Schnitzeljagd durch alle Ämter

Um in die Exumas reisen zu können, die angeblich die schönsten Inseln der Bahamas sind, die man auf keinen Fall verpassen darf, brauchen wir zwei Dinge: Eine Aufenthaltsgenehmigung und ein Cruising Permit. Beides ist nach fast drei Monaten auf New Providence fast abgelaufen, weshalb wir uns nun um Verlängerung bemühen müssen.

Durchorganisiert wie mein Reto ist, hatte er von der Marina einen Wagen und eine Wegbeschreibung zum Costums Office (Zollbüro) bereitmachen lassen. Ich packte am Morgen alle benötigten Dinge plus Wasser ein und gab ihm seine Mappe mit den Dokumenten wieder zurück, weil sie nicht in meinen Rucksack passte. Er sollte sie halt unter dem Arm klemmen. Maske? Auch dabei. Wir fuhren in die Stadt und fanden uns am Kreuzfahrtschiffhafen wieder, der sich inmitten eines Meeres von Restaurants und Souvenirshops befindet. Alles geschlossen, weil Kreuzfahrtschiffe erst in einem Monat wieder anlegen dürfen. Aber als wir unterwegs zum Zollbüro waren, entdeckte ich, dass Reto seine Mappe gar nicht dabei hatte. «Die ist doch in deinem Rucksack?», fragte er. «Nein, die habe ich dir zurückgegeben, weil sie nicht hineinpasste, erinnerst du dich?» «Upps… Dann liegt sie noch auf dem Schiff.»

Wir entschieden auf dem Rückweg am Swiss Pastry Shop vorbeizufahren, nur um zu sehen wie schweizerisch er tatsächlich ist. In der Hoffnung auf eine Cremeschnitte sah ich mich in der kleinen Konditorei um, deren schweizerischstes Gebäck die Eclairs waren, welche tatsächlich fast wie zu Hause schmeckten. Auch der Dänisch Plunder und die Früchtetörtchen sahen aus wie in der fernen Heimat, damit hatte es sich auch schon. Ansonsten stand ich in einer amerikanischen Konditorei, aber ich kaufte dennoch Eclairs, Früchtetörtchen und zwei Stücke Schokoladentorte, um uns den Tag zu versüssen. Der Rückweg zur Marina war schwierig, da in dieser Strasse gerade die Bäume geschnitten wurden, als wir zurückkamen. Wir wurden durch ein Quartier geschickt, aus dem wir fast nicht mehr herauskamen, um uns schliesslich auf der anderen Seite der Marina an der Strassensperre befanden. Hier umfuhr ich nun die Strassensperre und Gerätschaften über die Wiese, um endlich die Marina-Einfahrt zu erreichen. Reto war natürlich genervt, was auch die leckeren Süssigkeiten nicht ändern konnten. Dennoch bewegte ich ihn dazu, sich ein zweites Mal von mir aufs Zollbüro zu fahren zu lassen. Diesmal mit Mappe bewaffnet, wurden wir tatsächlich empfangen. Nur konnte der Zollbeamte unser Crusing Permit nicht verlängern – das macht momentan nur das Hauptquartier! Also fuhren wir nach seiner Wegbeschreibung über die halbe Insel, wo wir nach kurzem Suchen das Hauptzollbüro im Gebäude des Finanzamtes fanden. Cruising Permit verlängern? Kein Problem, nur die Kasse hat geschlossen, ihr müsst die 500 Dollar cash bringen. Also liess ich Reto auf dem Zollbüro zurück und fuhr zur Bank um die Ecke. Kurz darauf waren wir um ein Stück Papier reicher und die Bahamas um 500 Dollar. Dazu bekamen wir die Wegbeschreibung zum Immigration Office, wo wir hofften unsere Aufenthaltsbewilligung genauso reibungslos verlängern zu können. Ich chauffierte uns zurück ins Downtown, wo die Schnitzeljagt angefangen hatte. Nur warf uns das Sicherheitspersonal sofort wieder raus – ohne Termin, kein Eintritt! Dafür fanden wir eine Tafel mit Telefonnummern und E-Mail-Adresse mit der wir online um Verlängerung bitten konnten. Da wir nun wieder im Downtown waren, hielt ich auf dem Heimweg beim Chinesen an und holte zum Abendessen Gebratene Ente und Kantonesisches Rindfleisch, denn nach einem ganzen Tag Autofahren auf New Providence hatte ich genug gearbeitet. Zur Beschreibung: In den Bahamas sind die Autos verbeult sowie meist ohne Stossstange und der Fahrstiel sehr italienisch. Zur Beruhigung der Nerven brauchte es auch einen Sprung in den Pool, wo auch Reto beim spielen mit Ava und Karli wieder Lebensfreude entwickelte.

Stefy, das Kindermädchen

Immer Freitags bringt die Ex-Frau des Küchenchefs im Pink Octopus die gemeinsame Tochter ins Restaurant, damit der Vater sie übers Wochenende betreut. Es dauerte nicht lange bis die neugierige, siebenjährige Skylar uns entdeckte – zumal wir manchmal die einzigen Leute waren, die die Strandanlage benutzten. Nicht, dass wir Kontakt mit der kleinen Plaudertasche aufgenommen hätten, Skylar verschafft sich Aufmerksamkeit. Nachdem sie uns beim ersten Treffen nur belagert hatte und uns haarklein von ihren Tablet-Spielen erzählte, entdeckte sie mich beim zweiten Mal beim Malen. Nur ein einziges Mal hatte ich meine Künstlerfarben und die Staffelei an den Strand geschleppt, aber das reichte natürlich, dass auch die aufdringliche Kleine malen wollte. Wir verabredeten also am kommenden Montag, 1. Juni zum Malen. Da dieser ein Feiertag in den Bahamas war, war das Restaurant geöffnet und sie durfte (musste) mit Daddy zur Arbeit.

Ein Tisch als Kunstwerk für sich

Ich dachte an alles! Mit Zeitungspapier deckten wir den Tisch ein, Gläser für die Pinsel, ich hatte sogar ein altes T-Shirt mitgebracht, damit das Kind am Ende nicht voll Farbe war. Aber Skylar malte tiefend nass im Badeanzug. Ich hatte ihr eine meiner Künstlerleinwände überlassen, denn ich hatte nicht die Möglichkeit etwas Günstigeres zu besorgen – und, wie sollte ich einer siebenjährigen erklären, dass es teures Rot und günstiges Rot gibt? Ein bisschen weh tat es mir schon, dass nur ein Regenbogen und eine Blumenwiese die Leinwand zierte, als das Mädchen wieder in den Pool hüpfte. Aber ich hatte ja eigentlich damit gerechnet. Als sie eine Viertelstunde später die zweite Leinwand haben wollte, gab ich ihr Papier. Auch dieses Bild blieb grösstenteils weiss, ganz im Gegensatz zur überfüllten Palette, als Sky wieder in den Pool sprang. Als sie das nächste Mal zurückkehrte, hatte sie ein noch jüngeres, strohblondes Mädchen bei sich und sagte: «Sie bekommt kein Glacé, da dachte ich sie könnte mit uns malen.» An diesem Kind hatte ich aber meine helle Freude: Sie füllte das teure Aquarellpapier mit einer grossen, roten Sonne und malte dann so fleissig Sterne darum herum, dass ihr Vater am Pool aufmerksam wurde. Er bedankte sich bei mir und wir diskutierten ein wenig, bevor er mit seiner Tochter Deutsch zu sprechen begann. «Dann sprichst du normalerweise Deutsch?», fragte ich und plötzlich konnte auch die kleine Ava mit mir reden. Papa Frank erklärte den Rest: Gerade mit dem Katamaran aus den Exumas angekommen, wir bleiben eine Woche, wir sehen uns. Auch der Chef war äusserst froh über meine Malen-mit-Kindern-Aktion gewesen, denn er hatte die Küche zwischen 11:00 Uhr und 3:00 am Nachmittag nicht verlassen. Zum Dank wusch er meine Pinsel und übersah die hübschen lila Sprenkel, die seine Tochter auf den Sitzkissen hinterlassen hatte.

Da wir am Dienstag den Liegeplatz wechselten, wurden wir die Pier-Nachbaren des deutsch-französischen Katamarans mit den zwei unglaublich blonden Kindern. Bald hatten wir ein kleines, nacktes Mädchen und einen noch viel kleineren, nackten Jungen namens Karli an Bord, die im Cockpit sassen und mit MIR Piratenschiff spielten. Gas geben, bremsen, Anker hoch, Anker runter und Schweinchen von der exumanischen Schweineinsel retten, hielt mich sehr auf Trab, während Reto und Frank sich friedlich austauschten. Das Resultat: Ich bin das Palm Cay Maria Kinder Highlight! Von da an hatten wir fast jeden Tag besuch von Ava und Karli, die wir auf sechs und vier Jahre schätzten und beide lange blonde Locken haben, wie kleine Engel. Der nächste Zopfteig wurde nur zur Hälfte zum Zopf, eine innere Stimme befahl mir aus der anderen Teighälfte Schildkröten zu machen. Sie gefielen den Kindern so sehr, dass wir zwei Tage später selbstgemachte Croissants bekamen, sehr offensichtlich liebevoll von Kinderhänden gerollt. Als auf dem riesigen Katamaran die Waschmaschine ausstieg, verbrachten wir Zeit mit Ava im Pool. Hier wurde Reto zum König! Als er am Freitag, als auch Skylar und die fünf Kinder des Pizzaiolos Wally ihre Zeit im Pool verbrachten, mit in den Pool sprang, konnten sich die Kinder kaum noch halten vor Begeisterung: Reto tauchte mit den Kindern durch das Becken, spielte Sprungturm und lehrte Wallys Söhne das extraweite Spritzen (Reto kann jemanden gezielt nassspritzen der 6 Meter entfernt ist!). Frank schien fast ein bisschen enttäuscht zu sein, dass er nicht den gleichen Heldenstatus erreichte als er ins Becken sprang, aber Wallys Ältester Ocean freute sich über ein Ballspiel mit ihm. Ich rollte nur mit Wallys zweitkleinstem Kind, dem vielleicht zweijährigen Enzo den Ball hin und her. Frank liess Wallys Kindern sogar die Bälle zurück, als Ava und Karli genug hatten und wir versprachen diese später abzuliefern. Ich sammelte den kleine Schaumball und den regenbogenfarbenen Wasserball früh genug ein, aber ich hatte die Rechnung ohne Hafenstreuner Scooby gemacht. Sie erwischte den Wasserball, dem ging die Luft aus und sie spielte damit am Strand. Einer von zwei Bällen kam flach bei den Besitzern an. Aber als unser geliebter Streuner am Wochenende eine der Gummienten schnappte, die Ava und Karli mit in den Pool genommen hatten, konnte ich ihr diese wieder abjagen. Der liebe Hund sah so enttäuscht aus, als sie die Ente mit hängenden Ohren auf den Boden legte – Scooby hätte auch gerne damit gespielt. Tags darauf wurde Ava sechs Jahre alt und seither verbrauchen ein ausblasbarer Jetski und ein riesiger goldener Schwimmreifen den Platz im Pool.

Reto, der Superheld

Da nun nach und nach die Insel wieder geöffnet wird, kann ich nicht mehr von «Quarantäne-Abenteuern» schreiben, auch wenn wir von normal noch weit entfernt sind. Ab 2. Juni, also nach Pfingstmontag, sind fast alle Geschäfte wieder geöffnet, einzige Ausnahme ist die Unterhaltungsindustrie.

Wer uns kennt weiss, dass Reto normalerweise vor mir aufsteht. Hier im Hafen nutzt er diese Zeit, um einen Ausflug zu den Sanitäranlagen zu machen, womit unser Bord-WC geschont wird. Am Freitag vor dem Pfingstwochenende erregte ein furchtbar tiefliegendes Sportfischerboot seine Aufmerksamkeit. Sein sechster Sinn für leckende Boote brachte ihn ins Hafenbüro, in dem aber noch niemand zugegen war. Ein Security-Mitarbeiter benachrichtigte für ihn den Hafenmeister, während Reto kurzentschlossen zu Sea Chantey zurückkehrte, um die Handpumpe und den Eimer zu holen. Ich lag derweil noch selig träumend in der Koje. «Stefy, da sauft ein Boot ab. Ich gehe es auspumpen», gab er mir Bescheid, aber im Halbschlaf machte ich nur «Mh…hm…» und träumte weiter. Ich erstach in einem unruhigen Traum Ratten in einem Einkaufszentrum mit einem Küchenmesser, als mich der Präsident meines Schützenvereins zu rufen begann. Ich brauchte gute zwei Minuten bis ich feststellte, dass vom Pier aus jemand nach mir rief. Der Gehilfe des Hafenmeisters war von Reto geschickt worden, um Tuck Tape zu holen. Er musste zweimal sagen, was er wollte bis ich begriff, aber gleich darauf grub ich die silberne Tuck Tape Rolle hervor und begleitete den Gehilfen zu Retos Frühsport-Projekt. Das Boot war zirka 12 Meter lang, mindestens vier Meter breit und Reto lag zur Hälfte im Heckstauraum, um mit dem Finger eines der Lecks in einem Schlauch zuzuhalten. Teamwork: Ich rollte ein Stück Tape ab, Reto zog den Finger zurück und ich montierte das Klebeband über dem sprudelnden Loch. Dann bediente ich die Handpumpe, Reto fuhr damit fort die überschwemmte Kabine mit unserem Eimer auszuschöpfen und der Hafengehilfe, der weder Eimer noch Pumpe hatte, stand daneben. Dabei wurde ich endlich wach – Reto verfehlte mit einem Eimer voll Wasser das Hafenbecken und es traf mich eine grosszügige Portion. Bald tauchte der Hafenwart mit einer elektrischen Bilgenpumpe auf, die er an einer Autobatterie anschloss, womit endlich sichergestellt war, dass der Kahn nicht unter unseren Är***en wegsank. Kaum war diese installiert, kam endlich der Angestellte des Bootsbesitzers mit einer dieselbetriebenen Pumpe zur Bewässerung von Gartenanlagen. Damit konnte nun gepumpt werden, weshalb ich Zeit fand selbst das WC aufzusuchen und Wasserfläschchen zu verteilen, die wir nötig hatten. Bald konnten wir den Schauplatz sogar verlassen und das Frühstück zu Mittag essen. Aber wir waren erst halb fertig als wir wieder zum Boot gerufen wurden, weil der Besitzer sich bedanken wollte. «Ich weiss nicht, ob du ein Superheld bist oder sowas, aber ich bin sehr dankbar, dass du das Boot vor dem Absaufen bewahrt hast», sagte der Besitzer und übergab mir einen enormen Beutel voll gefrorener Conch (gesprochen Konk, deutsch Fechterflügelschnecke), von dem Reto wegen seiner Allergie nichts essen darf. Das Boot war derweil fast komplett ausgepumpt. Am Nachmittag brachten wir unsere Conch zum Restaurant des Hafens, dessen Chefkoch mir daraus ein Reisgericht machte und Reto einen Lamm-Hamburger machte.

Das liegt aber tief
kein Wunder bei so viel Wasser in der Kabine

«Erst das kleine Fischerboot, dann diese Jacht. Die Boote, die du auspumpst, werden auch jedes Mal grösser», sagte ich einmal zu Reto, «Das nächste Mal retten wir einen Öltanker?» Reto lachte nur darüber.