahr für Corona zu verkleinern, aber hier trafen sich A: immer die gleichen Leute und B: interessierte es niemanden, da wir ja alleine auf der Landzunge von Stocking Island waren. Reto schliff und lackierte quadratmeterweise, wenn er nicht gerade von einem Buch gefesselt wurde. Nachdem wir David von seiner Lesestoffknappheit erzählt hatten, hatte dieser ihm einen hüfthohen Stapel Bücher zur Verfügung gestellt, durch die sich Reto nun durcharbeitet. Die ersten 25 cm haben wir bereits zurückgegeben. Ausserdem befasste sich Reto mit grösseren Projekten. Um die komplette Steuerbordwand aussen zu streichen, befüllten wir nur einen der beiden 100-Gallonen-Tanks mit Frischwasser, weshalb Sea Chantey um einige Grad schief zu liegen kam. Wir ankerten in einer fast wellenlosen Bucht und vom Beiboot aus, strich Reto die Bordwand seattle-grau über seattle-grau.
Traurigerweise mussten wir einen kleinen Teil der Bordwand schon am Tag später erneut bearbeiten: Nämlich bat uns am folgenden Tag ein Mann in einem kleinen Motorboot doch den Ankerplatz zu wechseln, weil wir zu nahe an einem Mooringfeld lagen. Freundlich wie wir sind starteten wir den Motor und Reto zog den Anker hoch. Was wir dieses Mal – beide – nicht getan hatten, war Alianzas Seil zu kontrollieren, mit dem sie hinten an Sea Chantey angebunden war. Es liegt immer doppelt, von Alianza zu ihrem Anbindepunkt an Sea Chantey und zurück zu dem kleinen Faltanker, der in Alianza drin liegt. Leider befand sich das Sail zwischen Sea Chantey und Anker komplett im Wasser und hing lose. Sobald der Anker oben war, trieben wir nach hinten und das Beiboot stiess gegen das Heck. Damit wir nicht abtrieben, legte ich den Gang ein, der Propeller drehte sich und Alianzas Seil wickelte sich um die Propellerflügel. Das Seil am Dinghyanker wickelte sich auf, zog den Anker schwungvoll aus dem Dinghy, ertränkte Alianza fast und der Anker zog eine 5 mm tiefe Kerbe in die frisch gestrichene Bordwand. Panisch schaltete ich den Gang in neutral, damit der Propeller nicht mehr drehte, während Reto vom Bug aus nur «Abschalten! Abschalten!» befehlen konnte. Sobald der Motor aus war, warf er den Anker wieder über Bord und sprang ins Wasser. Er wickelte das Seil aus dem Propeller, kontrollierte Alianza, fluchte wie ein Rohrspatz – aber der Kratzer in der Bordwand war glücklicherweise der einzige Schaden. Auch Propeller und Welle überstanden meinen Anfängerfehler schadlos. Aber wie leid es mir um die frischgestrichene Bordwand tat, lässt sich nicht beschreiben. Wir füllten den Kratzer mit Holzspachtelmasse aus und streichen ihn erneut, wenn die Backbordseite sowieso drankommt, was gute zwei Wochen bereits von der List abgehakt wurde.