Bier auf dem Elizabeth River

Richtig übles Heimweh, bekam ich während des Wochenendes, an dem wir warteten, dass sich unser Boot vollsaugt. Wir machten uns einen gemütlichen Samstag, gingen Bier kaufen und wollten im Restaurant essen gehen. Da das überall gelobte Fish&Slips unser zweites zu Hause war, wollten wir dem «Biergarten» eine Chance geben. Ein deutsches Ehepaar betreibt ein nicht zu kleines, deutsches Restaurant mit Schwarzwaldstiel, bayrischen Farben und Oktoberfest-feeling mitten im Downtown Portsmouth. Die Bierkarte ist so lang wie Sea Chantey und wir genossen jeder eine deutsche Biersorte. Bei «Strammer Max» – Fleischkäse mit Spiegelei – kamen mir fast die Tränen! Da sie ein originelles Lokal sind, hat der Biergarten nicht nur T-Shirts sondern ein richtiges kleines Spezialitätengeschäft, mit Milka, Knorr, Drindl-Kostümen und gebrauchten DEUTSCHEN BÜCHERN! Als ich das Werk «Die Zuckerbäckerin» aus dem Regal zog, wurde ich nicht nur einen Dollar ärmer, sondernd bekam furchtbare Sehnsucht nach meinem Mami, mit der ich zu Hause gleich eines der Rezepte im Roman ausprobiert hätte. Zumal Bier auch sensibel macht, quälte mich die ganze Nacht das Heimweh.

Auch am Sonntag musste ich nicht abwaschen, der Pizzalieferdienst wurde aber zum echten Abenteuer. Nämlich bestellten wir übers Internet und gaben an auf dem Parkplatz zu warten, wo ich nach der Hälfte der als zu erwartenden Lieferzeit angegebenen Zeit auch stand. Dort verliess gerade ein Bootsbesitzer den Parkplatz: Ob ich einen Pizza-Burschen suche? Ich hatte unser Abendessen um eine Minute verpasst. Mist! Reto holen, Uber bestellen, zum Pizza Hut fahren – unsere Pizza war sogar noch warm, als wir sie abholten. Zu Hause auf Sea Chantey genossen wir sie in jedem Bissen, zwei hervorragende, hart verdiente Pizzen.

Am Montag, zwei Wochen nachdem wir in die Werft kamen, stellte unser eifriger Schiffszimmermann den Motor auf die Propellerwelle ein. Wir machten eine Testfahrt und alle waren mit der erledigten Arbeit gleichermassen zufrieden. Nur Werftbesitzer Mike hätte seinen Schiffszimmermann am liebsten sofort zurückgehabt, den auf Richard wartete schon die nächste Arbeit. So hatten wir einen halben Tag Zeit um das Feierabendbier bereitzustellen. Gegen fünf Uhr bekamen wir auch tatsächlich drei Besucher: Richard, unser Schiffszimmermann, Charlie, der Sea Chanteys Bolzen aus dem Rumpf schlagen musste, und sehr zu Retos Freude Kate, unsere hübsche Rezeptionistin. Auch in den USA sind die Alkohol-Autofahren-Verhältnisse streng, weshalb sich unsere Besucher nach einem Bier auf den Heimweg und wir auf zur Tidewater Marina machten. Reto, eben ein waschechter Seemann, musste sich von noch einem hübschen Frauenzimmer verabschieden, weshalb wir diesmal im Fish&Slips zu Abend assen. Wir sassen an der Bar und plauderten bald mit dem angetrunkenen Trevor und seiner Bootsnachbarin. Trevor brauchte Gesellschaft, weil er gerade eine Trennung hinter sich hatte, und erzählte uns von seinen Abenteuern als Krabbenfischer in Alaska und Segler im Bermuda-Dreieck. Lustigerweise war es aber seine gut gelaunte Bootsnachbarin, die mir erklärte, wie ich meine Krabbenbeine knacken musste. Schliesslich kam auch die Schankmaid Ashley dazu uns zu erzählen, weshalb sie nun gebrochene Finger hatte – sie wollte nach links, aber ihr Hund nach rechts… Wir waren wieder einmal die Gäste mit dem dicksten Sitzleder und verliessen die Bar kurz vor Ladenschluss.

Sheet Harbour

… entpuppte sich als hübsche Ortschaft, mit allem was ein Segler braucht. Bewaffnet mit unseren Badeutensilien und Kleidern zum Wechseln begaben wir uns im Dinghy an Land und fragten im nächst besten Hotel nach einer Dusche. Der Concierge des Motels «Fairwinds» überlegte einen Moment, huschte dann davon und kehrte einige Minuten später zurück. Er drückte mir einen Schlüssel mit Aufschrift Zimmer 1 in die Hand und meinte, wir sollen ihm melden, falls wir das Bett berührten. Was es denn koste? …Nichts. Wir hinterliessen also ein sauberes Trinkgeld.

Nach einigen Minuten Fussmarsch betrachteten wir den Wasserfall von oben. Von den Brücken aus konnten wir wunderbar die Bucht mit Sea Chantey in der Mitte übersehen. Über beide Brücken und entlang dem erstaunlich braunen Fluss verlief ein Fussweg, auf dem wir uns wie in den Schweizer Bergen fühlten mit den Tannen, schmalen Wegen und rauen Steinen. Auch lag das geschlossene Visitor Center am Fussweg, wo wir uns über Sheet Harbour schlau machten: Hier wurden Jahrhunderte zuvor Lachse gefischt und Stämme geflösst, deren Holz nach England exportiert wurde, bevor 1920 eine Sägerei und später eine Papiermühle entstand. Die Verschmutzung durch Schwefel riecht man in der Bucht noch heute, obwohl seit Jahrzehnten keine Papiermühle mehr steht.

Wir stockten unsere Vorräte auf, welche samt uns von einer freundlichen Dame zum Dinghy gefahren wurden, und verstauten alles auf dem Boot. Reto musste wegen des zusätzlichen Volumens zwei Mal vom Ufer zu Sea Chantey rudern, um alles an Bord zu bekommen. Und nun ruderte Reto Richard und mich wieder an Land: Wir mussten den Bier-Vorrat aufstocken. So bestellten wir in der Bar des Henley House jede Sorte des selbstgebrauten Biers in Probiergrösse. Die Tochter des Pub-Besitzers hatte in Wales brauen gelernt und betriebt nun im Anbau die Sober Island Brewery. Wir plauderten mit dem Bruder der Brauermeisterin und kauften bald genug Bier um einen Harras und ein paar Socken geschenkt zu bekommen. Da es inzwischen zu spät war, um im «Fairwinds» zu Abend zu essen, kehrten wir ins Henley House zurück. Belustigt meinte unser Verkäufer, als er sagte «See you soon» hätte er uns nicht so bald wieder erwartet. So kamen wir aber zur Geschichte des Namens der Brauerei. Es gibt die Legende, dass einst Piraten wegen ihrer Trunkenheit auf Sober Island aufliefen und strandeten, welches nahe Sheet Harbour liegt. Als sie wieder von dort wegkamen, waren alle nüchtern – eben sober.