Landgang für Sea Chantey

Am Montag, 13.1. war es endlich soweit: Mikes Angestellter stand schon am (frühen) Morgen auf dem Pier, stellte sich vor und betrachte, was er zu tun hatte. Auch er kam zum Schluss, dass man erst herausfinden würde, wo das Problem liegt, wenn man alles auseinander genommen hatte. Reto erklärte ihm seinen Verdacht, nämlich dass die Röhre des Propellerschaftes wegen Kontaktkorrosion durchgebrochen war und deshalb Wasser durch den Spalt in der Röhre unter der Schaftdurchführung herauslief. Bald diskutierten Kapitän und Werftangestellter, wo die Gurte des Travellifts angelegt werden mussten, um Sea Chantey aus dem Wasser zu heben. Bei einem Travellift handelt es sich um ein fahrbares Gestell mit zwei Seilwinden, die je eine Gurtschlaufe anziehen, in denen das Schiff hängt wie in einer Hängematte. Die Gurten wurden in eine Art offenes Schwimmbecken herabgesenkt, während fünf Männer Sea Chantey an ihren Leinen um die Ecke des Piers zogen. Vorsichtig zogen sie unser Ketsch zwischen die Gurtschlaufen, wobei die hintere am Ruder hängenblieb. Mit einem langen Bootshaken und starken Armen wurde die Schlaufe unter den Kiel geführt. Und dann ging’s aufwärts: Wie die Fahrgastkabine eines Lifts wurde unser altes Mädchen in die Höhe und aus dem Wasser gehoben. Sobald ihr Kiel über dem Beckenrand schwebte, brachte Mike das Gestell in Gang. Langsam, damit unser 13 Tonnen Baby nicht ins Schwingen kam, bewegte er sie aufs Land.

Unter Sea Chantey Kiel wurden Blöcke gestapelt, auf denen sie abgestellt wurde, bevor an den Seiten Stützen angebracht wurden. Bis dahin hatten Reto und ich das Problem längst entdeckt. Unser Propellerschaft ist sehr lang, steht schräg aus dem Rumpf und ist daher durch eine Halterung stabilisiert und gelagert. Und eben diese bronzene Konstruktion hing lose. Dadurch drückte die Propellerwelle auf die bronzene Röhre, die sich durch die falsche Belastung von dem Holz des Blocks löste und leckte. Mit der Demontage wurde sofort begonnen, nachdem unser fast Algen-loses Unterwasserschiff gereinigt worden war. Die Halterung war mit Bolzen quer durchs Schiff montiert und es musste viel Spachtelmasse abgemeisselt werden, bevor die Muttern frei wurden. Diese brachen beim Abschrauben ab, weshalb die 30 cm langen Schrauben aus ihren Löchern geklopft wurden. Die Röhre zerbrach beim Herausziehen in drei Teile, ganz falsch lag Reto mit der Kontaktkorrosion nicht. Insgesamt murksten zwei Männer zwei Stunden an Sea Chantey herum, bis die 60-jährigen Teile demontiert waren. Dann kam der Boss zum Zug: Ersatzteile besorgen, nach Möglichkeit in Bronze, wie original.

passt und ist dicht

Eine Röhre zu bekommen, war einfach, denn diese musste extra für uns gefertigt werden. Bronzeschrauben in Sonderlänge zu besorgen, wurde hingegen zum Problem: Alle Lieferanten versicherten uns, sie könnten liefern, …aber erst in drei bis sechs Wochen! Nach drei Tagen herumtelefonieren, entschied Mike bei uns Stahlschrauben zu verbauen, wie er es mit bestem Gewissen auch bei jedem anderen Boot getan hätte. Reto und ich beschlossen aber sie mit dem richtigen Material zu ersetzten, sobald wir zu Hause sind und ich sie auf Papis Drehbank in gut zwei Stunden selber machen kann. Derweil trocknete unsere Elektro-Heizung fleissig den Block aus, während Kapitän und Mädchen für alles unterhalt machten. Wir malten und lackierten alles, was es mehr oder weniger nötig hatte. Zumindest solange die Temperaturen es zuliessen, denn gegen das Wochenende wurde es bitterkalt und windig. So machten wir einige Tage Blau, spielten Computerspiele, schrieben/korrigierten Bücher und verliessen unser «warmes» Boot nur, um zum Stillen Örtchen zu huschen (unser WC spült mit Meerwasser und bleibt an Land trocken). Anfang diese Woche war der Block trocken genug um ihn für das Epoxid vorzubereiten und am Mittwoch steckten Mikes Jungs die nigelnagelneue, golden glänzende Bronzeröhre in den Block. Von aussen und innen bestens mit Kunstharz verkleistert, sollte die Röhre nun wieder 20 Jahre dicht sein. Auch die Halterung wurde wieder montiert, bevor der ganze Unterwasserrumpf eine zusätzliche Schicht kupferhaltige Farbe erhielt, sogenanntes «Antifowling», das vor Bewuchs schützt. Am Freitag, zwölf Tage nach dem Haul-Out, wurde der Schaft wieder ins Boot gestossen und die Dichtung montiert. Mit dem Travellift setzte uns der Boss umgehend wieder ins Wasser, die Schlaufen senkten sich ins Wasser und innen… kam kein Tröpfchen! Sea Chantey ist wieder so dicht, wie ein Holzschiff nur sein kann!! Wir entschieden uns die Reparatur aber erst am Montag zu vollenden. Sea Chanteys Planken können sich derweil vollsaugen und ihre «natürliche» Form einnehmen, dann erst wird der Motor ausgerichtet damit Motor und Schaft fluchten. So entstehen keine Spannungen oder neue Verformungen, die einer langanhaltenden Gesundheit unseres Ketschs im Weg stehen könnten. Ausserdem gibt uns das Schwellen Zeit um Bier für die Werftmannschaft zu besorgen. Man möchte doch gute Erinnerung an die bei Werften generell unbeliebten Holzboote schaffen.

der süsse, kleine River mit dem grossen Reto

Stürmt die Werft

Am Dreikönigstag hatten wir etwas besonderes vor: An Retos Geburtstag wollten wir unser Glück mit der Werft erneut versuchen. Tatsächlich arbeiteten einige Leute mit schwerem Gerät auf dem Werftgelände. Und bald fanden wir auch den sehr beschäftigten Werftbesitzer Mike. Der dickliche Mann hatte viel zu tun und hörte uns eigentlich nur mit halbem Ohr zu, bevor er uns erklärte, dass er zu viel zu tun hatte, um sich mit Holzbooten herumzuschlagen. Diese wurden, wie uns bekannt war, häufig zu nie endenden Projekten und er konnte sich wirklich nicht damit aufhalten. Schliesslich gab Mike aber nach: Sein Schiffszimmermann Zack würde sich unser Problem einmal ansehen. Zack, der in Camden an einer Holzbootschule gelernt hatte, war der Meinung, dass ich das Leck schon reparieren lassen würde. Reto sammelte ausserdem Pluspunkte: Zack baut, wie Reto und Richard es getan haben, eine Duck Trap Dwerry und fand es spannend sich darüber auszutauschen. Er überzeugte den Big Boss uns aufs Trockene zu holen. So verschickte Reto noch am gleichen Tag Fotos von Sea Chantey an das Portsmouth Boating Center, damit Mike sich überlegen konnte, wie er unser Ketch in seine Travel Lift hängen konnte. Er könne uns aber frühstens Ende Woche auswassern, sagte uns Boss Mike, seine Sekretärin würde uns auf dem Laufenden halten. Wir hatten also doppelten Grund zum Feiern: Ich lud meinen Reto an diesem Abend ins Fish&Slips ein, wir gönnten uns eine Flasche Wein zum Essen und rundeten den Tag mit Desserts ab. Leider hatte ich vor lauter Leck nicht einmal Zeit gehabt Reto einen Kuchen zu backen.

Reto am Cockpit schleifen

Nach einigen Tagen streichen und flicken in der Tidewater Marina wurden wir wieder in die Werft beordert, um die letzten Dinge zu klären. Wir würden am Montag, 14.1. ausgewassert werden, wegen des Bugspriets rückwärts, also Heck voran, und Mike erklärte uns wie wir anlegen sollten. Er zeigte uns auf der Karte, wie wir die Fahrrinne zu durchqueren hatten und, dass wir mit der Backbordseite anlegen sollten. So würden seine Leute Sea Chantey nur um die Ecke in den Travel Lift ziehen müssen. Top: Auch die meisten von unseren Bestellungen erreichten die Marina bevor wir am Sonntagnachmittag aufbrachen. Derweil war Reto zum Marina-Gehilfen mutiert. Er half diversen Booten beim Docken an der Tankstelle und am Gästepier und versuchte das Rollfock eines verlassenen Segelboots zu retten. Dieses wurde von seinem Besitzer nicht mehr benutzt und als ein Sturmwind das vordere Segel zerriss, bekam Reto Mitleid mit dem armen Boot und versuchte sein Bestes, aber das Segel war nicht mehr zu retten. Auch als wir entdeckten, dass sich eines der normalerweise bewohnten Boote losgerissen und sich unter dem Pier verklemmt hatte, wollten wir uns voll Tatendrang der Rettungsmission anschliessen. Jedoch konnten wir das Dock nicht erreichen, weil den Code zu diesem Tor nicht hatten. Da aber ein Tow Boat, dessen Pilot mit den Leuten der Marina befreundet ist, gerade zum Tanken kam, richteten diese mit vereinten Muskelkräften das Boot wieder auf und sicherten es. Die Angestellten der Marina witzelten darüber, dass uns nun wirklich nur noch ein Freudenfeuer fehlte und wir hätten alles gesehen was die Tidewater Marina zu bieten hatte. Dabei zeigten sie mit dem Daumen auf den Verteilerkasten auf dem Nachbarpier, der im letzten Herbst ausgebrannt war.

unsere hölzerne Nachbarschaft ist ein Taucherboot aus den 40ern

Jedenfalls hatten wir am Sonntag wunderbares Wetter, als wir durch den Kanal in den Seitenarm des Elizabeth River fuhren. «Fahrt bis zur roten Boje!», hatte Mike uns verklickert, «Kürzt auf keinen Fall ab! Da ist es nicht tief genug!» Die Warnung war noch taufrisch in meinem Gedächtnis, weshalb ich mir nicht vorstellen konnte, dass Reto etwas soooo Wichtiges vergessen konnte. Ich fand zwar, dass er die Sandbank nicht grosszügig genug umfuhr, aber ich vertraute ihm: Bis wir rumpelnd über die Sandbank fuhren. Glücklicherweise blieben wir aber nicht stecken und banden Sea Chantey ohne weitere Vorkommnisse fest. Als ich Reto fragte, warum er nicht nach Mikes Anweisung gefahren war, sagte er nur: «Aber das hatte ich doch vergessen!» Der Abend war so schön und ich so voller Tatendrang, dass wir das Beiboot zu Wasser liessen und ich uns eine Weile in der Gegend herumruderte, bevor wir uns auf den sehnlichst erwarteten Montag vorbereiteten.

„Row row row your boat…“