Schleusenfahrt ins Nebelmeer

Wir verliessen den Piratenhafen am Dienstag, 24. September. Noch in der Mrina meldete Reto uns per Funk bei der Schleuse an, bis wir losgeworfen hatten und zur Drehbrücke vorgefahren, begann die freundliche Schleusenmeisterin die Durchfahrt zu öffnen. Auf beiden Strassenseiten gingen die Barrieren hinunter und die ganze Brücke machte eine 90°-Drehung um den einzigen, mittigen Brückenpfeiler. Reto fuhr Sea Chantey hindurch direkt in die Doppeltor-Schleuse. Ich hatte bis dahin eine Leine am Bug du eine achtern vorbereitet, mit denen wir unser Ketsch nun an einer Schleusenseite hielten. (Boote sollten in Schleusen nicht festgebunden werden, denn wenn der Wasserspiegel sinkt, hängt das Boot sonst an seinen Leinen in der Luft.) Tür zu und schon sank unser Niveau auf den Atlantik-Meeresspiegel. Kaum hatte Sea Chantey die Schleuse verlassen, hörten wir auch schon Alex’ Stimme aus dem Funkgerät: Mah Jong meldete sich an der Schleuse an. Sea Chantey fuhr noch ein Stück unter Motor bevor wir Klüver und Besansegel setzten. Da ich in der Marina immer den ganzen Tag geplaudert hatte, war unsere Gaffel noch immer nur halb beschlagen. Weshalb wir das Grosssegel nicht setzen konnten. Mah Jong überholte uns eine halbe Stunde später. Wegen eher leichtem Wind und dickem Nebel entschieden wir die Isle Madame unter Motor zu umrunden. Unser Ziel war Port Hawksbury am Canso Causeway, wo wir unsere Ausrüstung optimieren konnten. Dieses planten wir in zwei Etappen zu erreichen, wobei wir am Abend in Arichat an der Westküste der Isle Madame zu liegen kommen wollten. Zirka vier Stunden harrten wir in der Nebelsuppe aus, die unser Deck benetzte und uns in den Wimpern hängen blieb. Ich fuhr, denn Retos Brille war so beschlagen, dass er mit und ohne genau gleich viel sah – nämlich nichts. Schliesslich eroberten wir vorbei an untiefen, ausgeschalteten Leuchttürmen und Jersey Island die Bucht von Arichat. Hier warfen wir Anker, mussten uns aber alle Stunden vergewissern, dass er hielt, bevor wir dem Grund schliesslich vertrauten. Dann, endlich, kochte ich uns ein heisses Stew.

ein kleines Boot an einem noch kleineren Pier?

Von Arichat aus fuhren wir noch einen halben Tag durch dichten Nebel. Da wir kaum Wind hatten unter Motor, wobei ich die Gelegenheit nutze mit heissem Wasser abzuwaschen. Der Wasserhahn der Kombüse entnimmt das Warmwasser direkt dem Kühlkreis des Motors. Kaum waren die Töpfe sauber, wurde ich an Deck gepfiffen um Ausschau zu halten. Die Nebelwand war dicht und grau, doch drangen mitten im Canso Causeway Geräusche eines Lüfters an unsere Ohren. Plötzlich wurde das Heck des Frachters sichtbar, der im Bergbaugebiet am Pier lag. Alle zwei Minuten mussten wir ins Nebelhorn blasen, um unsere Position akustisch anzuzeigen, aber neben diesem Brummer hörte uns niemand.

Arbeit an der Gaffel

Nach dem Gesetz der grössten Schweinerei klarte der Himmel auf sobald wir in Port Hawksburys Hafen festgemacht hatten. Bei schönstem Sonnenschein gingen wir noch am gleichen Tag den Hügel hinauf, um uns mit weiteren Kunststoffboxen auszurüsten, in denen wir ausser Kleidung fast alles verstauen. Ausserdem konnte ich etwas Zeit in die Gaffel investieren.

Yacht Club Port Hawksbury

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt

Kaum hat Reto unsere Sea Chantey von ihrem Vorbesitzer Brad Pease erstanden, durfte sie auch seit langen Jahren im Trockenen wieder in See stechen. Das Ziel war der Lake Bras d’Or auf Cape Breton Island in Nova Scotia, Kanada. Dort verbrachte unser „Piratenschiff“ bei Sauer Boatbuildig and Maintanance den kalten, kanadischen Winter. Jens Sauer, ein vor Jahrzehnten ausgewanderter Deutscher, bekam den Auftrag einige Reparaturen und Instandhaltungen an Sea Chantey durchzuführen, nur musste das Boot dafür erst einmal zu ihm.

Glücklicherweise stellte sich ein enger Freund von uns zur Verfügung mit uns zu segeln. Dank Pascal konnten wir die erste Überfahrt zu Dritt in Angriff nehmen. Die Vorbereitungen liefen nicht alle nach Plan, weshalb wir leider nicht voll ausgestattet in Rockland ablegten. Wir passierten den Leuchtturm, verliessen das Hafenbecken bei schönstem Wetter und segelten direkt in eine dicke Nebelfront, die über dem Gulf of Main lag. Per GPS und Navtronics brachten wir Sea Chantey auf Kurs ohne weiter als dreissig Meter sehen zu können. In regelmässigen Abständen mussten wir ein Hornsignal geben. Zum Problem wurden uns besonders die Hummerbojen, welche einen ausgebrachten Hummerkorb am Grund signalisieren. Dreimal während der Überfahrt blieben wir mit der rechts vom Kiel angebrachten Schiffsschraube in der Leine einer solchen Boje hängen, weil wir sie zu spät erkannten um auszuweichen. Die ersten beiden lösten wir von der Schraube, bei der dritten sahen wir uns gezwungen die Boje abzuschneiden, was uns mit dem mit einem Messer bewaffneten Bootshaken schliesslich gelang.

Nach anderthalb Tagen riss die Nebelwand auf und wir umrundeten Nova Scotias südliches Kap bei Sonnenschein, bevor sich von Westen ein Gewitter anbahnte. Wir lieferten uns mit der Gewitterwand eine Regatta, doch erreichten wir den Fjord von Shelbourne vor dem schlechten Wetter. Wir ankerten, um Zollformalitäten und Reparaturen zu erledigen. Da Sea Chantey jahrelang mit vollem Tank stillgestanden war, hatten die Wellen nun Ablagerungen und Dieselalgen im Tank aufgeschüttelt, welche uns nun die Filter verstopften. Ausserdem hatte der alte Impeller der Motorkühlung unter dem Stillstand gelitten und musste ersetzt werden, was aber beides noch in Shelbourne behoben werden konnte. Der aktive Jachtclub löste bei uns durch seine freundliche Hilfe und den Grillabend anlässlich der Club Regatta Ferienstimmung aus, die wir nach eigen Tagen hinter uns liessen.

Die Weiterreise nach Lunenburg schaukelte, da die Wellen nach wechselndem Wind nicht mehr aus der Windrichtung kamen, und machten uns einen Mann appetitlos. Doch verlief die Reise zwischenfallslos. Pascal teilte sich nicht mehr die Wache mit mir, sondern versorgte uns als Smutje. Lunenburg war regnerisch, der Aufenthalt kurz und die Einladung zur Regatta mit Kanone konnte leider nicht wahrgenommen werden. Hier war mein Abschiedsort: Da meine Ferien zu Ende waren, musste ich an Land weiterreisen, während die Jungs Sea Chantey in den Bras d’Or segeln mussten.

Die Windrichtung war unpassend, weshalb Reto und Pascal den Canso Causeway, zwischen Cape Breton Island und dem neuschottischen Festland nicht im ersten Anlauf überquerten. Ein Windwechsel zwang sie zu wenden und in einer Bucht Schutz zu suchen. Auch waren die Filter wieder verstopft und so mussten die Freunde zu Fuss Ersatz beschaffen. In einer privaten Garage durften sie die Filter waschen und im Garten der Familie wurde ihnen frisches Gemüse gegeben. Im zweiten Anlauf überquerten sie den Canso dafür in Begleitung einer Schule Delfine. Delfine bringen den Seeleuten Glück.

In St. Peters auf Cape Breton Island wird die Schleuse in der gerade eröffneten Nebensaison nur unter der Woche geöffnet, weshalb Reto und Pascal einen Tag festsassen und hier neue Bekanntschaften schlossen. Der von Bergen umschlossene Bras d’Or war dafür nahezu windstill, weshalb die Abenteurer unsere Sea Chantey gemütlich nach West Bay zu Jens Sauer schipperten. Während ich zu Hause brennend auf Infos meiner Seemänner wartete!