Running for Richard

Der Stopp in Jens Boatyard war nur kurz. Wir holten die Reste unserer Bestellungen samt Rechnung ab und werkelten ein wenig an Sea Chantey. Auch hatte ich Zeit für ein Experiment, ich habe gebacken. In kürzester Zeit hatte ich einen ganz ordentlichen Brotteig ohne Rezept angemischt, da ich mir aber mit dem Backen im Backofen nicht sicher war (schliesslich buk ich zum ersten Mal mit einem Gasofen), buken wir einen Teil des Teigs an Stöcken über dem Feuer. Das Schlangenbrot gelang und auch den kleinen Laib Brot aus dem Ofen empfanden wir als gut. Er war unser Frühstück an einem windigen, kühlen Freitag, als wir nach Whycocomaq aufbrachen. Wir hatten Gegenwind und kämpften uns in langen Schlägen durch den westlichen Arm des Lake Bras d’or. Den ganzen Tag kreuzten wir auf, ohne zu glauben auch nur die Hälfte des Weges zurücklegen zu können. Bei Sonnenuntergang retteten wir uns nach Little Harbour, das kreisrund ist mit einer winzigen Einfahrt und deshalb gegen alle Windrichtungen Schutz bietet. Da unser Wetterbericht viel Wind und Sintflutartigen Regen angesagt hatte, versteckten wir uns einen ganzen Tag lang vor dem schlechten Wetter. Wir fanden an diesem Samstag vermutlich alle undichten Stellen unseres Decks.

Backe, backe Schlangenbrot

Am Sonntag brachen wir früh auf. Der Wind war leicht und das Wetter trocken aber bewölkt und kalt. Wir segelten bis zur Barrastrait Bridge, nördlich von ihr mussten wir die Hilfe unseres Motors in Anspruch nehmen, da wir uns am Abend in Whycocomaq mit Retos Onkel und Tante verabredet hatten. Zumal wir seit zehn Tagen keine Dusche mehr gesehen hatten, machten wir einen kurzen Zwischenstopp in Baddack, der Sommerresidenz von Alexander Graham Bell, dem Erfinder des Telefons. Eine Stunde später setzten wir wieder die Segel und jagten mit jeder Böe dem Indianerreservat Whycocomaq entgegen. Unter voller Besegelung neigte sich Sea Chantey um dreissig Grad, aber wir waren unter Zeitdruck. Nur ging uns nach der Little Narrows Ferry der Wind aus, weshalb wir den Rest unter Motor machten. So kamen wir aber rechtzeitig in Whycocomaq an um Thanksgiving in unserem Lieblingsrestaurant zu feiern, welches einer schottischen Familie gehört. Wir haben uns dort mit Kristen, der Tochter des Wirts angefreundet. Ausserdem kamen wir so zu unseren Kartoffeln.

Am Montagmorgen besahen wir zunächst die Beule, die Reto Sea Chantey beim Anlegen zugefügt hatte. Es war schon dunkel gewesen, weshalb Reto den vorstehenden Pfeiler des Pier nicht gesehen hatte und damit kollidiert waren. Aber ausser Lackschaden war alles in Ordnung. Da wir Richard am Nachmittag erwarteten, machten wir einen Besuch bei Tim Hortons, dem in Kanada häufigsten Coffee Shop, um das Internet zu benutzen. Ich arbeitete, Reto plauderte – stundenlang, bis ich endlich meine Blog up dates erledigt hatte. So waren wir keine Viertelstunde zu Hause als Richard seinen Weg von der Strasse ganz allein zum Pier fand! Und er brachte Post: Meine vergessenen Notizen zum nächsten Buch, Chräbeli, Käpt’n Tollys Ritzenkleber, zwei Flaschen Rum und so weiter. Aber keine Heizung. Diese war nie zu Retos Eltern geliefert worden, wir heizen also weiterhin mit der Petrollampe. Den ganzen Nachmittag brauchten wir, bis Richard richtig eingezogen war.

Von Quallen, Adlern und fleissigen Bienen

Nach einer Frostnacht wurde es am Donnerstag sonnig und wir konnten bei T-Shirt-Wetter unsere Arbeit im Freien fortsetzen. Da der Ölwechsel erledigt und der Warmwassertank ersetzt ist, konnten wir zum Schleifen, Kleben und Malen übergehen. Der Bogen, auf dem beim Stillliegen der Grossbaum ruht, war längs gesprungen, daher klebte Reto ihn wieder zusammen, wobei er ihn für einige Stunden mit Schraubzwingen fixierte. Danach sägte er die Holzpfropfen am Dach ab, mit denen Christian am Vortag die Schrauben bedeckt hatte. Auf Holzbooten werden nach Möglichkeit alle Schrauben in einem Senkloch montiert und ihre Köpfe mit einem Zapfen bedeckt, um sie zusätzlich vor Wasser und Luft zu schützen, damit sie weniger korrodieren.

Ich bearbeitete derweil die Gabel der Gaffelstange. Diese ist innen mit Leder beschlagen, welches seit Jahren hätte ersetzt werden sollen. Das Leder war spröde und sonnengebleicht, weshalb es sich dermassen zusammenzog, dass es seine Nägel aus dem Holz zu ziehen vermochte. Diese standen nun ab, verkratzten den Grossmast und sassen aber trotzdem noch bombenfest in der Gabel. So zog ich mit diversen Zangen gefühlte Hundert Nägel und entfernte den steifen Lederbeschlag. Ich wurde Zeitgleich fertig mit anschleifen der Gabel, wie Reto mit Pfropfen abschleifen bis sie eben mit dem Dachüberhang waren und gab beiden Arbeitsplätzen den ersten Anstrich mit Klarlack. Nun setzten wir uns mit Kaffee Rum in die Abendsonne und genossen die Stimmung am MacLeod Creek, wie die Bucht heisst, an der Jens’ Werft liegt. Wir beobachteten wie schon am Mittwoch ein Pärchen Weisskopfseeadler, die den MacLeod Creek bewohnen. Leider konnten wir sie bisher nicht beim Fischen beobachten, aber durchs Fernglas entstand zumindest eine zufriedenstellende Fotografie.

Wer findet den Weisskopfseeadler?

Zu Hunderten leisten uns kleine, rote Quallen Gesellschaft, die im Salzwasser des Bras d’ors heimisch sind. Ich beobachte sie immer mal wieder beim Schwimmen, sie sind spannend zu beobachten, obwohl sie immer die gleichen Bewegungen machen. Regelmässig bekommen wir Besuch von anderen Bootsbesitzern und Jens’ Hunden, die auf den Steg hinauslaufen um nachzusehen, ob wir noch da sind. Der Dackel Brownie hat besonders den Narren an uns gefressen, vermutlich weil wir ihm im Sommer regelmässig Steine geworfen haben, die «gejagt» hat. Der Collie Nessie meidet uns, solange wir keine Stöcke ins Wasser werfen, damit er hinterherschwimmen kann. Und der Bernhardiner muss uns mindestens zwei Mal anbellen, bevor er sich dafür kaum noch loswerden lässt, wenn man einmal angefangen hat ihn zu streicheln. Sehr zu unserem Verdruss gehören zu Jens’ tierischen Sammelsurien auch tausende garstiger und äusserst schlag-robuster Mücken.

Ich, beim vorbereiten dieses Blog-Beitrags auf Sea Chantey’s Steuerkasten

Vom Regen in die Traufe

Dienstag, 17 Sept. Sea Chantey liegt am Steg und wir bereiten vor was geht: Wasser Für den Alltagsgebrauch durften wie Jens auffüllen (Regenwasser, dass er übers Dach sammelt, von uns mit Silberionen-Lösung aufbereitet, hätte theoretisch Trinkwasserqualität). So kann ich künftig in der Kombüse abwaschen, anstatt an Deck, wo mir der kalte Wind um die Ohren pfeift. In der Takelage haben wir alle Schäkel mit Draht gesichert. Und unser Dinghy Alianza ist nun auch wieder an seinem Davit über dem Heckspiegel. Dennoch weht uns der Wind entgegen: Das Update unserer Seekarte hatte auf der Farm nicht funktioniert, weshalb wir aber unseren Computer in Familie Sauers Stube aufbauen durften, wo wir den Download nun wiederholen konnten. Der Ölwechsel zieht sich hin, da wir noch auf einen Filter warten der nach Port Hawksbury geliefert werden soll (30 min Autofahrt). Damit nicht genug, denn bei den – 30°C im letzten Winter ist unser Warmwassertank geplatzt. Weil er voll war, dehnte ihn das Eis so sehr, dass er der Länge nach sprang. Als wir ihn nun zum ersten Mal frisch vollpumpten, lief natürlich das Wasser heraus, weshalb der Tank umgehend ausgebaut wurde. Kaum war Jens mit dem Filter zurück, bastelte er auch schon den neuen Warmwassertank zusammen. Lustiger weise hatte sein eigenes Boot den baugleichen, passenden Tank, der nun herhalten musste.

Sea Chantey am Steg

Jens‘ Boatyard

Sea Chatey auf Jens‘ Selbstkonstrukt

Sonntag Morgen wurden auf Jens Sauer’s Werftgelände abgesetzt, wo unsere Sea Chantey den Winter und Sommer gestanden hatte. Jens hatte sie schon am Samstag auf seinen selbst-konstruierten Anhänger geladen und vor den Unimog gespannt. Das Auto von Retos Onkel war schnell entladen, denn er musste zurück auf die Farm. In der Werkstatt verpackten wir die Kleider aus den Reisetaschen in Gefrierbeutel um, um sie gegen die Luftfeuchtigkeit zu schützen und besser verstauen konnten. In handlichen Portionen beluden wir über die Leiter unser Ketsch. Es war ein trüber, regnerischer Tag, deshalb nutzten wir die wenigen sonnigen Mittagsstunden, um die Segel anzuschlagen (wir takelten unser Boot auf) und mit Covern zu bedecken. Den Rest des Tages zogen wir ein, verstauten Kleider und Habseligkeiten in Plastik-Kisten und Schränkchen. Nach Anschluss der Gasflaschen kochten wir uns ein warmes Abendessen und kuschelten uns zu zweit in anderthalb Kojen. Wir hätten den Bank natürlich herunterklappen können, aber da es (noch ohne Heizung) frisch an Bord war, war warm wichtiger als komfortabel.

Reto wurde allerdings schon am frühen Morgen zu eng und so war er schon lange wach, als Christian die Kabine enterte. Jens Werftmitarbeiter, wie sein Boss gebürtiger Deutscher, kontrollierte das Batterieladegerät, dessen Kabel sich durch die ganze Kabine zogen. Nach einem kräftigen Kaffee machten wir Sea Chantey bereit zum Slip. Ich machte alles in der Kabine seefest, während Reto, Jens und Christian den Bagger vor den Unimog spannten. Die Slipanlage, eine Rampe über die das Boot samt Hänger darunter ins Wasser geschoben wird, war zu steil, als das der Unimog alleine unser 13-Tonnen-Mädchen bremsen konnte, daher der Bagger. Bei Flut liessen also zwei Maschinen und drei Männer unsere Sea Chantey in die West Bay rollen. Dort mussten wir auf den Fluthöchststand warten, der uns vom Anhänger abhob, wobei wir sie test- laufen liessen: Zack und der Ölkreis-Wärmetauscher war in Zwei! Kein Problem für Christian, der in Deutschland gelernte Klemptner fuhr gleich im die Stadt um Lot zu besorgen und lötete bald darauf das zylindrische Tänkchen und seinen Deckel wieder zusammen. Einige Stunden später fuhren wir mit Diesel-Power an den Steg, wo wir voraussichtlich noch eine oder zwei Nächte verbringen werden und grössere Kleinigkeiten erledigen.

Drei Männer, zwei Maschinen und ich
… beim Abwaschen an Deck. Leider haben wir noch kein Wasser in den Tanks.

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt

Kaum hat Reto unsere Sea Chantey von ihrem Vorbesitzer Brad Pease erstanden, durfte sie auch seit langen Jahren im Trockenen wieder in See stechen. Das Ziel war der Lake Bras d’Or auf Cape Breton Island in Nova Scotia, Kanada. Dort verbrachte unser „Piratenschiff“ bei Sauer Boatbuildig and Maintanance den kalten, kanadischen Winter. Jens Sauer, ein vor Jahrzehnten ausgewanderter Deutscher, bekam den Auftrag einige Reparaturen und Instandhaltungen an Sea Chantey durchzuführen, nur musste das Boot dafür erst einmal zu ihm.

Glücklicherweise stellte sich ein enger Freund von uns zur Verfügung mit uns zu segeln. Dank Pascal konnten wir die erste Überfahrt zu Dritt in Angriff nehmen. Die Vorbereitungen liefen nicht alle nach Plan, weshalb wir leider nicht voll ausgestattet in Rockland ablegten. Wir passierten den Leuchtturm, verliessen das Hafenbecken bei schönstem Wetter und segelten direkt in eine dicke Nebelfront, die über dem Gulf of Main lag. Per GPS und Navtronics brachten wir Sea Chantey auf Kurs ohne weiter als dreissig Meter sehen zu können. In regelmässigen Abständen mussten wir ein Hornsignal geben. Zum Problem wurden uns besonders die Hummerbojen, welche einen ausgebrachten Hummerkorb am Grund signalisieren. Dreimal während der Überfahrt blieben wir mit der rechts vom Kiel angebrachten Schiffsschraube in der Leine einer solchen Boje hängen, weil wir sie zu spät erkannten um auszuweichen. Die ersten beiden lösten wir von der Schraube, bei der dritten sahen wir uns gezwungen die Boje abzuschneiden, was uns mit dem mit einem Messer bewaffneten Bootshaken schliesslich gelang.

Nach anderthalb Tagen riss die Nebelwand auf und wir umrundeten Nova Scotias südliches Kap bei Sonnenschein, bevor sich von Westen ein Gewitter anbahnte. Wir lieferten uns mit der Gewitterwand eine Regatta, doch erreichten wir den Fjord von Shelbourne vor dem schlechten Wetter. Wir ankerten, um Zollformalitäten und Reparaturen zu erledigen. Da Sea Chantey jahrelang mit vollem Tank stillgestanden war, hatten die Wellen nun Ablagerungen und Dieselalgen im Tank aufgeschüttelt, welche uns nun die Filter verstopften. Ausserdem hatte der alte Impeller der Motorkühlung unter dem Stillstand gelitten und musste ersetzt werden, was aber beides noch in Shelbourne behoben werden konnte. Der aktive Jachtclub löste bei uns durch seine freundliche Hilfe und den Grillabend anlässlich der Club Regatta Ferienstimmung aus, die wir nach eigen Tagen hinter uns liessen.

Die Weiterreise nach Lunenburg schaukelte, da die Wellen nach wechselndem Wind nicht mehr aus der Windrichtung kamen, und machten uns einen Mann appetitlos. Doch verlief die Reise zwischenfallslos. Pascal teilte sich nicht mehr die Wache mit mir, sondern versorgte uns als Smutje. Lunenburg war regnerisch, der Aufenthalt kurz und die Einladung zur Regatta mit Kanone konnte leider nicht wahrgenommen werden. Hier war mein Abschiedsort: Da meine Ferien zu Ende waren, musste ich an Land weiterreisen, während die Jungs Sea Chantey in den Bras d’Or segeln mussten.

Die Windrichtung war unpassend, weshalb Reto und Pascal den Canso Causeway, zwischen Cape Breton Island und dem neuschottischen Festland nicht im ersten Anlauf überquerten. Ein Windwechsel zwang sie zu wenden und in einer Bucht Schutz zu suchen. Auch waren die Filter wieder verstopft und so mussten die Freunde zu Fuss Ersatz beschaffen. In einer privaten Garage durften sie die Filter waschen und im Garten der Familie wurde ihnen frisches Gemüse gegeben. Im zweiten Anlauf überquerten sie den Canso dafür in Begleitung einer Schule Delfine. Delfine bringen den Seeleuten Glück.

In St. Peters auf Cape Breton Island wird die Schleuse in der gerade eröffneten Nebensaison nur unter der Woche geöffnet, weshalb Reto und Pascal einen Tag festsassen und hier neue Bekanntschaften schlossen. Der von Bergen umschlossene Bras d’Or war dafür nahezu windstill, weshalb die Abenteurer unsere Sea Chantey gemütlich nach West Bay zu Jens Sauer schipperten. Während ich zu Hause brennend auf Infos meiner Seemänner wartete!