Nasses Roulette

Wir legten in der riesigen Marina an, die Teil des Golden Nugget Casinos in Atlantic City war. Reto hatte wieder einmal strapazierte Nerven – seit einigen Tagen tropfte irgendetwas undefinierbares und die linke Bilgepumpe sprang stündlich an. Endlich fand er nun das Leck. Zwischen dem Propeller-Schaft und dem Holzblock, der dieses hält, lief inzwischen das Hafenwasser als dünner Faden in unsere Bilge. Aber der Dockmaster hatte den richtigen Mann für uns und einige Stunden später brachte ein junger Mann den langen Weg über das endlos lange G-Dock hinter sich. Captain Jacob legte sein Handy auf den Tisch, kraxelte hinter den Motor und telefonierte dann mit seinem Boss Mark. Sie konnten die Reparatur nicht ausführen, würden aber es aber dauerhaft provisorisch abdichten. Gemeinsam beschlossen sie einen Taucher zu arrangieren, der die Schraube von aussen abdichten würde, damit «Jake» innen arbeiten konnte. Aber über Nacht würden wir nicht absaufen, weshalb wir uns noch eine ganze Weile mit dem Captain unterhielten. Wie sich herausstellte, wohnte er in einem Boot auf dem gleichen Dock und, gastfreundlich wie die Amis sind, sassen wir bald auf der Miss Shelly beisammen und tranken Scotch Whiskey. Jacob hat wirklich ein Kapitänspatent, arbeitete aber schon seit er 15 Jahre alt ist für Mark als Mechaniker und hat schon mit einem selbstmotorisierten Dinghy das alljährliche Cigarette Race gewonnen. Miss Shelly ist der Name seiner Oma, die er zwei Tage die Woche pflegt. Nach zwei Stunden waren wir angetrunken und hungrig, weshalb Jacobs Vorschlag einen Burger essen zu gehen gelegen kam. Er führte uns ins Casino zu Vic & Anthony’s Steakhouse und platzierte uns an der Bar. Natürlich kannte er das ganze Personal mit Vornamen, weshalb wir auch hier zu guten Diskussionen kamen. Der Burger war sehr gut.

Taucher bei der Arbeit

Ich schlief lange, daher war der Taucher schon längst bei der Arbeit als ich den Kopf aus der Luke streckte. Mit Wachs wurde die fixierte Propellerwelle abgedichtet. Jacob beaufsichtigte alles vom Pier aus und handlangerte so gut er konnte. Der Taucher kletterte aus dem Wasser, machte sich auf den Heimweg und der Mechaniker breitet seine Werkzeuge aus. Leider war das Leck nicht so dicht, wie er dachte, aber er konnte arbeiten. Die Vierkantschrauben des Flanschs stellten ihn vor mechanische Grenzen, sein Boss musste ihm zusätzliche Werkzeuge besorgen, bevor er den Flansch demontieren konnte. Nur eine der 60-jährigen Bronzeschrauben brach ab, dennoch wurden alle zu Retos Verdruss mit Stahlschrauben ersetzt. Stahl korrodiert viel schneller in Seewasser und zersetzt durch Elektrokorrosion die Bronzeteile am Unterwasserschiff. Aber der Captain bekam Sea Chantey dicht genug, dass wir die Reise zu einem Spezialisten oder noch weiter vorsetzten konnten. Er und Reto waren so euphorisch, dass sie beim Testlauf vergassen, die mit einem Schraubenschlüssel gesicherte Welle zu entsichern. Sea Chanteys Starter brach den Schlüssel in Zwei. Ich war im Casino mit meinem Blog beschäftigt und schüttelte nur den Kopf, als Reto mir davon berichtete. Wir feierten unsere «Dichtheit» mit einem weiteren Burger.

Captain Jacob bei der Arbeit (Schlechtes Bild, weil von unten aus dem Motorraum aufgenommen)

Jacob war schneller gewesen, als wir erwartet hatten, weshalb wir einen weiteren Tag Liegegebühr bezahlt hatten. Wir nutzten also den Tag um einzukaufen: T-Shirts im Hard Rock Cafe und Lebensmittel bei Save a Lot. Wir irrten eine halbe Stunde im Hard Rock Hotel herum, bevor wir den Shop fanden. Es war spannend die Stadt zu sehen. Am Strand die riesigen Hotel- und Casino- Komplexe und eine Strasse dahinter die alte, heruntergekommene Stadt. Uns dünkte, dass Atlantic City sehr viele arme Leute beheimatet. Aber im Sommer würden die Touristen wiederkommen und wir sind ganz froh, dann nicht da zu sein. Eigentlich wollten wir noch jeder mit einem Doller unser Glück am einarmigen Banditen versuchen, wir liessen es aber doch sein.

Festgefahren, aber richtig

Mit Rückenwind verliessen wir Staten Island und flitzten im Sonnenschein nach Süden. Wer sich die Küste südlich von Sandy Hook auf Google Maps ansieht, weiss dass wir stundenlang an einem endloslangen Strand entlangfuhren. Nach sechs Stunden erreichten wir einen Unterbruch des Long Beach, wo ein Kanal in die Lagune dahinterführt. Hier vertäuten wir Sea Chantey mit dem Pier von Captain Bills Landing, der zu diesem Zeitpunkt einen guten Meter übers Deck hinausragte. Ohne den Shop Assistent hätten wir vermutlich nicht anlegen können, schliesslich konnten wir aber Tanken. Und endlich, endlich konnten wir unsere Wassertanks auffüllen!! Endlich, endlich kann ich nun wieder vernünftig abwaschen. Das U-förmige Dock in das wir nun parkierten, hätte laut Captain Bill tief genug sein sollen. Wir standen aber mit dem Ruder auf dem Grund an, als wir rückwärts in den Slip steuerten. Vorwärts liess sich Sea Chantey problemlos parken. Wir plauderten also eine Weile mit dem Shop Assistant, der ein pensionierter Polizist ist, und gingen auf ein Bier in die Bar. Salt Cod Cakes gab es zum Abendessen. Das Wasser lief auf und wieder ab, und mitten in der Nacht sassen wir auf Grund. Dies war kein Problem, da die Flut am Morgen wieder auflief, aber es war uns zu unheimlich als dass wir noch eine Nacht bleiben wollten.

Da das Wetter wieder gegen uns war, machten wir in der Hoffmanns Marina an einem ebenso hohen Pier fest, der direkt neben der Eisenbahnbrücke lag. Reto und ich erfreuten uns an dem regen Zugverkehr: Die Brücke war stets offen, bis ein Zug mit Hornsignal sein Anfahren anmeldete und der Brückenwärter die Klappbrücke herunterliess, um sie nachdem der Zug passiert war wieder zu öffnen. Stündlich zueinander zu sagen «Hör mal, da kommt wieder ein Zug» und den Boden auch bei Ebbe nicht zu erreichen, war auch unsere ganze Freude. Mit der Marina waren wir nicht sonderlich zufrieden, weil nur die Damendusche heisses Wasser hatte, das Wlan unseren Pier nicht erreichte und die Übernachtung zu allem Überfluss teuer war als in New York. Wegen des Wetters blieben wir trotzdem zwei regnerische Tage, an denen wir nichts taten als lange zu schlafen und Computerspiele zocken.

Kaum war der Wind wieder mit uns, flüchteten wir von Brielle aufs offene Meer. Unter Segel mit üppigem Seitenwind erreichten wir bei ablaufendem Wasser nach Baregat Light. Diese Kanaleinfahrt in die Lagune hatten wir in starkem Gegenstrom zu meistern, aber Reto fuhr Sea Chantey mit voller Fahrt und dennoch nur äusserst langsam in die Bucht. Unsere Karten zeigten viele Untiefen und Sandbänke auf unserem Weg zu einer Marina. Zuallererst mussten wir eine Kurve um den Leuchtturm fahren und dann zwischen einem Wall und einer Sandbank hindurch. Selbst mit vollem Schub kamen wir kaum gegen die Strömung an. Wir müssen hilflos ausgesehen haben, denn ein Mann nahm vom Land aus durch winken und rufen mit mir Kontakt auf. Nach einiger Zeit hatte ich mit ihm ausgestikuliert, wie viel Wassertiefe wir benötigten und er lotste uns tiefer in die Bucht. Bei der ersten Marina versuchten wir in eine Box zu parken, aber die Strömung war einfach zu stark. Als wir den Mann bei der nächsten Marina wieder winken sahen, passierten wir die Tow Boat Station (den Abschleppdienst zu Wasser) und setzten uns – zum Glück sehr langsam – auf Sand. Diese Marina war nicht tief genug, aber der Mann winkte uns aussen um die Sandbank herum. Reto zog uns mit der Strömung wieder von der Sandbank herab, schaffte es nicht mit einem Pier der ersten Marina zu kollidieren und mit einer Pirouette auf Kurs zu kommen. Dabei wurden wir kritisch von der Crew eines Tow Boats beobachtet und es war mir irgendwie peinlich, als einer vom Abschleppdienst schon winkte. Aber ich winkte lächelnd zurück. Auf der anderen Seite der Insel, die sich auf der Sandbank gebildet hatte, beeinflusste uns die Strömung kaum noch, weshalb wir flott durch den Bojenkanal fuhren. Als ich den Mann wieder auf einem Pier erblickte, waren wir nahe genug um uns mit rufen zu unterhalten. «Anchorage there! Slip there!», schrie er und zeigte an die entsprechenden Orte. Ich dankte ihm gerade als ich spürte wie wir sehr abrupt gebremst wurden. Ja, wir hatten mit vier Knoten auf einer Sandbank aufgesetzt und diesmal konnten wir nicht wieder herausfahren! Zu allem Überfluss zwischen zwei Marinas und dem Ankerplatz. Auf dem Pier kam derweil der Dockmaster dieser Marina angelaufen und nach kurzem Funkverkehr stand fest: Die Marina ist nicht tief genug für uns und bis zur Flut wir würden uns nicht bewegen. Damit der Wind uns bei steigendem Wasser nicht weiter auf die Sandbank treiben würde, brachte Reto derweil mit dem Beiboot einen Anker vom Bug und einen vom Heck aus. Es wurde bald Nacht und wir schalteten die Lichter ein, damit die Fischerboote uns sehen konnten, falls jemand nachts durch den Kanal fuhr, den wir leider verfehlt hatten. Je Stunde stieg das Wasser zehn Zentimeter und wir versuchten zwei Mal uns rückwärts aus dem Dreck zu ziehen, ohne Erfolg. Gegen zehn Uhr abends war Flut und wir soweit auf die Sandbank getrieben, dass wir noch immer nicht loskamen. Aber die Anker hielten, weshalb wir den Heckanker am Bug befestigten – wenn es keinen Weg zurück gibt, streitet man voran. Mit vollem Schub und eingeschlagenem Ruder drückte Reto Sea Chantey vorwärts, während ich am Ankerseil zog, um die Drehwirkung zu erhöhen. So schwangen wir unser Schiff am Ankerseil aus der Untiefe in den Fahrkanal. Nun war aber das Ankerseil zu kurz, um genug Abstand zur Sandbank zu gewinnen. Ich löste es und wollte einen Fender an das Seil binden, damit es aufschwimmt. Ich verlor es aber, und weg war der Anker! Mit einem dritten Anker ankerten wir im Fahrkanal, um nicht wieder auf die Sandbank zu treiben. So konnte Reto den ersten Anker mit dem Dinghy einholen. Er hangelte sich an der Kette entlang bis er den Anker fand und brachte ihn dann in die Nähe, damit ich ihn an Bord winden konnte. Dabei hielt er plötzlich ein Seil in der Hand – welches an dem Anker befestigt war, den ich versenkt hatte! Glück muss man haben. Schlussendlich hatten wir ausser einigen Nerven nichts verloren, mussten uns nicht abschleppen lassen und verbrachten die Nacht vor Anker. Am nächsten Morgen flüchteten wir nach Atlantic City.