Stürmt die Werft

Am Dreikönigstag hatten wir etwas besonderes vor: An Retos Geburtstag wollten wir unser Glück mit der Werft erneut versuchen. Tatsächlich arbeiteten einige Leute mit schwerem Gerät auf dem Werftgelände. Und bald fanden wir auch den sehr beschäftigten Werftbesitzer Mike. Der dickliche Mann hatte viel zu tun und hörte uns eigentlich nur mit halbem Ohr zu, bevor er uns erklärte, dass er zu viel zu tun hatte, um sich mit Holzbooten herumzuschlagen. Diese wurden, wie uns bekannt war, häufig zu nie endenden Projekten und er konnte sich wirklich nicht damit aufhalten. Schliesslich gab Mike aber nach: Sein Schiffszimmermann Zack würde sich unser Problem einmal ansehen. Zack, der in Camden an einer Holzbootschule gelernt hatte, war der Meinung, dass ich das Leck schon reparieren lassen würde. Reto sammelte ausserdem Pluspunkte: Zack baut, wie Reto und Richard es getan haben, eine Duck Trap Dwerry und fand es spannend sich darüber auszutauschen. Er überzeugte den Big Boss uns aufs Trockene zu holen. So verschickte Reto noch am gleichen Tag Fotos von Sea Chantey an das Portsmouth Boating Center, damit Mike sich überlegen konnte, wie er unser Ketch in seine Travel Lift hängen konnte. Er könne uns aber frühstens Ende Woche auswassern, sagte uns Boss Mike, seine Sekretärin würde uns auf dem Laufenden halten. Wir hatten also doppelten Grund zum Feiern: Ich lud meinen Reto an diesem Abend ins Fish&Slips ein, wir gönnten uns eine Flasche Wein zum Essen und rundeten den Tag mit Desserts ab. Leider hatte ich vor lauter Leck nicht einmal Zeit gehabt Reto einen Kuchen zu backen.

Reto am Cockpit schleifen

Nach einigen Tagen streichen und flicken in der Tidewater Marina wurden wir wieder in die Werft beordert, um die letzten Dinge zu klären. Wir würden am Montag, 14.1. ausgewassert werden, wegen des Bugspriets rückwärts, also Heck voran, und Mike erklärte uns wie wir anlegen sollten. Er zeigte uns auf der Karte, wie wir die Fahrrinne zu durchqueren hatten und, dass wir mit der Backbordseite anlegen sollten. So würden seine Leute Sea Chantey nur um die Ecke in den Travel Lift ziehen müssen. Top: Auch die meisten von unseren Bestellungen erreichten die Marina bevor wir am Sonntagnachmittag aufbrachen. Derweil war Reto zum Marina-Gehilfen mutiert. Er half diversen Booten beim Docken an der Tankstelle und am Gästepier und versuchte das Rollfock eines verlassenen Segelboots zu retten. Dieses wurde von seinem Besitzer nicht mehr benutzt und als ein Sturmwind das vordere Segel zerriss, bekam Reto Mitleid mit dem armen Boot und versuchte sein Bestes, aber das Segel war nicht mehr zu retten. Auch als wir entdeckten, dass sich eines der normalerweise bewohnten Boote losgerissen und sich unter dem Pier verklemmt hatte, wollten wir uns voll Tatendrang der Rettungsmission anschliessen. Jedoch konnten wir das Dock nicht erreichen, weil den Code zu diesem Tor nicht hatten. Da aber ein Tow Boat, dessen Pilot mit den Leuten der Marina befreundet ist, gerade zum Tanken kam, richteten diese mit vereinten Muskelkräften das Boot wieder auf und sicherten es. Die Angestellten der Marina witzelten darüber, dass uns nun wirklich nur noch ein Freudenfeuer fehlte und wir hätten alles gesehen was die Tidewater Marina zu bieten hatte. Dabei zeigten sie mit dem Daumen auf den Verteilerkasten auf dem Nachbarpier, der im letzten Herbst ausgebrannt war.

unsere hölzerne Nachbarschaft ist ein Taucherboot aus den 40ern

Jedenfalls hatten wir am Sonntag wunderbares Wetter, als wir durch den Kanal in den Seitenarm des Elizabeth River fuhren. «Fahrt bis zur roten Boje!», hatte Mike uns verklickert, «Kürzt auf keinen Fall ab! Da ist es nicht tief genug!» Die Warnung war noch taufrisch in meinem Gedächtnis, weshalb ich mir nicht vorstellen konnte, dass Reto etwas soooo Wichtiges vergessen konnte. Ich fand zwar, dass er die Sandbank nicht grosszügig genug umfuhr, aber ich vertraute ihm: Bis wir rumpelnd über die Sandbank fuhren. Glücklicherweise blieben wir aber nicht stecken und banden Sea Chantey ohne weitere Vorkommnisse fest. Als ich Reto fragte, warum er nicht nach Mikes Anweisung gefahren war, sagte er nur: «Aber das hatte ich doch vergessen!» Der Abend war so schön und ich so voller Tatendrang, dass wir das Beiboot zu Wasser liessen und ich uns eine Weile in der Gegend herumruderte, bevor wir uns auf den sehnlichst erwarteten Montag vorbereiteten.

„Row row row your boat…“

Festgefahren, aber richtig

Mit Rückenwind verliessen wir Staten Island und flitzten im Sonnenschein nach Süden. Wer sich die Küste südlich von Sandy Hook auf Google Maps ansieht, weiss dass wir stundenlang an einem endloslangen Strand entlangfuhren. Nach sechs Stunden erreichten wir einen Unterbruch des Long Beach, wo ein Kanal in die Lagune dahinterführt. Hier vertäuten wir Sea Chantey mit dem Pier von Captain Bills Landing, der zu diesem Zeitpunkt einen guten Meter übers Deck hinausragte. Ohne den Shop Assistent hätten wir vermutlich nicht anlegen können, schliesslich konnten wir aber Tanken. Und endlich, endlich konnten wir unsere Wassertanks auffüllen!! Endlich, endlich kann ich nun wieder vernünftig abwaschen. Das U-förmige Dock in das wir nun parkierten, hätte laut Captain Bill tief genug sein sollen. Wir standen aber mit dem Ruder auf dem Grund an, als wir rückwärts in den Slip steuerten. Vorwärts liess sich Sea Chantey problemlos parken. Wir plauderten also eine Weile mit dem Shop Assistant, der ein pensionierter Polizist ist, und gingen auf ein Bier in die Bar. Salt Cod Cakes gab es zum Abendessen. Das Wasser lief auf und wieder ab, und mitten in der Nacht sassen wir auf Grund. Dies war kein Problem, da die Flut am Morgen wieder auflief, aber es war uns zu unheimlich als dass wir noch eine Nacht bleiben wollten.

Da das Wetter wieder gegen uns war, machten wir in der Hoffmanns Marina an einem ebenso hohen Pier fest, der direkt neben der Eisenbahnbrücke lag. Reto und ich erfreuten uns an dem regen Zugverkehr: Die Brücke war stets offen, bis ein Zug mit Hornsignal sein Anfahren anmeldete und der Brückenwärter die Klappbrücke herunterliess, um sie nachdem der Zug passiert war wieder zu öffnen. Stündlich zueinander zu sagen «Hör mal, da kommt wieder ein Zug» und den Boden auch bei Ebbe nicht zu erreichen, war auch unsere ganze Freude. Mit der Marina waren wir nicht sonderlich zufrieden, weil nur die Damendusche heisses Wasser hatte, das Wlan unseren Pier nicht erreichte und die Übernachtung zu allem Überfluss teuer war als in New York. Wegen des Wetters blieben wir trotzdem zwei regnerische Tage, an denen wir nichts taten als lange zu schlafen und Computerspiele zocken.

Kaum war der Wind wieder mit uns, flüchteten wir von Brielle aufs offene Meer. Unter Segel mit üppigem Seitenwind erreichten wir bei ablaufendem Wasser nach Baregat Light. Diese Kanaleinfahrt in die Lagune hatten wir in starkem Gegenstrom zu meistern, aber Reto fuhr Sea Chantey mit voller Fahrt und dennoch nur äusserst langsam in die Bucht. Unsere Karten zeigten viele Untiefen und Sandbänke auf unserem Weg zu einer Marina. Zuallererst mussten wir eine Kurve um den Leuchtturm fahren und dann zwischen einem Wall und einer Sandbank hindurch. Selbst mit vollem Schub kamen wir kaum gegen die Strömung an. Wir müssen hilflos ausgesehen haben, denn ein Mann nahm vom Land aus durch winken und rufen mit mir Kontakt auf. Nach einiger Zeit hatte ich mit ihm ausgestikuliert, wie viel Wassertiefe wir benötigten und er lotste uns tiefer in die Bucht. Bei der ersten Marina versuchten wir in eine Box zu parken, aber die Strömung war einfach zu stark. Als wir den Mann bei der nächsten Marina wieder winken sahen, passierten wir die Tow Boat Station (den Abschleppdienst zu Wasser) und setzten uns – zum Glück sehr langsam – auf Sand. Diese Marina war nicht tief genug, aber der Mann winkte uns aussen um die Sandbank herum. Reto zog uns mit der Strömung wieder von der Sandbank herab, schaffte es nicht mit einem Pier der ersten Marina zu kollidieren und mit einer Pirouette auf Kurs zu kommen. Dabei wurden wir kritisch von der Crew eines Tow Boats beobachtet und es war mir irgendwie peinlich, als einer vom Abschleppdienst schon winkte. Aber ich winkte lächelnd zurück. Auf der anderen Seite der Insel, die sich auf der Sandbank gebildet hatte, beeinflusste uns die Strömung kaum noch, weshalb wir flott durch den Bojenkanal fuhren. Als ich den Mann wieder auf einem Pier erblickte, waren wir nahe genug um uns mit rufen zu unterhalten. «Anchorage there! Slip there!», schrie er und zeigte an die entsprechenden Orte. Ich dankte ihm gerade als ich spürte wie wir sehr abrupt gebremst wurden. Ja, wir hatten mit vier Knoten auf einer Sandbank aufgesetzt und diesmal konnten wir nicht wieder herausfahren! Zu allem Überfluss zwischen zwei Marinas und dem Ankerplatz. Auf dem Pier kam derweil der Dockmaster dieser Marina angelaufen und nach kurzem Funkverkehr stand fest: Die Marina ist nicht tief genug für uns und bis zur Flut wir würden uns nicht bewegen. Damit der Wind uns bei steigendem Wasser nicht weiter auf die Sandbank treiben würde, brachte Reto derweil mit dem Beiboot einen Anker vom Bug und einen vom Heck aus. Es wurde bald Nacht und wir schalteten die Lichter ein, damit die Fischerboote uns sehen konnten, falls jemand nachts durch den Kanal fuhr, den wir leider verfehlt hatten. Je Stunde stieg das Wasser zehn Zentimeter und wir versuchten zwei Mal uns rückwärts aus dem Dreck zu ziehen, ohne Erfolg. Gegen zehn Uhr abends war Flut und wir soweit auf die Sandbank getrieben, dass wir noch immer nicht loskamen. Aber die Anker hielten, weshalb wir den Heckanker am Bug befestigten – wenn es keinen Weg zurück gibt, streitet man voran. Mit vollem Schub und eingeschlagenem Ruder drückte Reto Sea Chantey vorwärts, während ich am Ankerseil zog, um die Drehwirkung zu erhöhen. So schwangen wir unser Schiff am Ankerseil aus der Untiefe in den Fahrkanal. Nun war aber das Ankerseil zu kurz, um genug Abstand zur Sandbank zu gewinnen. Ich löste es und wollte einen Fender an das Seil binden, damit es aufschwimmt. Ich verlor es aber, und weg war der Anker! Mit einem dritten Anker ankerten wir im Fahrkanal, um nicht wieder auf die Sandbank zu treiben. So konnte Reto den ersten Anker mit dem Dinghy einholen. Er hangelte sich an der Kette entlang bis er den Anker fand und brachte ihn dann in die Nähe, damit ich ihn an Bord winden konnte. Dabei hielt er plötzlich ein Seil in der Hand – welches an dem Anker befestigt war, den ich versenkt hatte! Glück muss man haben. Schlussendlich hatten wir ausser einigen Nerven nichts verloren, mussten uns nicht abschleppen lassen und verbrachten die Nacht vor Anker. Am nächsten Morgen flüchteten wir nach Atlantic City.